• 5687 Aufrufe

Dresdner Single-Forscher weiß, was Singles wirklich wollen

Singles sind (zu) wählerisch in Sachen Partnerwahl, drehen sich nur um sich selbst, sind egoistisch und oft nicht bindungsfähig, – so hören sich Klischees an, die so fragwürdig sind, dass sich sogar die Forschung mit ihnen beschäftigt. Auch in Dresden findet Single-Forschung statt.

DISY SOLO sprach mit Prof. Dr. phil. habil. Karl Lenz, Professor für Mikrosoziologie und Dekan der Philosophischen Fakultät der Technischen
Universität Dresden.

Herr Professor Lenz, sind Beziehungen heute so schwierig, dass sich die Wissenschaft mit Ihnen befassen muss?
Für die Forschung genügt es bereits, wenn ein Phänomen existiert, um sich damit zu befassen. Wenn sich durchsetzen würde, dass Beziehungen zu dritt modern werden, würde man auch das erforschen. Beim Phänomen Singles hat sich ein Wertewandel vollzogen. Galten der Hagestolz oder die alte Jungfer früher als Karikaturen, deren Besonderheiten überspitzt dargestellt wurden, ist es heute nicht mehr anrüchig, Single zu sein. Die typische Single-Frau oder der typische Single-Mann sind keine Personen, die keine Beziehungserfahrungen haben – im Gegenteil: sie befinden sich in einer Übergangsform von einer voran gegangenen zu einer künftigen Beziehung. Dass jemand Single ist und bleiben will, weil er zu viele schlechte Erfahrungen gemacht hat, ist eher die Ausnahme, genauso übrigens wie Singles ohne jegliche Beziehungserfahrung. In der Regel wünschen sich Singles wieder eine neue Beziehung, aber sie soll besser
sein als die letzte. Wir wissen aber: die Single-Phasen nehmen zu.

47 Prozent der Dresdner Haushalte sollen laut statistischen Angaben Single-Haushalte sein – sind wir beziehungsunfähig?
Singles werden häufig mit Alleinlebenden verwechselt – das ist ein Kardinalfehler. Man muss kein Single sein, wenn man in einem Ein-Personen-Haushalt lebt. Fernbeziehungen oder Paare, die in getrennten Wohnungen leben, gelten zum Beispiel statistisch als Single, sind es aber in Wirklichkeit nicht. Auch Verwitwete kann man nicht zwangsläufig als Singles bezeichnen. Als Haushalt gilt, wer zusammen lebt und zusammen wirtschaftet, doch wie viele Singles leben in Wohngemeinschaften und werden statistisch gar nicht als Singles registriert? Oder wenn zwei Menschen ein sexuelles Verhältnis miteinander haben, sind sie dann nicht mehr Single? Amtliche Statistiken sagen nichts darüber aus, wie viele Singles es tatsächlich gibt. Und es kommt darauf an, was man überhaupt unter einem Single versteht.

Was verstehen Sie unter einem Single?
Ein Single ist eine Person mittleren Alters, die sich aktuell in keiner festen Paarbeziehung befindet. Kinder und Verwitwete kann man nicht als Single bezeichnen.

Warum betreiben Sie Single-Forschung?
Als Soziologe beschreibe und untersuche ich Entwicklungszusammenhänge der Gesellschaft, frage nach dem Sinn und den Strukturen des sozialen Handelns und den damit verbundenen Normen. Ich forsche zu allen persönlichen Beziehungen, schaue mir Beziehungsbiografien an, untersuche Paarbeziehungen und beschäftige mich daher auch seit über 20 Jahren mit Singles. Es gibt immer wieder neue spannende Themen; so bald ein Projekt
abgeschlossen ist, beginnt ein neues.

Sie arbeiten seit 1992 in Dresden, sind in Ihr 1998 erschienenes Buch „Soziologie der Zweierbeziehung“ auch Dresdner Studien eingeflossen?
Natürlich sind auch die Studien eingeflossen, die ich in den vorangegangenen sechs Jahren in Dresden durchgeführt hatte. Allerdings waren das keine Studien, die sich nur auf Dresden beschränkten. Der Anspruch des Buches ist auch ein umfassenderer: der internationale Forschungsstand zu Zweierbeziehungen wird dargestellt. Gerade sitze ich an der 3. Auflage dieses Buches, die im September erscheinen wird. Neben aktuellen Forschungsarbeiten, auch meine eigenen, werde ich auch die elektronischen Formen des Kennenlernens, also das Internet mit Single-Börsen, Chats usw., stärker berücksichtigen.

Gibt es in Deutschland eine andere Single-Kultur als zum Beispiel in
Amerika?

In der modernen Welt sehe ich da keine Unterschiede. Wie ähnlich sich die Lebenslagen sein müssen, haben wir an der Fernsehserie „Sex and the city“ gesehen, die in Deutschland eine hohe Aufnahmebereitschaft fand und einen beträchtlichen Einfluss hatte. Man kann sogar sagen, die Serie war so etwas wie ein kulturelles Modell. Die Bereitschaft zu heiraten, ist in Amerika allerdings höher als in Deutschland. Während man hier häufig schon nach der ersten Scheidung nie wieder heiraten will, wagen sich die Amerikaner zum dritten oder vierten Mal in die Ehe.

Was raten Sie allen bindungswilligen Singles?
Sie dürfen sich auf keinen Fall zurückziehen, sondern müssen sich in ein soziales Gefüge integrieren – je größer, desto besser. Besonders bei allein erziehenden Frauen ist das schwierig, weil sie ihre wenige Freizeit häufig mit ihren Kindern verbringen wollen. Singles sollten offen, sensibel und kommunikationsbereit sein und für potentielle Partner ein Minimum an gemeinsamen Interessen aufbringen bzw. Spaß an gemeinsamen Unternehmungen haben. Wenn einer gern segelt und der andere nicht schwimmen kann, wird es schwierig. Auch krampfhaftes Suchen führt selten zu einer tragfähigen Beziehung.

Warum dauert es bei manchen so lange, bis sie ihr Single-Dasein beenden
können?

Die Erwartungen an den Idealmann/die Idealfrau sind häufig sehr hoch. Beziehungen scheitern oft daran, dass vom Partner erwartet wird, Lebensglück vermittelt zu bekommen. Wenn das eigene Glück nicht gelebt werden kann, gibt man die Beziehung auf. Persönliche Defizite werden nicht erkannt und daher auch nicht bearbeitet. Beziehungsangst spielt keine Rolle dabei. Die Leute fliehen nicht aus einer Beziehung, sondern sie sehnen sich danach.

Was sollte unbedingt noch erforscht werden?

Mich interessieren im Moment Nebenbeziehungen. Das Thema Seitensprung wurde in Deutschland bisher ausschließlich journalistisch behandelt, wissenschaftlich noch nicht. Das habe ich jetzt vor und konzipiere gerade eine Studie dazu. Unter anderem soll untersucht werden, warum Menschen eine zusätzliche Beziehung eingehen, für wie lange und wie sie diese besondere Konstellation managen.

Wie finden Sie Ihre Studien-Teilnehmer?
Die Menschen sprechen gern über Beziehungen… Zum Teil annoncieren wir, oft melden sich aber Freiwillige durch Mund-zu-Mund-Propaganda.

Können sich auch DISY-Leser an Sie wenden, wenn Sie an einer Ihrer
Studien teilnehmen wollen?

Selbstverständlich, sie können mir eine Email schreiben.(karl.lenz@tu-dresden.de).

Vielen Dank für das Gespräch. Das Interview führte Dagmar Möbius.