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15. Beitrag: "Rios Slums" (11. Januar)

"In die Favelas gehe ich nicht mit", erklärte André an unserem nächsten Tag in Rio de Janeiro. Wir hatten gehört, dass man Rocinha, das größte Slumviertel Rios besuchen könnte...
"Selbst die Polizei vermeidet es, in diese unübersichtlichen, verwinkelten Viertel zu gehen", sagt André entsetzt. In diesen Gegenden regieren organisierte Banden von Drogendealern, die mit den modernsten Waffen ausgerüstet sind. Immer wieder werden Menschen dort ermordet oder kommen aus Versehen ums Leben. "Die Lebenserwartung in den Favelas liegt bei 48 Jahren", erklärt André. Krankheiten und das fehlende Geld für Medikamente tragen auch zu dieser Zahl bei. Wir fahren mit dem Auto dicht an die Favelas heran. "Besser nicht fotografieren. Das mögen die Drogenbosse nicht", sagt der Fahrer und André übersetzt. "Warum? Die können uns doch nicht sehen.“ Mein Einwand stößt auf Kopfschütteln. "Sie sehen alles. Auf einem Berg sind Bretterbuden aneinander gereiht. Es sieht aus, als klebten sie wie Streichholzschachteln am Berg. An vielen Hütten hängt Wäsche, manche Häuschen haben Wellblechdächer, einige sind orange, andere hellblau. Doch die meist verbreitete Farbe ist Grau. "In den meisten Städten wohnen die Reichen auf den Hügeln, bei uns ist es genau anders herum", so André. Eigentlich galten die steilen Hänge der Stadt als unbebaubar, aber als die Stadt schnell wuchs, war es den ärmeren Familien nicht mehr möglich, die Mieten in der Stadt zu bezahlen oder das Geld für Busse auszugeben, um von den Vororten in die Stadt zur Arbeit zu fahren. Also entstanden die illegalen Hütten auf den Hügeln.

So sind die 700 Favelas, in denen mehr als drei Millionen Menschen leben sollen, überall in der Riesenstadt präsent. "Es herrschen schlimme Lebensbedingungen in den Elendsvierteln", so André und Louisa bekommt entsetzte Augen. "Familien mit vier oder fünf Kindern haben nur ein Zimmer zur Verfügung. Meistens schlafen die Kinder auf dem Boden", sagt er. Mich beeindruckt, dass die Favelas dicht bis an die guten Wohngegenden reichen, man von Luxusappartements auf die Slums schaut. "Das ist schlimm, aber wir haben uns daran gewöhnt", behauptet André. Ich erinnere mich an Patricia, die wir in Salvador de Bahia kennen gelernt hatten. Das Kindermädchen für ihre Tochter wohnte in solch einem Armenviertel. "Ja. Viele der Einwohner haben Jobs, über 80 Prozent. Sie sind Arbeiter, verdienen sich Geld als Zimmermädchen oder im Hafen." Manchen Familien stehen nur rund 150 Real im Monat zur Verfügung (rund 50 Euro).André erzählt, dass früher Geld für Essen oder Lebensmittel für die Favelas gesammelt wurde. "Heute weiß man, dass vor allem Geld für Bildung ausgegeben werden muss. Nun gibt es oft Sammlungen für Bücher."

Wir bekommen die Empfehlung, uns den Film "City of God" anzusehen, der in einer echten Favela gedreht und von echten Slumbewohnern gespielt wurde. Es ist André wichtig, zu unterstreichen, dass nicht nur Drogen, Morde und andere Kriminalität in den Favelas geschehen oder aus den Favelas kommen, sondern auch viele Künstler, Maler und Tänzer aus den Armenvierteln Rios stammen. So auch die berühmten Sambaschulen, die den Karneval in Rio bekannt gemacht haben. Ob wir so eine besuchen könnten? "Morgen", verspricht André und entschuldigt sich noch mal, dass er uns eine Favela nicht näher gezeigt hat. "In Rio ist man zwar nirgends sicher", erklärt er. "Aber wir haben gelernt, uns nicht absichtlich in Gefahr zu begeben."

