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31. Beitrag: "Wo Robinson Crusoe lebte" (1. Februar)

"Mama, wie heißt der, der hier gelebt hat?" Auf dem Weg im Tenderboot zum Land erinnert sich Louisa an die Geschichte der Insel. "Robin Hood?" Ich schüttle den Kopf. "Robinson Krause?" Die anderen im Boot lachen. "Crusoe, Schatz. Robinson Crusoe hieß der Mann."

In Wahrheit hieß er Alexander Selkirk und war schottischer Seemann. Im Jahr 1704 ließ er sich nach einem Streit mit seinem Kapitän auf dieser einsamen Insel aussetzen, vor der die "MS Amadea" heute auf Reede liegt. Juan-Fernandez heißt das Archipel, dessen Hauptinsel heute früh plötzlich vor unserem Balkon lag. Es war wieder einer jener Augenblicke, über die man nicht einmal mehr staunen kann. Denn das wäre zu banal ausgedrückt. Man wacht auf, weil die Kabine von Sonne erfüllt ist. Hebt müde den Blick und sieht vom Bett aus, durch die weit geöffneten Balkontüren, einen Bilderbuch- Himmel, ein Meer wie Seide und eine  Insel, die einen irgendwie inspiriert. Dann klopft es an der Tür. "Kabinenservice!" Das Frühstück, was ich vor dem Schlafen telefonisch bestellt habe, bringt die Kellnerin auf den Balkon. Und dann sitzen wir zwei da, mein Kind und ich, essen Erdbeeren und Toast und ich erzähle Louisa von Robinson Crusoe, während sie statt einer Buchseite die Insel direkt vor sich hat. Ist das nicht ein Wahnsinn? Lieber zukünftiger Schuldirektor meiner Tochter! Wie Sie sehen, lernt Louisa auf diesen Reisen mindestens genauso viel wie bei Ihnen in der Schule. Also geben Sie ihr zukünftig gaaaaanz viel frei. Bitte!

Als das Tenderboot in dem kleinen Hafen hielt, sah mein Kind nur eines: Hunde. Sie vermisst ihre Dana, den Hund von Oma Ina. "Schau mal Mama, der kleine Hund hier mag genauso gekrault werden wie Dana." Das Tier genoss die Streicheleinheiten meiner Tochter sichtlich.
Ich schaute mich um und versuchte mich in den Seemann Alexander Selkirk zu versetzen. Wie hat er das einsame Leben auf  dieser 44qkm großen Insel (weniger als halb so groß wie Sylt) ausgehalten? Das nächste Land, Chile, ist 700km entfernt. Jede andere bewohnte Insel im Pazifik noch viel weiter. Vier Jahre und vier Monate hat Selkirk hier allein gelebt. Dann wurde er von einem englischen Schiff an Bord genommen.

Heute leben hier 700 Einwohner in dem einzigen Ort, Juan Bautista, in dem wir uns befinden. Es sind nette Leute, die sich sichtlich über unseren Besuch freuen. Sie leben vom Tourismus, was bedeutet: Immer mal ein Kreuzfahrtschiff und ein paar Chilenen, die von Santiago in kleinen Maschinen auf die Insel kommen.
Wir spazieren vorbei an den rund 100 Holzhäusern und klettern dann hinauf in die Berge. Ein abenteuerlicher Weg führt zu ein paar Höhlen. "Was ist hier, Mama?", will Louisa wissen. "Nichts", sage ich. "Und warum schauen sich das so viele Leute an?" Es sind natürlich andere Passagiere und Crewmitglieder mit uns zu den Höhlen unterwegs. Schließlich sind wir auf der "Amadea" insgesamt mehr Leute, als hier auf der Insel leben. Ich nehme immer gern das letzte Tenderboot zurück zum Schiff, weil die meisten anderen dann schon weg sind. Wenigstens ein bisschen Inselfeeling pur.

Louisa und ich schlendern ins kleine Museum und Terry, ein Inselbewohner, zeigt uns voller Stolz die vielen Bücher aus der ganzen Welt, die Daniel Defoes weltberühmten Roman von 1719, "Robinson Crusoe", beinhalten. Ich verspreche dem Museumschef, das nächste Mal (man weiß ja nie), einige deutsche Ausgaben mitzubringen.
Kaum rede ich noch mit Terry, hat sich Louisa mit ein paar Jungen aus dem Dorf angefreundet. Sie haben eine kleine Ziege an der Leine und versuchen, Louisa ein Kunststück vorzuführen. Wie so oft auf dieser Weltreise: Die Kinder verstehen gegenseitig kein Wort, aber sie verstehen sich.

Wir spazieren weiter und plötzlich liest Louisa ein Schild. Langsam setzt sie die Buchstaben zusammen und schüttelt den Kopf. Noch mal von vor. Sie schüttelt wieder den Kopf. "Mama, ich hätte fast gelesen, das da auf dem Schild `Dresden` steht." (Hallo Herr Schuldirektor. Wozu die erste Klasse? Sie kann doch schon lesen...).
Also setzten wir uns auf eine kleine Bank am Meer mit Blick auf unsere "MS Amadea" und ich erzähle ihr von dem großen Weltkrieg und dem Kreuzer "Dresden", der auf dem Grund der Cumberland-Bucht liegt, auf die wir sehen.
Beim letzten Tenderboot treffen wir noch ein paar andere Genießer, die vom Langustenessen kommen. "So lang und so lecker." Sie breiten ihre Arme weit aus.
Dann verlassen wir Robinson Crusoe Island. Eine schöne Insel, die von der Unesco zum Biosphärenreservat erklärt wurde. Zufrieden glätte ich meinen Rucksack. Nicht, dass Knicke in die Postkarte kommen, die ich auf der Insel gekauft habe. Schließlich ist die für den Schuldirektor...

Anja Fließbach: Donnerstag, 1 Februar 2007, 23:32 Uhr

Kommentare zum 31. Beitrag

Ihr Lieben.
Vielen Dank für die netten Kommentare. Ich werde versuchen, sie alle zu beantworten. Allerdings habe ich hier im Pazifik keinen Internetempfang in der Kabine und hocke immer im TV-Raum, während Louisa in der Kabine auf mich wartet. Deswegen gebt mir noch ein paar Tage. Wenn das Internet wieder okay ist, kommen die Antworten.
Herzliche Grüße
Eure Anja

Kommentiert von: Anja K. Fließbach | Freitag, 2 Februar 2007, 0:05 Uhr

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Liebe Anja. Dieses Frühstück auf dem Balkon hätte ich auch gern erlebt. Das sah ja lecker aus. Macht ihr das jeden Tag und sag mal, wann schläfst du eigentlich? Sascha

Kommentiert von: Sascha | Freitag, 2 Februar 2007, 0:39 Uhr

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Hallo Anja,
Die Antwort auf Saschas Frage interessiert mich auch.- Wann schläfst Du? Geringeres Schlafbedürfnis antrainiert per monatlichem "Redaktionsschluss"-Stress? Schaue noch immer täglich in Deinen Weblog, schon seit Beginn der Reise bzw. seit dem ersten Bericht. Der Beitrag "Mein größtes Glück" sticht besonders hervor. Ganz toll. Danke.-Liebe Grüße von der Zwillingsmama aus Leipzig

Kommentiert von: ZA76 | Freitag, 2 Februar 2007, 19:59 Uhr

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(Letzte Aktualisierung: 18.02.2007)