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134. Beitrag: "Freie Liebe an Bord" (6. Juni)
In viereinhalb Monaten auf einem Schiff mehrt sich das Wissen um die geheimen Verwicklungen zwischen der Crew, um Liebschaften und Feindschaften, um Intrigen und Verrat, Heldentum und Hinterlist...
Doch ich werde in diesem Jahr noch einmal auf dem Schiff sein und vielleicht sollte ich dann doch lieber ein paar Geheimnisse noch für mich behalten? Oder auch nicht. Ich kann schließlich sehr gut schwimmen...
Wie es zwischen den Passagieren auf einem Schiff zugeht, könnt ihr euch gern mal in der "Traumschiff" - Serie im Fernsehen anschauen. Klar ist das dort überspitzt und übertrieben. Aber Fakt ist, das Leben auf einem Schiff ist viel schnelllebiger als an Land. Da kann es schon sein, dass sich zwei während eines dreiwöchigen Reiseabschnittes kennen lernen, verlieben, heiraten wollen, sich streiten und wieder trennen. Das Meer macht etwas mit den Menschen. Die Weite, die Freiheit und das Gefühl, losgelöst zu sein von Alltag und Problemen, machen die Gäste offen für Abenteuer. Außerdem hat man Zeit und Muse. Dabei sind die Liebeleien unabhängig vom Alter. Es kann schon mal passieren, dass der schroffe Thüringer Riese plötzlich Hand in Hand mit der Kursleiterin für das Autogene Training beobachtet wird. "Hast du schon gesehen?", heißt es dann tuschelnd auf dem ganzen Schiff. Es kann auch sein, dass der junge durchtrainierte Slowake mit der alten Frau in der Kabine schläft, weil sie ihn dafür bezahlt. Der Slowake selbst handelt angeblich mit Diamanten aus Kolumbien und befindet sich auf der Flucht (beide habe ich wirklich kennengelernt, allerdings auf meiner ersten Weltreise).
Was die Besatzung von Schiffen betrifft, kann man als "Landei" manchmal nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Wie war das mit Sodom und...? Vorausschickend muss ich wohl sagen, dass die Amadea im Vergleich zu anderen Schiffen relativ harmlos ist. Die Crewpartys sind eher durchschnittlich (ich war als Gast allerdings nur auf einer), die Kabinenpartys auch bedeutend gesitteter. Lustig, mit viel Alkohol und "Bäumchen wechsle dich", aber wer wiederholt morgens zu spät zur Arbeit kommt, erhält ein "Warning" und dann einen Heimflug, wenn überhaupt. Und das will keiner...
Auf anderen Schiffen ist da schon mehr los: Es soll dort vorkommen, dass die russischen Zimmermädchen die Decks (die oberen sind die beliebtesten wegen Tageslicht und dem Trinkgeld der Reichen) auf "liebevolle Art" beim zuständigen Offizier erkämpfen müssen. Da es außerdem immer einen Überschuss an Männern auf den Schiffen gibt und dann immer noch nicht alle Frauen dem Traum eines Mannes entsprechen, bleiben ein bis zwei Duzend relevante Frauen übrig, die dann alle Hände voll zu tun haben. Und einige Crewmädchen genießen diese Rolle und entwickeln daraus einen Sport. Die Männer, die zum Großteil von den Philippinen stammen, beschäftigen sich viel miteinander und wenn sie nicht schon von Natur aus so veranlagt sind, "laufen einige über". Auch hier kann man Leistungen kaufen mit Geld oder Waren. Was auf vielen Schiffen außerdem der Fall ist (ich rede hier nicht von der Amadea, sondern allgemein von Schiffen), dass die Ehemänner die Ringe beim Betreten der Gangway ablegen. Ehefrauen von Schiffmännern haben entweder eine stillschweigende Übereinkunft mit ihren Männern, sind zu naiv für die Realität, zu dumm für richtige Entscheidungen, bekommen keinen anderen Mann mehr oder sind finanziell abgesichert und alles andere ist ihnen egal. Aber Frauen und Männer nehmen sich in diesen Dingen auf dem Schiff nicht viel. Angeblich soll sich das reale Leben von "draußen" nur im Kleinen auf einem Schiff spiegeln. Angeblich soll es all dieses Durcheinander, dieses schnelle Wechseln, die Unverbindlichkeit, die Lügen der großen Liebe und das Fallenlassen, das Betrügen und Intrigieren, das Werben und Umgarnen, die Konkurrenz zwischen den Männern beim Erobern, die verschiedenen Arten der Liebe in den verrücktesten Konstellationen zwischen gleichen und verschiedenen Geschlechtern und in unterschiedlicher Anzahl, sowie das Nutzen und Benutzen, an Land genauso sein wie auf dem Schiff. "Da sieht es nur keiner", erklärte mir am Ende der Reise ein von ihnen. "Du hast da genau den gleichen Schlamassel wie hier, nur ohne Zuschauer. Auf dem Schiff weiß jeder alles. Damit erscheint es einem nur so extrem." Mir erschien es extrem! Auch wenn ich als Passagierin und als Journalistin (wer will schon das Risiko eingehenJ ) von diesen Dingen nur am Rande berührt wurde, beobachtete ich viereinhalb Monate sehr genau, stellte viele Fragen, hörte viel zu, staunte und versuchte bis zum letzten Tag das Netz von dem ich euch in einem Eintrag im Januar schon erzählt hatte, zu durchschauen. Es ist mir bis zum letzten Tag nur bedingt gelungen. Kein Wunder, da es doch ein dynamisches Netz ist. Kaum denkst du "Aha, so ist es.", ist alles gerade schon wieder ganz anders. Aber da es alles erwachsene Menschen sind und der Job wegen diesen Dingen in keiner Weise leidet, vielleicht sogar im Gegenteil, soll doch jeder leben, wie er es für richtig hält.
Für mich selbst muss ich resümieren, dass ich auf dieser Reise meine Illusionen endgültig verloren habe. Aber es wird wohl auch Zeit, erwachsen zu werden...
Spruch des Tages: "Wo immer einer die Wahrheit sagt, dort ist schon ein Stück Freiheit", Vaclac Havel
Anja Fließbach: Mittwoch, 6 Juni 2007, 22:49 Uhr