Autorin: Anja K. Fließbach
(Geschrieben am Donnerstag, dem 11. Januar 2007, 21:51 Uhr)

Kommentare zum 15. Beitrag

Ist doch schoen, wenn man sich mit leichtem Gruseln das Elend anderer ansehen und dann zu Hause berichten kann, was man auf der Weltreise so Aufregendes erlebt hat...

Kommentiert von: anna | Freitag, 12 Januar 2007, 10:18 Uhr

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Anna,
du gehst ja ganz schoen auf Konfrontation! Ich finde, Anja's Berichte spannend. Ist doch besser, sich des Elends zumindest bewusst zu werden. Ich schaetze, dass die meisten anderen Passagiere sich keine Favelas anschauen. Anja ist Journalistin und daher neugierig. Irgendwer muss doch die Infos an den Mann bringen oder. Und als Frau mit Kind kann sie ja schlecht auf eigene Faust in die Favelas gehen.

Kommentiert von: Emma | Freitag, 12 Januar 2007, 11:57 Uhr

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Anna,
ist doch schön, wie man im Internet so anonym an Leuten rumkritisieren kann, ohne zu wissen, wie Sie denken oder fühlen. Es ist ja nicht so, als hätte Sie mit Gold behangen dagestanden, und sich mit dem Finger auf die Armen zeigend schlapp gelacht. Mich Interessiert jede Gegend von der Sie Berichtet, nicht nur die "glanzvollen" Geschichten und das hat nichts damit zu tun, dass man sich Bestätigung holen möchte, wie gut es einem geht, im Gegenteil, mich berührt es z.B sehr egal ob ich Obdachlose in Berlin sehe oder höre wie Menschen in LA oder Rio, oder sonstwo in Armengegenden leben. Du hast Dir sicher den Film City of God nicht angesehen, und liest bestimmt auch keine Zeitung, denn da ist so viel Elend zu sehen/steht so viel Elend drin, und alles real...

Kommentiert von: Jule | Freitag, 12 Januar 2007, 13:02 Uhr

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Also, ich kann Annas Kommentar schon verstehen. Wenn man als Journalist in die Slums reist, dann beschäftigt man sich wohl eher etwas ausführlicher damit, als nur mal so am Rande. Für einen ernsthaften Bericht wird die "Recherche" wohl kaum reichen. Und ob`s ins Konzept ihres Magazins passt? Ich weiß nicht.
Ich jedenfalls hab mich beim Lesen gefragt, wie ich mich wohl fühlen würde, müsste ich in diesen Slums leben und meine Behausung oder ich selbst würden von Touristen mal eben so begutachtet. Nicht gut! Ich käme mir vor, wie im Zoo, und zwar innerhalb des Geheges.
@ Emma:
Ich lese die Berichte auch gerne. Aber ich stimme nicht mit allem überein. Und dieser Ausflug erscheint mir persönlich etwas geschmacklos.

Kommentiert von: Andrea | Freitag, 12 Januar 2007, 13:15 Uhr

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Hallo Anja,
erstmal muss ich mich bedanken fuer Deine tollen Bericht! Ich lese sie seit Anfang an, mit Begeisterung.
Finde es klasse das Du Dir auch die "andere" Seite Rio de Janeiro anschaust. Es gibt nun mal ueberall die "Armen" und die "Reichen", so ist es nun mal, leider.
Und zu Deiner Kritikerin,..... da faellt einem nur ein Wort ein NEID!!!! Und wer Neid empfindet kann einem nur leid tun!
Wuensche Dir und Deiner Tochter noch eine schoen Reise und freue mich schon ueber neue Berichte.
Gruesse Tanja

