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5. Beitrag: "So ein dickes Schiff" (26. Dezember)

Es war neblig, als der Flug AB 5480 am 24. Dezember sechs Uhr morgens startete ...
Doch das Lichtermeer der Startbahn leuchtete hell und sah aus wie die Weihnachtsdekoration bei Macys in New York: Bunt, üppig, warm und einladend. "Oh", staunte meine Tochter und wie die anderen Passagiere drückte sie ihre Nase an das kleine Fenster neben sich. Dann drehte der Flieger auf die Startbahn und es ging los - unsere Weltreise.

Viele Kinder waren in der Maschine der Air Berlin, Familien, Paare, junge Menschen, alte. Was waren das für Leute, die am Weihnachtstag im Morgennebel auf die Kanarischen Inseln düsten? Ich verbrachte die Zeit damit, mir Geschichten zu den Leuten auszudenken, die im Laufe der reichlich vier Flugstunden an unserem Platz vorbei kamen. Urlauber? Festflüchtlinge? Einsame Menschen? Insulaner und Hausbesitzer? Kinder, die ihre Eltern besuchen? Was waren wir? Weltreisende. Wau, die Variante wäre mir nicht eingefallen, wenn ich an meinem Platz vorbei gelaufen wäre. Ist ja auch unglaublich. Eigentlich.
Die Leichtigkeit und Freude der vielen Kinder an Bord färbte auf mich ab. Meine Flugangst traute sich nicht hervor ob der Selbstverständlichkeit mit der die kleinen Passagiere flogen. Als die Maschine zur Landung aufsetzte und einen mächtigen Sprung machte, jauchzte mein Kind. "Juhu", rief sie und ich stimmte ein. Der Flug war überstanden und der "Tour around the world" stand nichts mehr im Weg.

Als wir dem Taxifahrer am Flughafen erklärten, dass wir zur "MS Amadea" wollten, nickte er: "Es ist nur ein Schiff heute im Hafen." Die Fahrt dauerte nicht lange. Die Insel ist mit 62 km Länge und 21 km Breite auch recht überschaubar. Louisa versuchte sich inzwischen die Namen der anderen Kanarischen Inseln zu merken. "Teneriffa, Gran Canaria, Fuerteventura, Lanzarote und La Palma, stimmt´s Mama?" Sie wunderte sich über die schwarze Vulkanerde und die wenigen Kakteen, Bougainvilleen und Strelizien. "Hier wächst ja fast gar nichts", sagte die kleine Hobby-Balkongärtnerin. "Die schwarze Perle" würde die Insel genannt werden, erklärte ihr der Fahrer.
Vulkanausbrüche hätten viele fruchtbare Landstriche zerstört, außerdem wären die Berge zu niedrig, um die feuchten Passatwinde zum Aufsteigen zu bringen. So gibt es kaum Regen. "Es sieht aus wie in der Wüste", meinte mein Kind und erinnerte sich an die Namib, wo wir vor zwei Jahren waren. Tatsächlich haben viele Pflanzen auf Lanzarote ihre Heimat in der Sahara. "Wovon lebt ihr?", wollte ich vom Fahrer wissen. "Touristen", sagt er. Angebaut und auch nach Deutschland exportiert werden nur Zwiebeln und Wein. Industrie gibt es fast keine. Nur drei große Betriebe: einer mit riesigen Entsalzungsanlagen für die Wasserversorgung, die UNELCO für den Strom und die DISA, wo Schweröl raffiniert wird, das per Schiff gebracht wurde. Kein Wunder, dass sich die jährlich rund zwei Millionen Touristen hier so wohl fühlen. "Immer mehr Urlauber“, freute sich der Taxifahrer, der wie 87 Prozent der Bevölkerung von den Feriengästen lebt.

"Da ist es", rief Louisa und zeigte aus dem Fenster. Unser Schiff. Majestätisch lag es im Hafen, weiß, freundlich, sympathisch. "Ist das ein dickes Schiff", meinte mein Kind und hielt sich die Hand vor den Mund. Ich lachte. "Kein Problem, Baby. Bei Schiffen darfst du das sagen, nur nicht bei Leuten."
Die Sonne schien und wir schwitzten mit unseren Winterpullis. Die Mäntel hatten wir auf den kleinen Koffer gelegt und wollten die Gangway betreten. Doch der Mann am Eingang schaute uns böse an und  rief unhörbare Dinge zu uns hinunter. Vielleicht wirkten wir eher wie Leute, die sich das Schiff ansehen wollten, als wie potentielle Passagiere. Ich verstand ihn nicht, wir durften offensichtlich nicht hoch und er kam nicht runter. Jetzt hatte alles bis hier so reibungslos geklappt, wir hatten den Fuß schon auf der Gangway und nun? Das ging eine Weile hin und her bis ich es albern fand. Resolut schritt ich mit meinem Kind nach oben. "Wir sind neue Passagiere", erklärte ich. "Sie wollen einschiffen?", fragte er auf Englisch und betonte das you. "Haben Sie Papiere?" Er studierte die Unterlagen und schickte uns zur Rezeption. Die Dame dort nahm uns auch nicht wirklich ernst. Als ein anderer Passagier kam, ließ sie uns mitten im Satz stehen. Erst als ihr Kollege unsere Namen im Computer fand, wurde es besser. Er nickte und mir fiel ein Stein vom Herzen ...

Autorin: Anja K. Fließbach
(Geschrieben am Dienstag, dem 26. Dezember 2006, 16:45 Uhr)

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(Letzte Aktualisierung: 27.12.2006)