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72. Beitrag: "Niemals wieder..." (21. März)

Wow, was für eine Endgültigkeit liegt in diesen Worten. Ich habe sie heute Abend gesagt: "Wisst ihr eigentlich, dass wir wahrscheinlich niemals wieder so zusammensitzen werden wie heute?" Wer die Situation hier nicht kennt, die betreffenden Menschen, das Schiff und die Atmosphäre, kann es nicht nachvollziehen. Wie oft müsst ihr diese Worte sagen und euch dabei relativ sicher sein, dass es stimmt? Ich muss sie oft sagen auf dieser Weltreise...

Ob ich will oder nicht und natürlich würde ich alles tun, sie zu vermeiden. Ich möchte so gern wiederholen. Nochmal auf "Start" drücken, noch mal zurückspulen, noch mal genießen. Nein, es wird sich niemals mehr wiederholen! Ein Augenblick, vorbei. Vielleicht vergessen.
Ich saß mit zwei Freunden. Nicht das erste Mal. Im Gegenteil, es war zu einer kleinen Tradition geworden. Zwei Freunde. Geborgt, geliehen, auf Zeit - und doch so nah, so eng und wahrhaft, dass es mich tief berührte. Ich liebte diese zwei Menschen auf eine besondere Weise. Sie gehörten für mich zum Schiff. Sie gehörten zu dieser Reise. Aber - sie gehörten nicht mir. Natürlich nicht. Sie waren geliehen für diese Augenblicke der Harmonie, der Freude, des „So kann es auch sein“,  der Vertrautheit, der Freundschaft.
Zwei Menschen vom Schiff. Vertraut mit solchen Situationen, mir um viele Dinge voraus, erfahrener. Ich bin das Kücken mit Illusionen und dem unerträglichen Wunsch, festhalten zu können. Verflixt! Warum ist es so schwer, den Augenblick zu genießen. No matter what. Egal was kommt, was wird oder nicht wird. Werde ich wieder in mein altes Leben schlüpfen und ihre Spuren werden in meinem und meine in ihrem Leben verblassen? "Na, wir werden uns garantiert hier wieder sehen", sagen sie, meinen einander und haben ihr Verträge schon so gut wie in der Tasche. Und ich? Keinen Vertrag, keinen Plan, keine Zukunft. "Schön, dass ihr zwei euch erhalten bleibt", sage ich und will fragen: "Und ich?" Ich weiß, sie meinen es nicht ernst und doch... Ihr Lieben, was denkt ihr war die Antwort? Wer den blog bis hierher verfolgt hat kann es sich denken. "Es kommen immer wieder Neue...", sagten sie und ärgerten mich damit freundschaftlich. Nur dass ich dieses Mal auf der anderen Seite stehe. Ich bin die, die nicht mehr da sein wird. Wird man sich erinnern? Wird man einmal sagen: "Weißt du noch? Die Anja..." Wenn ich realistisch bin, werden sie es nicht erwähnen. Vielleicht wird einer flüchtig daran denken. Vielleicht werden die neuen Eindrücke die alten Erinnerungen verblassen lassen. Vielleicht wird es manches Mal einen Moment, eine Situation, ein Lied oder einen Ort geben, wo mein Bild flüchtig wieder auftaucht.
"Niemals wieder." An Land ist diese Aussage fast immer relativ. Möge das Schicksal dafür sorgen, dass es auf See ein bisschen auch so ist. Aber...
Einer steigt aus, einer bekommt Besuch. Die Wertigkeiten ändern sich, die Prämissen sind nicht die gleichen.  Auch ich werde mich neu orientieren müssen, ein neuer Tagesablauf, dass die Erinnerungen nicht so schwer tragen, neue Stationen an Bord, neue Freunde. Natürlich will ich nicht! Aber, ich habe keine Wahl. Entweder ich sitze demnächst jeden Abend in der Kabine oder ich orientiere mich neu.
Ich bin ein Mensch, der dazu neigt, zu dramatisieren, wenn die Dinge ihn persönlich angreifen. Aber -ich erlebe hier einen Hauch davon, wie es ein wird, einmal gar nicht mehr da zu sein. Kennt ihr auch das Gefühl, wenn man einen lieben Menschen für immer verliert (ich habe es so mit meinem Opa und mit meinem Onkel erlebt), dass es nicht sein kann, nicht sein darf, dass sich die Welt normal weiter bewegt? Müsste die Welt nicht stehen bleiben. Wenigstens einen Augenblick? Müssten die Menschen nicht inne halten? Wenigstens eine Minute? Es ist so verrückt, wie wichtig wir unsere Rolle nehmen und wie unwichtig wir im Verhältnis sind. Sie war da. Es war schön. Sie ist weg. Schade. Es sind Neue da, gebt uns ein paar Tage, dann sind wir drüber weg.
Dabei kann man denen, die nach uns kommen, keinen Vorwurf machen. Es ist ihre persönliche "Überlebensstrategie" (ich dramatisiere wieder!) Auch sie wollen nicht leiden und wenn wir sie gern haben, wollen wir genau das. Dass sie nicht leiden!
"Es wird niemals mehr so sein, wie in diesem Augenblick." Wohl denen, die es in diesem Augenblick spüren. Die es nicht erst greifen, wenn es vorbei ist. Genießt!!! Meine Güte, wie soll ich es euch noch sagen: Genießt!!! Genießt!!! Genießt!!! Jetzt, nicht morgen. Heute, nicht irgendwann. Und macht nicht den Fehler wie ich: Traurig sein schon in dem Moment, wo es schön ist. Traurig sein, über die Kürze des Augenblicks. Beleidigt sein über die eigene winzige Rolle und dem unsagbaren Wunsch, wenigstens Spuren zu hinterlassen.
Liebe Leser, macht etwas aus meinen Beiträgen zu diesem blog. Jeder für sich persönlich. Hinterlasst Spuren, Zeichen, Erinnerungen. Grabt euch ein. Zeigt, dass ihr da gewesen seid. Macht, dass eure Familie, eure Mitmenschen, eure Freunde euch nicht vergessen. Seid wichtig!
"Niemals mehr?" Sicher. Bestimmt. Vielleicht. Aber: Unvergessen wenigsten!

Musiktipp zur Stimmung: "Read my name", Chris de Burgh, "The Road to Freedom"

Anja Fließbach: Mittwoch, 21 März 2007, 22:42 Uhr