Kommentiert von: Tanja | Freitag, 12 Januar 2007, 13:22 Uhr

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Liebe Tanja,
es sind zwei Kritikerinnen. Ich weiß nicht genau, wen von uns beiden du nun gemeint hast.
Mit Neid hat meine Kritik (ich kann da nur für mich sprechen) gewiss nichts zu tun. Da machst du es dir etwas einfach. Ist es eigentlich noch möglich, etwas zu kritisieren, ohne gleich eins mit der Pfanne übergebraten zu bekommen? Kritik ist doch etwas völlig normales und in einem demokratischen Land darf man diese auch äußern, zum Glück. Ich schließe mich Annas Kritik jedenfalls an, nicht unbedingt vom Ton her, aber der Sache nach schon.
Diskussionen über verschiedene Sichtweisen finde ich in der Regel auch nicht schlecht. Könnten doch hier ganz gesittet stattfinden, oder nicht?Nur der Ton sollte stimmen. Wenn du dann aber direkt Neid vorwirfst, finde ich das eher unsachlich.
Übrigens: Was mich zu meiner Meinung gebracht hat war vor allem der Anfang von Anjas Bericht: "Wir hatten gehört, dass man ... das größte Slumviertel Rios besuchen könnte". Ich finde, das klingt in dem Fall schon sehr nach einer Touristenattraktion.

Kommentiert von: Andrea | Freitag, 12 Januar 2007, 15:58 Uhr

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Ohne die Diskussion weiter anheizen zu wollen, ich kann Andreas und Annas Standpunkt schon verstehen und finde daran nichts schlimmes, sondern sehe darin nur die berechtigte zweite Perspektive auf eben diese Unternehmung (Besichtigung einer Favela). Nun würde ich tatsächlich keinem normal (! es braucht kein Gold) gekleideten Europäer oder auch Brasilianer raten, einfach mal so in die Favela reinzulatschen, es ist also schon sinnvoll das mit diesen "geführten Touren" zu tun. Allerdings sind Favelas eben auch nicht einfach nur Elendsviertel, sondern der traurige Auswuchs einer Gesellschaft, deren historische und soziologische Wurzeln nicht weit genug reichen, um ein gesund gewachsenes Gesellschaftssystem zuzulassen - das will immer noch hart erarbeitet werden und leider ist es gerade der wohlhabende brasilianische Mittelstand, der zwar einerseits großzügig unterstützend mit Spenden usw. wirkt und sich aus Angst gleichzeitig den notwendigen politischen Reformen oft vehement entgegenstellt. Denn Favelas, das sind eine andere Welt, im Normalfall hat man "damit" nicht viel zu tun, das Stigma der Armut ist einfach zu deutlich, auch der Kriminalität.
Das man auch in der Favela auch ein vollkommen anständiger, wohlerzogener junger Mann wohnen kann, der sich dank den unendlichen Bemühungen seiner Mutter erfolgreich durch das miserable Schulsystem gekämpft hat und nun Jura studiert, um in seinem Land mal etwas zu ändern (wünschen wir ihm Erfolg) dass erfährt man eben meist erst durch Zufall und auch nur wenn man sich viel Zeit lässt und genau hinsieht. Ein Kurztrip reicht dafür nicht aus, aber das soll ja dann auch kein Vorwurf sein.
Insoweit hat Andrea schon Recht, Kritik ist etwas normales und sollte nicht gleich als verdammenswert aufgefasst werden - sonst kommt es nämlich nie zu einer fruchtbaren Diskussion und das wäre noch viel trauriger.
Schönes Wochenende!

Kommentiert von: Steffi | Freitag, 12 Januar 2007, 16:46 Uhr

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Ich war auch schon einmal in Rio und stimme Anja zu. Es ist erschreckend, dass die Favelas so nah an die guten Wohngegenden heran reichen. Es gibt kaum einen Platz in der Stadt von dem aus man nicht auf eines dieser Viertel schaut. Natuerlich will man wissen, was das ist und warum es so gefaehrlich ist. Mir haben die Informationen einen kleinen Einblick gegeben. Zu mehr hatte Anja sicher keine Zeit.

Kommentiert von: Caroline | Sonntag, 14 Januar 2007, 15:53 Uhr

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(Letzte Aktualisierung: 15.01.2007)