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92. Beitrag: "Der Berg zum Ruhme Buddhas" (13. April)

Ich liebe die Amadea und ich habe oft betont, wie gern ich die Menschen an Bord mag (auch JJ). Auch mag ich es, dass man - außer in der Kabine - nie allein ist. Das ist besser als einsam zu Hause oder gelangweilt irgendwo. Ich unterhalte mich gern, lerne gern Menschen kennen, beobachte. Aber einer meiner schönsten Ausflüge hatte ich in Taiwan zum Berg zum Ruhme Buddhas. Ganz allein...
Meine Tochter ging mit Freunden zu einem Ausflug und ich nahm den Passagierbus des Schiffes zum Fukuangshan, besagtem Berg. Darauf befand sich ein großer buddhistischer Klosterkomplex eine Autostunde südöstlich von der Hafenstadt Kaohsiung, wo unser Schiff lag. Ich verabschiedete mich von den Passagieren und ging meines Weges.
Der Komplex mit angeschlossenem College war riesig und - still. Ein Frieden lag über dem Kloster. Ich lief, wie mein Gefühl mich leitete. Manchmal nahm ich eine Treppe hinauf und genoss die Perspektive von unten auf die kleinen und großen Nebentempel, Gebäude, Glocken, goldenen Statuen. Ich lief Wege entlang, Hügel hinab und schlich leise in die Tempelgebäude, um nicht zu stören. Überall roch es nach Räucherstäbchen, war dieser ruhige Singsang der Mönche zu hören, brannten kleine Lichter in Nischen und Ecken. In einem Tempel standen viele kleine Buddhas auf Podesten in der Wand mit Namenstafeln der Spender. Ich betrachtete sie still. Als ich mich umdrehte, kniete eine taiwanesische Familie hinter mir und betete. Ich hatte sie nicht hereinkommen gehört. Sie hatten die Augen geschlossen und hielten je ein Räucherstäbchen über den Kopf. Sie sahen traurig aus und ich schlich still hinaus. Eine ruhige Melancholie erfasste mich. Mein Schritt verlangsamte sich. Dann blieb ich stehen und blickte auf die vielen Blumen, die links und rechts des Weges wuchsen. Ich genoss die Farben der Mauern, zog die Räucherstäbchenluft tief ein und strich zärtlich über eine der goldenen Buddhastatuen. "Don´t touch" stand auf einem Schild gegenüber. Sorry! Ich ging über eine Allee mit 480 Buddhafiguren, die je 1,80m groß waren (das stand auf einem Handzettel aus dem Kloster, gemessen und gezählt habe ich nicht) und kam zu der mit  36m alles überragenden, goldenen Buddhastatue. Ein Stück weiter setzte ich mich auf den Rand eines Brunnens. Ich hörte auf das Wasser und dachte an nichts. Ist euch schon mal aufgefallen, wie selten wir an nichts denken. Eigentlich nur in der Meditation. Aber hier in diesen stillen Klosteranlagen, in diesem Frieden, der Harmonie und Ruhe, saß ich nur da. Nur SEIN. Nichts werden, nichts wollen, nicht gewesen sein. Nur SEIN. Zum Glück kam eine buddhistische Nonne mit einer kleinen Gruppe Besucher um die Ecke (sie hatte ein Mikrofon, eine andere den Lautsprecher) und holte mich zurück. Ich hatte den Bezug zur Zeit verloren. Schließlich durfte ich trotz allem Frieden die Abfahrt des Busses nicht verpassen, der zurück zum Schiff fuhr. Ein paar Wochen in diesem Kloster wären zwar toll, aber nicht ohne meine Tochter.
Also ging ich zum Schluss zum Haupttempel. Am Eingang saß eine Nonne und ich begann ein Gespräch. Sie hatte einen kahl geschorenen Kopf, war klein und trug ein braunes Gewand. Sie lebte in dem Kloster. Von ihrem Gesicht konnte man nicht ablesen, ob sie glücklich oder unglücklich war. Ehrlich gesagt, schien sie mir eine Spur zu ernst und etwas traurig. Aber vielleicht lag das auch an meiner feierlichen und gediegenen Stimmung. Sie erzählte mir vom Aufstehen um vier Uhr, von Tai Chi – Übungen und Gebeten und sie gab mir stolz besagten Handzettel mit Informationen. Noch vor drei Jahren war das Kloster für die Öffentlichkeit geschlossen. Seit der Öffnung haben die Nonnen gelernt, mit Besuchern und Touristen umzugehen, findet man Broschüren, sogar Verkaufsstände dort. Schade. Ich hatte Glück mit der Ruhe an diesem Tag. Außer unserer kleinen Gruppe vom Schiff, zu der ich mich antizyklisch bewegt hatte, waren nur wenige Personen da. Im Haupttempel war ich ganz allein. Naja, doch eigentlich nicht ganz. Außer mir gab es noch drei große, goldene Buddhastatuen. Schön. Ich stand da und betrachtete sie. Sie saßen da und betrachteten mich. Etwas Eigenartiges war in dem Raum und wenn ich nicht so entspannt gewesen wäre, hätte ich mich fast etwas gegruselt. Unter dem Dach gab es einen schmalen Streifen Glas, durch den die Sonne in eigenartigen Strahlen herein fiel. Es hatte etwas Sphärisches, Wegweisendes, Mystisches. Ich war noch nie allein in so einem Tempel gewesen.
Die Nonne am Ausgang nickte und wies mit ihrem Arm den Weg zum Ausgang aus dem Kloster. Ich ging breite Treppen hinunter bis ich zu dem großen Tor kam. Kurz blieb ich davor stehen. Auf der anderen Seite war die Welt. Auf der anderen Seite war das Leben. Auf der anderen Seite war die Zukunft. Ein letztes Mal atmete ich tief den friedlichen Geruch der Räucherstäbchen ein, lauschte noch einen Moment den Gesängen. Die Sonnenstrahlen, der Arm der Nonne und die Treppen hatten hier her gewiesen. Ich musste durch dieses Tor! Raus. In die Wirklichkeit. Also: Schultern hinter, Kopf hoch und mit festem Schritt losgehen. Wie immer eben – aber irgendwie stärker und zufriedener.

Anja Fließbach: Freitag, 13 April 2007, 23:39 Uhr