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Es gibt immer eine Lösung
Er fährt mit einem Kanu den Yukon ab, nimmt seine Familie mit in die Wildnis und besucht die abgelegensten Orte der Welt. Andreas Kieling ist mehr als ein Dokumentarfilmer, Naturschützer und Fotograf. Er ist Abenteurer. Disy-Chefin Anja K. Fließbach und Kieling-Fan Daniel Schreyer trafen ihn zum Interview - ein Gespräch über Natur vor der Haustür, unbändige Neugierde und die aggressivste Art auf unserem Planeten.
Nach so vielen Jahren auf Reisen was treibt Sie noch an? Kieling: Es ist die nicht endende Neugierde und Leidenschaft. Wenn ich mich von einer Stelle verabschiede, dann immer mit dem Wunsch, wieder zu kommen. Am liebsten würde ich 250 Jahre alt werden, um all die Orte erneut zu sehen. Allein bei den Berggorillas war ich bereits fünf Mal und möchte sie wieder besuchen. Genauso wie die Wüstenelefanten der Namibwüste und die Bären am Yukon.
Haben Sie einen Lieblingsort oder hat jedes Land seine eigene Faszination? Kieling: Bei meiner Yukon-Reise war ich sieben Monate unterwegs, aber ins Land verliebt habe ich mich nach sieben Minuten auf dem Fluss. Aber auch das Elbsandsteingebirge ist wunderschön. Man muss nicht weit reisen, um tolle Sachen zu entdecken.
Sind diese Reisen nicht gefährlich und schrecklich anstrengend? Kieling: Natürlich sind sie das. Als ich mit meinem Kanu auf dem Yukon-River Richtung Beringsee unterwegs war, wollte ich eigentlich die Strömung nutzen. Eingeplant hatte ich einige dutzend Meilen am Tag. Allerdings war die geringe Strömungsgeschwindigkeit und der Gegenwind so stark, dass ich an einem Tag trotz intensivstem Paddeln nur wenige Meilen schaffte. Dann sperrte mich der Regen tagelang ins Zelt und beraubte mich meiner Kraft. Ich musste aber weiter. Wäre der Fluss zugefroren, hätte ich die Reise abbrechen müssen. Ich habe gelernt, dass es für jede verzweifelte Situation eine Lösung gibt. Ich glaube an mein Selbstvertrauen, meine Erfahrung und meinen Instinkt. Die Menschen in Deutschland wünschen sich meist 100 Prozent Sicherheit, aber die gibt es nicht. Wenn ich jedes Mal meine Neugierde hinterfragen würde, könnte ich nicht auf diese Reisen gehen.
Ist das auch ein Tipp für andere? Einfach mal loslegen? Kieling: Genau! Traut euch einfach mal etwas zu, legt los und hinterfragt nicht ständig alles. Klar kann ich niemanden zwingen, auf Reisen zu gehen. Schließlich habe ich Verantwortung gegenüber anderen, beispielsweise meiner Familie.
Das wäre Ihnen auch beinahe zum Verhängnis geworden? Kieling: Während meiner Yukon-Expedition mit Erik stießen meine Frau Birgit und mein Sohn Thore zu uns. Die Wildnis und die Familie barg ein gewisses Konfliktpotenzial. Meine Frau hatte bereits negative Erfahrungen mit den Sandbänken gemacht und große Bedenken mit dem Tardis, das ist mein Segelboot, den Fluss zu befahren. Tatsächlich geschah, was meine Frau befürchtete: wir fuhren auf eine Sandbank auf. Zum Glück halfen uns Indianer, das Boot frei zu bekommen, sonst hätten wir aufgeben müssen. Wie gesagt es gibt immer eine Lösung.
Sind Sie lieber alleine unterwegs? Kieling: Je kleiner ein Team ist, desto erfolgreicher ist es. Ich bin eher der Abenteurer und brauche keine Entourage, die auf mich aufpasst. Ich schätze die Stille. In Alaska und Nordkanada herrscht noch unberührte Natur, dort erlebt man grenzenlose Freiheit und große Gefühle. Dort genieße ich die Stille, stelle eine Nähe zur Natur her und bewege mich ohne Angst. Angst lähmt nur.
Bei Ihren Film-Dokumentationen waren Sie schon häufig mit Frank Gutsche unterwegs. Kieling: Ja, wir verstehen uns sehr gut, obwohl er bei den Vorbereitungen auf unsere Reisen das komplette Gegenteil von mir ist.
