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25. Beitrag: "Alle Schotten dicht! Gefangen im Sturm" (24. Januar)

"Meine Damen und Herren, eine wichtige Durchsage. Achtung, bitte!" Die Stimme des Kreuzfahrtleiters über Lautsprecher klang ernst. Die drei Signaltöne nach der Einleitung machten die Durchsage noch bedrohlicher. "Wie Sie bemerkt haben, bewegt sich die Amadea schon seit einigen Stunden sehr stark und ich muss leider mitteilen, dass wir noch schlechteres Wetter erwarten. Deshalb hat der Kapitän angeordnet, alle Möbel von den Balkons zu entfernen und das Betreten der Außendecks verboten." Schotten dicht, auf der "MS Amadea".
Schon seit den frühen Morgenstunden bewegte sich das Schiff zunehmend stärker. Als ich gerade mit dem zweiten Offizier auf der Brücke im Gespräch war und mir den Unterschied zwischen relativem Wind und normaler Windstärke hatte erklären lassen (der relative Wind wird mit dem Fahrtwind je nach Windrichtung addiert), waren der Kapitän und der Kreuzfahrtleiter mit ernsten Mienen an mir vorbei gekommen. Ich hatte es dem sonst immer lustigen und freundlichen Kapitän angesehen. Da kam was auf uns zu.

Die Seestärke hatte sich von drei auf fünf gesteigert und beim Mittagessen fing Louisa am Tisch plötzlich an zu weinen. "Mir ist so schwindlig", jammerte sie und ich brachte sie ins Bett. Die Durchsage, dass wir in einen Sturm geraten waren, kam am frühen Nachmittag. Wir würden unser nächstes Ziel, die Falklandinseln, nicht erreichen und müssten irgendwie zurück Richtung südamerikanischem Kontinent. "Irgendwie" klang auch nicht gut. "Um die Sicherheit des Schiffes und der Passagiere zu gewährleisten" auch nicht.  Ich begann zu zittern. Seestärke 6-7 inzwischen und die Wellen hatten sich bis zu neun Metern hochgeschaukelt. Ich zitterte so sehr, dass ich eine heiße Dusche nahm und Louisa, die immer noch im Bett lag, anschließend eine Badewanne einließ. Seltsam, wie man sich in schwierigen Situationen verhielt. Hätte man mich vorher gefragt, was ich bei Sturm tun würde, wäre ich nicht auf duschen gekommen.

Die Show für den Abend wurde abgesagt, aber die Küche hatte das geplante 9-Gang-Galadinner schon vorbereitet. Ausgerechnet heute war Gala. Damit sollten die Passagiere, die den Abschnitt Rio de Janeiro bis Valparaiso mitfuhren, ihre Halbzeit an Bord feiern. Kreuzfahrtleiter Christian Adlmaier empfahl den Passagieren, wenn es irgendwie ging, trotzdem zum Abendessen zu kommen. Allerdings hob er die Kleiderordnung auf, damit sich die Damen mit den hohen Schuhen nicht verletzten. So kam es zu einem surrealistischen Szenario: Angespannt und die Angst mit eisernem Lächeln schlecht überspielend, dinierten die Passagiere bei getrüffelter Parpadelle und Moet Chardon Sorbet. Ich hatte einen Platz ganz hinten im Saal auf einem Sofa und konnte alles überblicken. Während sich die Gespräche der drei Damen an meinem Tisch um Rettungswesten, die wichtigsten Papiere und Notausgänge drehten, verbrachten die Kellner Höchstleistungen. Gut, ein paar Gläser und Teller gingen zu Bruch. Einige Tabletts krachten zu Boden. Aber keiner kam zu Schaden. Ich sah, wie sich Kellner Sirit in einem unbeobachteten Moment an der Wand abstützte und die Hand über die Augen hielt. Wie bei Mehmet die Schweißperlen auf der Stirn standen. Auch wie die Kellner einige Gänge verwechselten. Aber selbst das Essen, das die 52 Köche bei inzwischen bis zu zwölf Meter hohen Wellen vorbereitet hatten, schmeckte. Glaube ich zumindest, denn so richtig darauf konzentrieren konnte auch ich mich nicht (Sorry, Rupert!).

"Jetzt kippen wir um", rief eine Frau bei der nächsten großen Welle. Reiseleiterin Susanne, die am Tisch vor mir saß, schaute ängstlich aus dem Fenster, schloss dann die Augen und hielt sich am Tisch fest. Wenn schon die Leute Angst hatten, die hier arbeiteten, wie sollten wir dann damit klar kommen. Die "Amadea" legte sich wirklich oft gefährlich auf die Seite und selbst der Kreuzfahrtleiter am Nebentisch kaute immer langsamer. "Yuppieh", rief eine andere Frau bei der nächsten Welle durch den Saal. Es war das groteskeste Abendessen meines Lebens und ich versuchte nicht hinzuhören, als die Damen etwas vom letzten Dinner auf der Titanic erzählten.
Inzwischen hatten wir Seegang 9 und Windstärken in Böen bis zu 160km/h. Was macht man bei Sturm auf einem Schiff mitten im Südatlantik außer duschen und Sorbet essen? Richtig, Rock´n Roll tanzen. Die Ersatzshow war „Buddy Holly“ und Künstlerchef Steven brachte den kleinen Kern der Seefesten in der Atlantiklounge tatsächlich zu einem Tänzchen, obwohl es ihm selbst schlecht ging. Ich schnappte mir mein Kind, das zwar zum Essen im Bett, nun aber dank Kaugummi gegen Reisekrankheit einigermaßen fit mit zur Show war. Wenn wir schon untergehen, dann mit Tamtam, dachte ich und wirbelte Louisa herum. Das Tanzen nahm etwas die Anspannung.

