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Coiffeur on Tour

Enrico Müller macht Frisieren zum Event

In Bülow bei Güstrow hat sich ein Friseur etabliert, der den Damen alle sechs Wochen die Haare nicht nur macht, sondern ihre Schönheit zu einem Event geraten lässt – und der deshalb zum Geheimtipp avanciert ist.

Eigentlich wollte ich Medizin studieren“, erzählt Enrico (32). „Aber meine Eltern ließen mich damals das Abi nicht machen, weil ich Vater wurde. Sie wollten, dass ich bald Geld verdiene.“ Also entschied sich der aus Sachsen-Anhalt gebürtige und nach der Wiedervereinigung mit seiner Familie nach Ostfriesland übergesiedelte junge Mann für eine Friseurlehre. Das erste Ausbildungsjahr absolvierte er auf dem Deich, dann wechselte er nach Oldenburg.

Während Enrico mit mir plaudert, fährt er Marion Schröder mit beiden Händen durch die nassen Haare. Marion oder Majooone, wie sie sich gern nennen lässt, kennt Enrico seit langem. Bei ihr in Bülow war er im Frühjahr 2005 zu Gast, als er erfuhr, dass das dortige Gutshaus zu verkaufen war. Er ließ sich das alte, denkmalgeschützte Gebäude aus dem 18. Jahrhundert zeigen und entschloss sich dann und dort, es zu kaufen. Einen Monat später war er „Gutsherr“.

Noch immer knetet Enrico Majooones Haare. Er scheint mit den Händen nach der geheimen Botschaft dieser Haare zu tasten, um herauszufinden, wie sie geschnitten werden wollen. Majooone und ihr Friseur stehen. Auf dem niedrigen Podest, auf dem sich Enrico seinen Schneidebereich eingerichtet hat, gibt es weder einen Stuhl noch einen Spiegel. „Ich arbeite im Stehen, weil nur diese Perspektive einen guten Schnitt ermöglicht“, erklärt er und nimmt die Schere zur Hand.

In Oldenburg hatte Enrico Glück mit seiner Lehrherrin. Sie brauchte nicht lange, um zu erkennen, welches Talent in ihm steckt, und förderte ihn im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Noch während der Lehrzeit wurde er Juniormitglied im Intercoiffure Oldenburg. Da sich die Umbruchszeit, in der er sich damals befand, nicht mit einem Leben in der Provinz vertrug, riet ihm seine Chefin schweren Herzens, nach Berlin zu gehen und dort sein Glück zu versuchen. Enrico packte also sein Hab und Gut in seinen kleinen MX5 und brauste in die Hauptstadt.

Feuchte, dunkle Haarlocken fallen von Majooones Schultern auf den Boden vor ihren Füßen. Wird man da nicht nervös, wenn man sich so ausliefert und keinen Spiegel hat, um die Kontrolle zu behalten? „Beim ersten Mal hat man einen Wunsch frei, den Enrico respektiert“, antwortet Majooone lachend. „Nein, Spaß beiseite. Es fällt mir und anderen Frauen leicht, uns ihm anzuvertrauen. Man bekommt einen Schnitt, der sechs Wochen hält und auch wirklich zu einem passt. Und mal ehrlich, so toll ist das nicht, was man beim Frisiertwerden von sich im Spiegel sieht. Da kann man sich besser gleich entspannen und Enrico die Arbeit machen lassen, von der er was versteht.“

„Berlin war eine Offenbarung für mich“, erinnert sich Enrico. Ein Dreivierteljahr brauchte er, um sich zurechtzufinden und sich an den Rhythmus der Stadt zu gewöhnen. Es war eine wilde Zeit. Dann fand er einen Job bei Chudy, einem ehemaligen Mitarbeiter von Udo Walz, und blieb dort zwei Jahre. Es folgte eine Station bei Elena d’Erchie, wo er, wie er sagt, endlich das Föhnen lernte, und die mit ihm alle Frisuren immer auf Italienisch besprach, weil sie aufgrund seines Namens meinte, dass er sie verstehen müsse. Im Januar 1999 schloss Enrico die Meisterschule ab.

