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103. Beitrag: "Sehr geehrter Herr Schuldirektor" (24. April)
Sie kennen meine Tochter erst vom Aufnahmegespräch im November und mich als die, die ohne die blauen Plasik-Schuh-Überzieher-Tüten in ihrer sauberen Schule herumgelaufen ist. Sie haben eine schöne Schule. Eine wirklich schöne Schule. Man spürt gleich diesen besonderen Geist, der in Ihrer Schule herrscht. Noch sind meine Tochter und ich auf Weltreise, aber ab dem 1. September wird meine Tochter Schülerin bei Ihnen sein. In Ihrer schönen Schule. Wirklich schön...
So eine Weltreise auf einem Schiff ist nicht halb so schön wie der Unterricht in Ihrer Schule, kann aber in gewissem Maße eine sinnvolle Ergänzung zum Unterricht und Lehrstoff darstellen. Das möchte ich Ihnen an einigen Beispielen erläutern:
1. Plötzlich konnte meine Tochter schreiben. Lag es an der frischen Seeluft, dem sanften Schütteln des Schiffes, das vielleicht diverse Synapsen aktiviert hat, oder daran, dass Louisa es schon mit vier Jahren auf unserer ersten Weltreise als Herausforderung ansah, die Namen ihrer Freunde auf dem Schiff schreiben zu lernen. Mit kleinen Hilfestellungen meinerseits konnte sie die Buchstaben sehr schnell. "Was ist ein T?" "Ein Strich mit einem Dach." Und so ist das B ein Strich mit zwei Beuteln, das W besteht aus zwei Zuckertüten, das M ist wie am Anfang bei Mama, das H hat zwei Striche und in der Mitte einen zum Festhalten und so weiter. Sie entschuldigen die unkonventionelle und nicht pädagogisch unterlegten Erklärungen. Aber sie liebt es, sich von den Leuten auf dem Schiff die Namen sagen zu lassen und aufzuschreiben.
2. Rechnen kann ein Kind auf einem Schiff auch gut lernen. Wie viele Tage sind es noch bis zur Show "Lord of the Dance?" Wie viele Luftballons haben die Kellner und Reiseleiter für den Galaabend aufblasen müssen (rund 2000) und eine Aufgabe von Hoteldirektor Rainer Büttner im Fahrstuhl hieß zum Beispiel (wörtlich): "Welche Summer ergibt es, wenn du alle Zahlen von den Etagen zusammenrechnest?" Sie hatte Zeit bis zum nächsten Tag und hat es fast geschafft.
Ein bisschen schwierig ist es mit den nicht ganz sauberen Zahlen. Nicht was Sie denken. Aber wieso hat Mama 50 Dollar mit und erklärt dem Händler mit dem Parfum sie hätte nur 20. Und wieso kommen wir mit 5 Gepäckstücken und gehen mit 7. Dabei befinden sich darin weder Bademäntel, noch geklaute Bilder oder silberne Löffel (Aber zwei Amadea - Kugelschreiber nehmen wir mit. Pssst!)
Habe ich Ihnen eigentlich schon gesagt, was sie für eine schöne Schule haben?
3. Mit dem Rechnen geht es auch gut voran. Louisa kann sogar schon mit echten und variablen Zahlen umgehen. Zum Beispiel wenn sie mit Sous - Chef Christian Uno spielt und die Anzahl der Strafkarten variabel danach gestaltet, wer gerade an der Reihe ist - sie oder er. Oder wenn ich ihr während ihrer Schwimmübungen im Pool mit den Fingern zeige, dass sie noch fünf Minuten hat und dann rauskommen muss. Sie zeigt mir dann zehn Finger zurück. Ich sechs, sie neun, ich sieben, sie acht und ich nicke und winke ab. Ist das nicht eine tolle Einführung in konvexe oder lieber konkave Kurven, die sich in der Mitte treffen? Die Mengenlehre wird hier auch gelehrt. Am Beispiel der Anzahl der Apfelschorlen, die sie sich bestellen darf.
Schöne Schule. Wirklich!
Bei den Mahlzeiten gibt es Säfte und Wasser kostenlos. Nach einigen Diskussionen in den ersten Tagen gab es für uns dann auch Saft mit Wasser gemischt - kostenlos. Toll. Aber: Das stille Wasser mit Apfelsaft gibt es gratis. Sprudelwasser mit Apfelsaft dagegen muss bezahlt werden (an die Schulung des logische Denkvermögens denken die hier auch noch). Also habe ich meiner Tochter die Menge von fünf Apfelschorlen mit Sprudelwasser innerhalb von sieben Tagen erlaubt. Sie darf selbst unterschreiben und entscheiden, wann sie die Schorle mit Sprudel und wann ohne trinkt. Ist das nicht, hm...? Bin ich nicht gut? Aber Sie, werter Direktor, und ihre Lehrerinnen in dieser schönen Schule sind natürlich besser mit fundierten Kenntnissen in Pädagogik und speziellen Fächern.
4. Machen Sie sich keine Sorgen um den Geografieunterricht. In diesem Fach wird Louisa - da kann ich Sie beruhigen - die Lehrer nie bloß stellen. Sie ist ein nettes Kind und nimmt Rücksicht auf andere.
5. Was die Musik betrifft, könnte sie den Lehrern wertvolle Inspirationen geben. Die Kinderlieder kann sie zwar fast alle ordentlich auswendig und testet die Geduld von so manchem Zuhörer, weil sie auch die fünfte Strophe noch mit Inbrunst singt. Aber auf so einer Weltreise erweitert sich auch der musikalische Horizont. So gibt sie abends auf Deck elf unterm Sternenzelt schon mal Kostproben aus "Cats", singt und tanzt "Night fever, night fever" und summt die Musik zu "Lord of the Dance" während sie kerzengerade die bei der Show beobachteten Schritte nachahmt. "Danke für die Lieder" von Abba hat sie schon mit vier Jahren bei den Gästeshows auf der ersten Weltreise gesungen. Vor ein paar Tagen saß sie in der Badewanne und ich hörte plötzlich die englische Version davon, abgesehen von ein paar abgewandelten Worten, perfekt.