Ich hatte Angst vor der Nacht. Die Passagiere teilten sich in zwei Gruppen. Die eine lag in der Kabine im Bett, die anderen pflanzten sich in den Bars ein. Wodka half angeblich gegen Seekrankheit. Ich verzichtete auf Alkohol und betäubte mich mit Arbeit. Bis in die frühen Morgenstunden saß ich an meinem Laptop und nahm dann eine Schlaftablette. Doch selbst damit konnte ich das Auf und Ab, das Schlingern und Rollen des Schiffes und das Krachen, wenn es in ein Wellental eintauchte, nicht ignorieren. Stattdessen kam ich in eine Art Wachschlaf und in ein Gespräch mit Gott. Wer mich realistischen Menschen kennt, liest den letzten Satz sicher kopfschüttelnd und ungläubig noch einmal. Aber ich habe Gott in dieser Nacht so einiges versprochen. Unter anderem auch, dass ich genau das schreibe und zu diesem Gespräch stehe.

Der nächste Tag war nicht besser. Auf den Falklandinseln, die wir hätten anlaufen sollen, herrschte Windstärke 11 und es hagelte. Der Kapitän "ritt den Sturm ab", wie es in der Fachsprache heißt. Das bedeutet, wir fuhren Zick-Zack mitten auf dem Meer. "Man muss das Schiff immer in den Sturm steuern", erklärte der Kreuzfahrtleiter. 2Dabei versucht der Kapitän in Richtung Kontinent zu kommen, um im Schatten der Landmassen Schutz zu finden." Louisa verbrachte den ganzen Tag im Bett. Die Show wurde wieder abgesagt und der Doktor verteilte Spritzen. Erstaunlicherweise wurde ich nicht seekrank, sondern lenkte mich wieder mit Arbeit ab. Das war mein persönliches "Allheilmittel".

Keine Ahnung, ob man sich an einen Sturm gewöhnen konnte, aber in der nächsten Nacht schlief ich gut. Im Gegensatz zu meiner Tischnachbarin, die im Restaurant Angst vor der Panik hatte, wenn plötzlich alle Leute das Restaurant und dann das Schiff verlassen wollten. Darum machte ich mir keine Sorgen. Angesichts dessen was ich vom Fenster aus sah, bitte, was sollten wir draußen?
Nun, wir haben überlebt. Allerdings habe ich einen Tick wegbekommen. Ich zucke immer noch zusammen, wenn der Kreuzfahrtleiter sich über Lautsprecher meldet. So passierte es, dass ich einem Herzinfarkt nahe war, als sich das erste Mal der Kapitän selbst meldete. "Sehr geehrte Damen und Herren. Ich muss Ihnen eine traurige Ankündigung machen. Bitte kommen Sie alle in die Altantik-Lounge." Was war jetzt los? Mehr – morgen.

Anja Fließbach: Mittwoch, 24 Januar 2007, 4:11 Uhr

Kommentare zum 25. Beitrag

hallo ihr zwei gepeinigten, ich leide mit euch, obwohl ich mir beim besten willen nicht vorstellen kann, wie sich windstärke 11 anfühlen könnte. aber der kapitän wird es schon machen. haltet durch!!! ich finde es unglaublich, dass du uns trotzdem wissen läßt, was bei euch so los ist. wie du das nur immer machst! wenn ich den weblog lese, habe ich das gefühl, es selbst mitzuerleben. danke, danke, danke. es ist toll, zu wissen, wie es euch geht und wo ihr euch grad "rumtreibt".
ist schon ein ende des sturms absehbar? ich wünsche es euch!
habe grad die anderen artikel gelesen und sitze nun wieder mit tränen in den augen da. du hast recht gehabt, mit allem. es ist wirklich unglaublich schwer, sich wieder in das "normale leben" einzufügen. schon allein die busfahrt in buenos aires zum flughafen ... da hab mir auch immer gesagt "nicht weinen" ... aber naja ... ich hab mich selbst nicht wiedererkannt. und seit dem ich das schiff verlassen hab, hab ich unzählige solcher traurigen und sehnsüchtigen momente gehabt, in denen ich mich nicht so recht in den griff kriege. dabei war ich ja nur 3 wochen da. naja es wird schon, die arbeit lenkt auch zu hause ab.
bitte drück louisa ganz lieb von mir. ich hoffe, wali ist noch gesund? grüße auch an katze twyla und bärchen, falls er noch da ist ;-)
liebe grüße aus dresden
eure anke

Kommentiert von: anke mittelhäuser | Donnerstag, 25 Januar 2007, 0:54 Uhr

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Mensch, Anja. Wie geht es euch denn. Du hast jetzt schon zwei Tage keinen Beitrag geschrieben. Ist alles klar? Habt ihr den Sturm gut überstanden? Gruß S.

Kommentiert von: S. | Freitag, 26 Januar 2007, 19:23 Uhr

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(Letzte Aktualisierung: 27.01.2007)