Ihnen begegnen viele wilde Tiere. Haben Sie vor denen denn keine Angst? Kieling: Ich lese viel über Tiere und eigne mir vor meinen Reisen Wissen an. Viel Erfahrung ziehe ich auch aus meinen eigenen Expeditionen und Begegnungen Tieren. So zum Beispiel, als ich das erste Mal einem Bären gegenüberstand. Da musste ich mich fast übergeben. Tiere verstellen sich nicht. Gerade bei den Bären lernte ich, Scheinangriffe von echten zu unterscheiden. Man muss den Tieren immer mit Respekt begegnen. Das ist nicht immer einfach. Von den fünf Menschen, die den Bären überhaupt so nahe kamen, leben nur noch zwei – einer davon bin ich.
Für Ihre spektakulären Aufnahmen müssen Sie sehr nah ran an die Tiere... Kieling: Richtig! Da gehe ich auch immer ein gewisses Risiko ein. Bei den Wüstenelefanten war ich einem Angriff durch die Leitkuh ausgesetzt und konnte mich Dank meiner Erfahrung retten. Die Tiere gehen nicht gern auf Erhebungen und auf so eine bin ich geklettert. Jahre später besuchte ich die Herde erneut und die Leitkuh erkannte mich nach wenigen Worten.
Wie kommen Sie an Ihre Aufträge? Kieling: Häufig arbeite ich für das ZDF. Ich habe viele Ideen und schlage diese dem Sender vor. Aus den etwa zehn Vorschlägen, die ich pro Jahr einbringe, entwickeln sich ein bis zwei zu einer Dokumentation. Natürlich ist das Arbeit, schließlich muss ich auch Geld verdienen. Aber das Abenteuer und die Tiere stehen für mich immer noch an oberster Stelle.
Bären, Angriffe von Elefanten und die wilde Natur. Das ist gefährlich. Beschäftigen Sie sich mit dem Tod? Kieling: Das Leben endet mit dem Tod – das ist einfach so. Ich glaube nicht an Reinkarnation, sondern dass wir in unseren Kindern weiterleben. Für mich ist es wichtig, am Ende meinen Seelenfrieden gefunden zu haben – glücklich zu sein. Die Inuit haben früher ihre Alten zum Sterben auf Eisschollen ausgesetzt. Ein alter Bär gräbt sich eine Höhle und stirbt dort für sich alleine. Ich habe keine Angst vor dem Tod.
Fühlen Sie sich vom Schicksal begünstigt? Kieling: Mittlerweile glaube ich an das Schicksal, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass ein Mensch so viel Glück haben kann wie ich. Ich bin kein Atheist, jeder Mensch glaubt an etwas. Ich fühle mich zur Edda hingezogen, zum Nordischen. Die Edda ist ein literarisches Werk aus dem Mittelalter über die skandinavischen Götter- und Heldensagen. Meinen Anhänger – Thors Hammer – habe ich immer dabei. Heute berufen wir uns auf spirituell-religiöse Dinge erst, wenn es uns schlecht geht. Dabei waren wir 99,8 Prozent des Evolutionszeitraums schon glücklich, wenn wir mit Pfeil und Bogen ein Ziel trafen und als Jäger und Sammler unser Bedürfnis nach Fett stillen konnten.
Sie tragen noch einen anderen Anhänger. Kieling: Das ist die Nachbildung eines Silberstückes der alten Wikinger. Es symbolisiert das Drachenboot, Fisch und das Meer. Das Original wurde während einer Ausgrabung in Haithabu entdeckt, einer Wikingersiedlung vor den Toren der Stadt Schleswig. Die Menschen zahlten nicht mit Münzen, sondern mit sogenanntem Hacksilber. Das Silberstück spiegelt einen Teil meiner Weltanschauung wider. Es steht für Furchtlosigkeit, Entdeckertum, und den Wunsch, den Dingen auf den Grund gehen zu wollen.
Welche Botschaft geben Sie Menschen auf Ihren Vorträgen mit? Kieling: Der Mensch ist die aggressivste Art, die derzeit die Erde besiedelt. Während der Evolution sind schon immer Tierarten ausgestorben, jedoch nie in so rapider Geschwindigkeit wie heute. Der Mensch entfremdet sich immer mehr von der Natur. Ich möchte ein Bewusstsein für die Umwelt schaffen. Auch unsere heimische Flora, Feuersalamander, Eidechse und Singvögel erzählen ihre Geschichte von selbst. Sie glauben gar nicht, wie viele Tiere Sie entdecken, wenn Sie sich in der Sächsischen Schweiz für eine Stunde ruhig hinsetzen. Ich will die Leute über meine Leidenschaft infizieren und zum Nachdenken bringen.
Was wünschen Sie sich persönlich für die Zukunft? Kieling: Natürlich wünsche ich mir Gesundheit und vier weitere Kinder. Kinder sind Zukunft. Ich bin dankbar für das, was ich erleben durfte.