6. Ein Vorstellungsgespräch könnte Louisa auch perfekt absolvieren. Sie hat die Kurz-, Mittel- und Langfassung ihres, aber vor allem meines Lebensweges in detailgetreuer Akkrebie an die 100 Mal erzählt. Ihre Lieblingskommunikationsplattform ist der Whirlpool auf Deck 8. Ich sitze meist an einem Tisch ein Stück abseits (Keine Sorge. Ich habe sie immer im Blick. Ihr braucht also nicht gleich runter auf die Kommentarfunktion springen.) Von dort aus höre ich immer mal wieder Gelächter der anderen im Whirlpool relaxenden Passagiere, sehe mein Kind gestikulieren und will lieber nicht wissen, bei welchem Punkt meiner Lebensgeschichte sie gerade ist. Aufgeschnappt habe ich Dinge wie: "Mein Papa hat meine Mama nicht geheiratet, sondern eine andere Frau." "Meine Mama arbeitet für eine Zeitung auf der hinten immer eine Uhr drauf ist." 2Oma und Mama streiten sich manchmal." Heute hat sie laut über die mit Passagieren belegten Liegen hinweg gerufen: "Mama, die Leute wollen wissen wie alt du bist. Wie alt bist du noch mal?" Nun lachten die Passagiere um den Pool herum und die im Pool schauten beschämt in den Himmel.
7. Die Allgemeinbildung kommt auf der Amadea auch nicht zu kurz: Vom Schachspielen in der Bibliothek mit Passagieren, über die Hilfe beim Vorbereiten der Menüs in der Küche oder beim Stadt-Land-Fluss-Spiel mit dem Chefkoch bis zum Serviettenfalten, der genauen Kontrolle des Haarefärbens im Beautysalon, der Auswahl der Waschgänge im Waschsalon bis zur Pflege des kleinen Gartens im Jamaica-Room lernt sie in jedem Bereich etwas.
Ich habe lange nichts mehr über ihre schöne Schule gesagt: Sie haben eine schöne Schule.
8. Die Merkfähigkeit wird auf der Amadea auch extrem geschult. Namen und Gesichter von rund 500 aller zwei, bis drei Wochen wechselnden Passagiere und von 300 Crewmitgliedern zum Beispiel sollte man sich merken, damit man am Tag nicht zweimal grüßt und beim Klatsch und Tratsch weiß, um wen es geht. Oder aber das im Kopf Behalten unserer Kabinennummer. Zum Glück habe ich meine Tochter, die mir stets die Frage beantworten kann: "Wo wohnen wir gerade?"
Ein bisschen allerdings muss ich doch darauf achten, dass sie den Bezug zur Realität nicht verliert. Zum Beispiel, wenn sich wie heute Reiseleiterin Manuela plötzlich von den Bildschirmen in der Kopernikusbar meldet und für Louisa ein Quiz im Fernsehen vorbereitet hat. Louisa durfte Fragen zu Märchen und Trickfilmen beantworten und konnte direkt von der Kopernikusbar im TV - Studio anrufen. Sie hörte dann im Fernsehen das Telefon klingeln und sah Manuela, während sie mit ihr telefonierte. Den Gewinn brachte die Moderatorin aus dem TV dann zehn Minuten später gleich vorbei und übergab ihn Louisa persönlich. Gigantische Idee, Manuela. Einmal wieder vielen Dank! (Da soll nochmal einer sagen, auf so einem Schiff wäre für Kinder nichts los...) Zum Glück sind die Fragen bei Günter Jauch dann doch noch zu schwer für Louisa. Sonst wäre sie vielleicht enttäuscht, wenn er nach der Sendung nicht gleich mit dem Zuschauerpreis vor der Tür steht.
Was ich Ihnen sagen möchte, lieber Herr Schuldirektor Meyer. Erstens: Sie haben eine wunderschöne Schule! Zweitens: Sie unterstützen doch bestimmt die Bildung meiner Tochter auch außerschulisch. Dazu brauchen wir nur ein kleines bisschen Zeit von ihrem Unterricht. Wenigstens so über Weihnachten. Lassen Sie uns sagen von Dezember bis Mai? Schön, dass wir uns so schnell einig sind.
Ich bin sehr stolz, dass meine Tochter in eine so schöne Schule gehen darf.
Hochachtungsvoll
Ihre
Anja K. Fließbach
PS:
Liebe Kommentatoren,
erstens war Louisa vormittags um elf in der Bar. Zweitens ist es keine Bar in dem Sinne, sondern wird tagsüber als Gesellschaftsraum genutzt. Drittens werdet ihr wieder die Berichte aus den Ländern vermissen. Aber lasst mir dir letzten Tage auf dem Schiff noch für die Einträge, die mir auf dem Herzen liegen. Es werden in den sechs Tagen vielleicht noch fünf. Danach geht es mit dem "normalen Weltreisebericht" weiter. Es kommen noch alle Länder und Stationen dran von wo es was zu erzählen gibt: Goa, Bombay, Popandar in Indien, der Oman, Dubai, Abu Dhabi, Katar, Ägypten und Kroatien. Versprochen! Auch alle eure Fragen beantworte ich bald wieder.
Herzlichst
Eure Anja
Anja Fließbach: Dienstag, 24 April 2007, 23:49 Uhr