Maja kommt und will von Enrico wissen, welche Farbe sie bei Steffi auftragen soll. „2/3 6K, 1/3 5N, einen Schuss 4N und Strähnen“, antwortet Enrico. „Das ergibt ein mittleres Kastanienbraun“, erklärt er – zu mir gewandt. „Wir sprechen nicht von Farbtönen, weil wir bei den Damen keine falschen Vorstellungen wecken wollen.“

Maja, Petra und Andy gehören fest zu Enricos Team. Sie sind eine GmbH. Maja macht alles außer Schneiden – dafür ist einzig und allein Enrico zuständig. Petra ist die Visagistin und sorgt dafür, dass die Gesichter der Damen sich natürlich in die neue Frisur schmiegen. Andy ist der Organisator und Kommunikationsknotenpunkt des Teams. Derzeit ist auch die Visagistin Evelyn Meißner aus Dresden mit von der Partie – immer wieder lädt Enrico befreundete Stylisten zur Zusammenarbeit ein, gelegentlich aber auch eine Floristin, deren Arbeit er mag.

Nach der Meisterschule arbeitete Enrico in Berlin bei Udo Walz, einem der drei besten Friseure in Deutschland. Ihm gefiel Udo und ihm gefiel die Atmosphäre in Udos Salon, in dem jeder ein Star sein möchte. Neu war für Enrico, dass er nun auch für die Ausbildung junger Kollegen zuständig war.

„Du bist fertig, Majooone“, verkündet Enrico. „Du kannst jetzt zu Maja zum Kolorieren gehen.“ Auf dem langen Catwalk schreitet Majooone bis hin zum Färbebereich und kann dort ihren neuen Schnitt zum ersten Mal im Spiegel betrachten. Der Weg dorthin führt durch einen liebevoll dekorierten, farblich sortierten Geschenkbasar, in dem Opulentes und Schlichtes eine einzigartige Symbiose eingehen. Wer darauf wartet, dass die aufgetragene Farbe einzieht, kann hier oder im ersten Stock, wo sich das für die Sinne so anregende Farb- und Lichtspiel fortsetzt, in Ruhe nach einem hübschen Mitbringsel oder einem ausgefallenen Dekoartikel suchen. Wer keine Lust auf Konsum hat, sitzt in der Bar, trinkt Kaffee, hört Musik und blättert in Zeitschriften.

Enrico kehrt Majooones Haare mit dem Besen zusammen. Als sie nach der Einwirkzeit zurückkommt, prüft er das Ergebnis der Koloration und beginnt mit dem Föhnen. Die jeweils abgeteilte, geföhnte Partie lässt er auf der Rundbürste, und so stehen mit der Zeit immer mehr Bürstenstiele von Majooones Kopf ab.

Bei einem Aufenthalt in New York lernte Enrico einen amerikanischen Stylisten kennen, der durch die Lande reist und den Damen der Gesellschaft die Wimpern färbt und die Augenbrauen zupft  –  für 150 Dollar. Das Konzept gefiel ihm. Und so begann er, mit Freunden, Bekannten und Kunden zu telefonieren und Termine zu machen. Was als Nebenbeschäftigung neben seiner eigentlichen Tätigkeit bei Udo Walz begann, entwickelte rasch eine eigene, zwingende Dynamik.

Inzwischen hat Enrico das Kapitel Udo Walz abgeschlossen und tourt mit seinem Team im Riesenwohnmobil durch ganz Deutschland. Im Sechs-Wochen-Rhythmus arbeitet er in Hamburg, Cloppenburg, München, Salzburg, Berlin, Dresden, Dortmund – und in Bülow. In Berlin betreibt er einen kleinen Laden in der Leibnitzstraße. Eine Dependence in Hamburg soll demnächst folgen. 2.500 Kundinnen hat er mittlerweile in seiner Kartei. Tausende Kilometer legt er Monat für Monat zwischen den Stationen pendelnd zurück.

Gelegentlich findet er die Zeit, in die USA zu fliegen. „Mir gefällt die Mentalität der Leute“, erklärt er. „Jeder Aufenthalt dort ist für mich eine Inspiration.“ Ein Flug nach San Francisco mit einem längeren Aufenthalt ist bereits fest eingeplant.

Enrico ist mit dem Föhnen fertig, tritt zurück und betrachtet Majooone. Hier und da zupft, zieht, glättet und ordnet er noch etwas. „Wir sind nicht besser als die Konkurrenz“, bemerkt er grinsend, „wir sind nur etwas genauer.“

 

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