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8. Beitrag: "Viele Grüße von irgendwo" (31. Dezember)

Gerade habe ich eine E-mail an eine Freundin geschickt: "Viele Grüße von irgendwo auf dem Atlantik". Ist das nicht wunderbar? Viele Grüße von irgendwo?
Auf dem Fernseher in der Kabine haben wir zwar sehr genaue Informationen, Karten und Bilder, aber der Pfeil, der das Schiff kennzeichnet, befindet sich gerade mitten im "Blauen" zwischen Afrika und Amerika. Da steht: Position 14:59 GMT, 09°10.20´ N, 026°52.93´W. Kurs 199°. Alles klar? Sag ich doch: Irgendwo.

Die Fahrtgeschwindigkeit übrigens beträgt 17,1 Knoten und der Wind liegt bei 10 Knoten. "Relativer Wind", steht da als fachliche Beschreibung. Heute in der Nacht stand da gar nichts. Genau dann, als ich mich vergewissern wollte, dass alles an Bord funktionierte, waren auf dem Fernseher nur bunte Schlieren zu sehen. Warum ich in der Nacht nicht geschlafen habe? Richtig: Seegang. Nach den ersten sehr ruhigen Tagen an Bord hatte ich schon die abstrakte Hoffnung, das Schiff sei schaukelresistent. Es bewegt sich zwar stetig, dafür ist es ein Schiff. Aber das sanfte Vibrieren und Wackeln lässt einen wunderbar schlafen und gibt einem eine gewisse Leichtigkeit. Wie in einer Wiege. Letzte Nacht nun, na ja, es war als ob man auf einem Stuhl sitzt, sich jemand einen Scherz erlaubt, indem er den Stuhl nach hinten reißt. Man hofft, dass derjenige den Stuhl noch auffängt, bevor er auf den Boden fällt.

Gerade am Abend vorher hatten wir mit dem Kreuzfahrtdirektor in der Jupiter-Bar gesessen und ich hatte ihn rhetorisch gefragt, was für die Ohren meiner Tochter bestimmt war: "Das Schiff kann nicht kippen, stimmt´s?" Seine Antwort war die falsche: "Nein. Zumindest nicht bei so etwas."
Mit der Frage "Bei was dann?" beschäftigte ich mich nun in der letzten Nacht im Bett, hin und hergerollt von der See. Leider bin ich unglaublich kreativ und so fielen mir zahlreiche Varianten ein.

Klar ist das Unsinn. Das Schiff ist sicher und auf dem neuesten Stand der Technik. Es gibt in jeder Kabine Internetanschluss über den Fernseher oder das Laptop. Wie oben beschrieben haben wir immer aktuell Karten, Daten und Fakten elektronisch in der Kabine. Sogar eine Bordkamera ist mit dem Internet verbunden, wo die Menschen von überall auf der Welt den Blick nach vorn von der „MS Amadea“ genießen können (über die homepage vom Veranstalter zu sehen, siehe Autorenprofil). Also gehe ich davon aus, dass die übrige Technik an Bord genauso gut funktioniert. Die Sache mit dem Bild in der Nacht war sicher eine Ausnahme. Außerdem machen der Kapitän und seine Mannschaft einen zuverlässigen und erfahrenen Eindruck. Trotz allem wird man auf so einem Schiff auf der Mitte des Atlantiks erinnert, dass der Mensch der Natur unterlegen ist. Das vergisst man in der Großstadt bisweilen.

Die Gerüchteküche beim morgendlichen Frühstück und die ausgeschmückten nächtlichen Erlebnisse und Vermutungen, die sich die Passagiere erzählten, wurden durch die Erklärung des Kreuzfahrtdirektors über Lautsprecher gebändigt: Nördlich von uns hatte es eine Schlechtwetterzone mit Regen und Sturm gegeben. Die Ausläufer des Sturmes waren als Dünung bei uns angekommen.
Die Information beruhigte mich und offensichtlich die anderen Passagiere auch. Wir konnten davon ausgehen, dass es nicht so wackelig weiter ging. Zumindest bis wir in die Gegend von Kap Horn kommen würden. Doch bis dahin hatten wir eine Schonfrist verdient.
Louisa übrigens hat die ganze Nacht friedlich geschlafen und nichts mitbekommen. Wir sollten mehr von unseren Kindern lernen.

Am Nachmittag nach der Wackelnacht folgten wir einer Einladung zum "Cocktail im Kapitänsgarten". Hobby-Gärtnerin Louisa war sehr gespannt und dann enttäuscht. Wie einige andere Passagiere auch, die der Einladung gefolgt waren. Die freie Fläche auf dem Promenadendeck ganz vorn war mit grünem Outdoor-Teppich bedeckt. Eine müde Palme schmückte den Bereich. "Wir suchen Paten für Pflanzen", erklärte die Schiffsleitung. Wir genossen den Cocktail trotzdem und schwatzten mit dem Kapitän. Werner Detampel beruhigte nun mein Kind: "Ich verspreche dir, das Schiff kippt nicht um." Ein Mann, ein Versprechen. Auch im schlimmsten Sturm, meinte er, kann ein Schiff heutzutage nicht untergehen, wenn es in einem guten Zustand ist und ordentlich gemanagt wird. Wenn etwas passiert, würde es oft an einem Fehler des Managements oder an der Ladung liegen. Wie damals bei der Pamir, die an etwa der Stelle gesunken ist, an der wir gerade waren. Der Kapitän erzählte, dass er in der vergangenen Nacht um fünf Uhr erwacht war und feststellte: "Der Kahn wackelt." Sofort  war er auf die Brücke gegangen und hatte die Stabilisatoren ausfahren lassen. Das sind so etwas wie hydraulische Flügel, die rechts und links vier Meter ins Meer reichen und das Schiff einigermaßen gerade halten. Er lachte, als ich ihm etwas von einem Kiel erzählte. "Die haben doch moderne Schiffe schon lange nicht mehr." Die Stabilität eines Schiffes sei die Fähigkeit, sich aus allen erdenklichen Positionen von selbst wieder aufzurichten. Es klang so, als ob das die "MS Amadea" gut könnte.

Autorin: Anja K. Fließbach
(Geschrieben am Sonntag, dem 31. Dezember 2006, 16:09 Uhr)

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(Letzte Aktualisierung: 02.01.2007)