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81. Beitrag: "Nichts ist wie immer" (1. April)

Okay, es sind jetzt fünf Tage seit Singapur. Laut Prognosen der erfahrenen Crewmitglieder müsste schon seit zwei Tagen die Schiffswelt nach dem Weggang unserer Freunde so sein wie immer. Ist sie aber nicht…

http://blog.brigitte.de/.shared/image.html?/photos/uncategorized/2007/04/01/abschied_singapur_3_117.jpg Es ist alles anders. Neue Passagiere, klar. Aber auch neue Leute an so genannten Schlüsselpositionen: die Hausdame, Hotelmanager, Barchef, Restaurantleiter, Küchenchef, die zwei guten Rezeptionsmänner - alle weg und alle Positionen neu besetzt. Da kann es einfach nicht so weiter gehen wie immer. Schließlich haben die Menschen vorher mit ihrem Wesen ihren Job ausgefüllt und mit ihrem Charakter zum Schiffsleben und zur Stimmung beigetragen. Die Neuen tun das genauso und sie haben garantiert die schwerere Aufgabe, denn vor allem die Weltreisegäste sagen: "Aber vorher war das so und so...", "Wir sind es so gewohnt..." und ungerechterweise kommt auch manchmal "Es war alles besser..."

Das ist natürlich Quatsch. Alles besser kann man so pauschal nicht sagen. Es ist anders. Auf jeden Fall nicht so wie immer. Aber deshalb nicht schlechter.

Was ich auf dem Schiff beobachtet habe ist die berühmte "Macht der Gewohnheit". Die Leute setzten sich meistens die ganze Reise an den Tisch im Restaurant, an dem sie den ersten Abend gesessen haben. Möglichst noch mit den gleichen Leuten. Obwohl es auf der Amadea eine freie Sitzung gibt, das heißt, man kann zwischen sechs und neun Uhr abends essen gehen wann man will, in welches Restaurant man möchte (wir haben zwei) und an den Tisch, der einem gefällt. Bei anderen Schiffen sind Zeit und Platz fest reserviert. Was machen die Leute aber? Wollen es jeden Abend gleich, möglichst noch mit dem gleichen Kellner und dem Wein, den sie immer haben.

Auch die Liegen auf den Außendecks sollten bitte immer die sein wie am Vortag und am Tag zuvor. Ich habe schon erlebt, dass fast alles frei war und eine Frau um die einzige besetzte Liege kämpfte. Sie wollen es eben alle gern so wie immer.

Ich eigentlich nicht, dachte ich. Abwechslung, Neues entdecken, neue Leute treffen. Soll ich euch was sagen? Ganz ehrlich: Ich hätte es auch gern so wie immer. Das hat sicher etwas mit dem Trubel und den vielen Eindrücken an Land zu tun. Die Länder, Kulturen, natürlich auch die verschiedenen Gefühle. Da ist es schön, wenn man eine Konstante hat. Das ist unsere Amadea auf jeden Fall. Ein gutes Zuhause. Aber das sind natürlich auch die Freunde, die normalerweise immer da sind.

Nun, nichts gegen die Neuen. Tolle Leute und sie bereichern das Schiff und auch mein Leben, weil sie wieder andere Erfahrungen gemacht haben als die anderen, neue Ansichten, verschiedene Einstellungen. Verstehen kann ich sie manchmal noch nicht, aber es ist interessant, ihre Beweggründe und Hintergründe zu erfahren.

Auch ist es spannend zu sehen, an welchen Ecken und Kanten es "hängt", bis sich alles wieder eingespielt hat. Da fehlen bei der Auslaufparty in Singapur eine dreiviertel Stunde lang die Sektgläser, weil sie nicht gefunden werden. Da bekommt man nachts um eins an der Bar keinen Tee mehr, weil die Kaffeemaschinen schon sauber gemacht wurden. Da heißt es an der Rezeption, man wisse nicht wer an Bord ist, weil es zu anstrengend ist, ins System zu schauen oder man vergisst den Reparaturauftrag für den Fernseher weiter zu geben und schwindelt sich heraus. Oder man lässt die restlichen Adressen für die Postkarten für die brigitte.de – Leserinnen im Computer übrig, verspricht, sich zu kümmern und ward nicht mehr gesehen. Das sind alles nur Kleinigkeiten. Aber viele solcher kleinen Ärgerlichkeiten können einem Gast die Laune verderben.

Zu sagen, die Zimmer wären nicht mehr ordentlich, weil eine neue Hausdame da ist, wäre völlig daneben. Alles pikobello wie immer. Zu sagen, dass mir das Essen aus Solidarität nun nicht mehr schmeckt, wäre auch falsch. Es sind schließlich die gleichen Köche, wenn auch ein anderer Chef.

Aber trotzdem ist es nicht so wie immer.

Louisa streikt. Sie wollte schon am ersten Abend nicht in die Küche. Alle Überredungskünste brachten nur ein: "Ich habe keinen Hunger." Eine Stunde saß sie still im Restaurant bis ich mit Sous - Chef Christian redete und er sie mitnahm. Sie kam mit einer Tüte M&M aus dem Küchenchef - Office. Fast wie immer. Aber eben doch nicht. Den nächsten Tag war sie nicht in der Küche, gestern auch nicht. Dabei kann der neue Chefkoch auch UNO spielen.

So ist eben zurzeit, zumindest für uns zwei, nichts wie immer. Für die meisten anderen Passagiere und Crewmembers ist inzwischen sogar schon wieder so etwas wie Routine eingekehrt. Das ist normal und gut und wichtig. Für uns ist es das nicht. Für uns ist immer noch und wird auch bleiben – nichts wie immer.

Musiktipp zur Stimmung: Titel "Here for you", Chris de Burgh, "The Road to Freedom"

Anja Fließbach: Sonntag, 1 April 2007, 23:16 Uhr