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Die alte Schule

Dr. phil. Dipl. psych. Reimer Lund ist Ehrenmitglied der DGMS, ehem. Leiter des Schlaflabors Asklepios-Fachkliniken und gilt als einer der deutschen Pioniere in der Schlafmedizin. Disy hat ihn in Dresden interviewt. Lesen Sie mal! 

 

Wie sind Sie zur Schlafmedizin gekommen? 

Lund: Anfangs habe ich mich mit der Chronobiologie befasst und lange auf dem Gebiet geforscht. Ich habe auch die Isolationsstudien in Andechs begleitet und war selbst als Versuchsperson für einen Monat in Isolation. 

 

Und welche Erfahrungen haben Sie daraus gewonnen? 

Lund: Wenn man ohne äußeren Einfl uss lebt, ohne Fernsehen, Radio oder jegliche Art von Zeitangabe, ist es normal, dass man seinen eigenen biologischen Schlaf-/Wach-Rhythmus entwickelt, der nicht unbedingt ein 24-stündiger sein muss. Meiner betrug 25 Stunden. 

 

Wie ging es dann weiter? 

Lund: Ich schrieb meine Doktorarbeit über den Tagesrhythmus bei Blinden und erhielt 1974 ein einjähriges Stipendium für die Stanford Universität in Amerika und lernte dort sehr vieles über den Schlaf und seine Erforschung. Wie man Elektroden klebt, Schlaf auswertet und Schlafkurven analysiert. Dort habe ich auch die ersten Patienten gesehen, die Atemstörungen hatten. Zurück in Deutschland arbeitete ich am Max-Planck-Instistut für Psychiatrie in München und untersuchte den Schlaf von Depressiven und machtsüchtigen Frauen. Später wechselte ich ins Schlaflabor der LMU, bis ich das Schlaflabor an der Asklepios-Klinik in München-Gauting mit aufbaute. 

 

Ein aktueller Trend in der Behandlung von Schlafstörungen ist die Telemedizin. Was halten Sie davon? 

Lund: Ich bin von der alten Schule und wir haben das damals schon an der LMU sehr sorgfältig mit Elektronen gemessen und ausgewertet. Aufgrund neuer Techniken kann man den Aufwand, den wir früher betrieben haben, heute vereinfachen und einschränken. Man kann mit Telemetrie vieles machen, aber als behandelnder Arzt, würde ich das nie machen. Ich will die Patienten doch sehen, wissen wie der Mensch ist und die Möglichkeit haben ihn persönlich kennen zu lernen. Sein Verhalten verrät mir eine Menge darüber, warum er eventuell Schlafstörungen hat. Umso mehr Aspekte man von der Patientenpersönlichkeit kennt, desto besser versteht man, warum eine Schlafstörung vorliegt. 

 

Sie befassen sich seit Jahrzehnten mit immer neuen Erkenntnissen über den Schlaf. Welches sind die prägnantesten für Sie? 

Lund: Schwierig zu sagen. Wir wissen immer noch nicht warum wir genau schlafen. Von der Logik her ist es klar: Wenn wir nicht schlafen, fühlen wir uns unwohl und funktionieren nicht am Tage. Oftmals sagten mir Patienten, dass Sie nicht schlafen können, aber durch die Daten im Schlaflabor konnte ich Ihnen zeigen, dass sie sich doch immer vier bis fünf Stunden Notschlaf holen konnten. 

 

Klingt fast wie eine gestörte Wahrnehmung des eigenen Schlafverhaltens. 

Lund: Wir haben immer wieder Patienten gehabt, die sagten sie machen kein Auge zu. Aber in Wahrheit hatten sie einen normalen Schlaf. Wir sagen dazu Schlafwahrnehmungsstörung. Das lässt sich daran feststellen, wenn ein Patient einschläft, nach einer Stunde aufwacht und meint er hätte gar nicht geschlafen, dann liegt eine gestörte Schlafwahrnehmung. Das ist ein großes und weiterverbreitetes Problem bei Patienten. Schlafstörungen hat jeder. Es gilt dies zu akzeptieren und zu lernen damit umzugehen. Ebenso ist es wichtig keine Angst zu entwickeln, vor dem Nicht-Schlafen-Können und lernt darauf zu vertrauen, dass der Körper sich automatisch auf Schlaf einstellt, wenn er ihn benötigt. 


Ein großes Thema in der Schlafmedizin ist nach wie vor die Schlafapnoe bei Männer und Frauen. Gibt es zwischen den Geschlechtern Unterschiede bei dem Krankheitsbild? 

Lund: Frauen leiden seltener unter Schlafapnoe als Männer, da sie schlanker, Männer häufiger übergewichtiger sind und sich weniger bewegen. Männer sind früher, länger und häufiger von Atemaussetzern im Schlaf betroffen. Bei Frauen tritt eine Schlafapnoe meistens erst mit der Menopause auf. 

 

Leiden Männer generell eher an Schlafproblemen? 

Lund: Nein, eher sind es die Frauen, die deutlich öfter an Schlafstörungen leiden. Der Schlaf von Männern und Frauen zeigt in der Untersuchung keine größeren Unterschiede. Wobei Frauen schneller über Schlafstörungen klagen, da sie auch durch den Alltag psychisch stärker belastet werden, als Männer. Wenn ich mal vergleiche, was Frau und Mann am Tag machen, dann ist es meist die Frau die mehr unter einen Hut bringen muss. Sie hat mehr Rollen zu erfüllen, als die meisten Männer. Sie ist Hausfrau, beruflich tätig und versorgt die Kinder. Von dort her ist die Stressbelastung bei Frauen höher und sie sind innerlich verantwortlicher im Leben und den Mitmenschen gegenüber, als wir Männer. Wir können auch mal sagen: ‚Das schert mich nicht‘. Das bewirkt, dass sich bei Frauen schneller eine leicht depressive Struktur etabliert und damit auch eine Schlafstörung. 

 

Hätten Sie sich auch ein anderes Thema, außer Schlaf, für Ihre berufliche Laufbahn vorstellen können? 

Lund: Nein, ich bin dankbar, dass ich das Schlaflabor mit aufbauen konnte. Es war immer eine gute Mischung aus ein bisschen Technik, Wissenschaft, Forschung und Arbeit mit Patienten und einem tollen Team. Es war kein Bleistiftjob, sondern lebendig. Das Thema Schlaf barg für mich immer wieder neue Aspekte.