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Hallo Berliners! - Ein Rundgang mit Gästeführerin Christa Harnisch

Ein Rundgang durch Warnemünde mit Gästeführerin Christa Harnisch

Hallo Berliners!", begrüßt uns die fröhliche Gästeführerin vor der Tourismuszentrale neben dem Museum. Eben wollen wir noch erklären, dass wir weder aus Berlin kommen, noch unser Name so wäre, als Christa Harnisch meint, dass für die Warnemünder alle Gäste "Berliners" sind. Dann starten wir zum Rundgang.

An der Brücke am Alten Strom mit Blick auf den Bahnhof erklärt sie: "Früher waren die Zug- und Schiffsverbindungen nach Warnemünde nicht gut. Die Gäste kamen aus Rostock, Gedser und die meisten aus Berlin. Deshalb heißen Touristen bei uns auch heute noch Berliners."

Wir stehen am Rand der alten Drehbrücke, die 1903 erbaut wurde, heute unter Denkmalschutz steht, aber noch immer einmal im Jahr gedreht wird. "Klonschnakkerbrücke", wird sie genannt, weil sie früher ein Treffpunkt für die Einheimischen war. "Auch heute noch stehen sie hier nebeneinander. Viel reden sie nicht, spucken ins Wasser ...", so Christa, die selbst eine Warnemünderin ist.

Die lustige Gästeführerin erzählt uns dann, dass Warnemünde 1323 von Rostock gekauft wurde und damals ein windschiefes Fischerdorf war. Sie klärt uns auch über das historische Zentrum auf: "Es gibt eine vordere Reihe, eine hintere Reihe und fünf Querstraßen, die diese verbinden." Na, dass wir uns da mal nicht verlaufen. Sie macht uns noch auf eine weitere Besonderheit aufmerksam: "Alle alten Häuser stehen mit der Giebelfront zum Betrachter." Stimmt. Wir gehen von der Brücke nach links und bleiben direkt vor der Vogtei stehen, die 1605 erbaut wurde. Der Vogt sorgte damals in Warnemünde für Ordnung und Ruhe - und Abgaben. Ende der 90er wurde die Vogtei restauriert. "Die vielen Granitsteine sind echter Gotlandgranit, und wer sich das früher leisten konnte, galt im wahrsten Sinn des Wortes als 'steinreich'."

Sie deutet auf das Haus Am Strom 59: "Das ist ein dänischer Königspalast von nach 1300" - und ist wieder beim Granit, der aus der Eiszeit stamme und aus Skandinavien importiert wurde. "Kaum eine Dorfkirche in der Gegend, die nicht aus Granit gebaut wurde. Die Kirche war schon immer 'steinreich'." Dann schauen wir auf das trübe Wasser des Alten Stroms und erfahren, dass die Warnow hier früher Zustrom bis nach Rostock war, bevor 1903 ein Damm aufgeworfen wurde und aus einem ausgebaggerten Warnow-Arm der Neue Strom entstand.

In der Ferne ragt der hässliche Kühlturm des Kohle-Kraftwerks auf. Christa seufzt: "Er ist höher als unsere Petri-Kirche." Wieder fröhlich wird sie, als sie uns zum Edward-Munch-Haus führt, wo der exzentrische Maler 1907 und 1908 zwei Sommer lang seinen Urlaub verbrachte. "Das war eine Aufregung in Warnemünde. Die Fischerfrauen holten ihre Töchter rein, die Leute klatschten und tratschten über den Künstler." Kein Wunder - an den Wänden sehen wir Fotos von Munch in Aktion: halb bekleidet oder nackt, den Pinsel wild führend, mit wirrem Haar und irrem Blick an seiner Staffelei am Warnemünder Strand (Foto Mitte). Doch das mit den Töchtern hätten sich die Fischersfrauen sparen können, denn der junge Bademeister, den Munch in seiner natürlichen Schönheit malte, wurde wegen unsittlichen Verhaltens aus dem Dienst entlassen. Heute ist dem Maler ("Der Schrei") sein ehemaliges Urlaubsdomizil gewidmet und dient jungen Künstlern als Unterkunft und norwegischen Delegationen als Treffpunkt und Veranstaltungsort.

Von den Ausschweifungen des Herrn Munch beschwingt, gehen wir weiter durch das im ersten Augenblick so ruhige und nette Warnemünde, das wohl doch nicht so bieder ist. "Sehen Sie die zwei Hunde?", fragt Christa und deutet auf ein Fenster. "Die fand man früher auf den Fensterbänken in den Häusern der Damen mit dem leichten Gewerbe." Christa räuspert sich und lächelt. "Wenn die Hunde im Fenster standen, konnten Interessenten sehen, dass sozusagen besetzt war." Die zwölf anderen Touristen, die uns beim Rundgang begleiten, lachen. Dann geht es seriös weiter.

Wir erfahren, dass die Warnemünder Häuser wegen der damaligen Besteuerung alle vorn schmal und nach hinten weg lang gebaut wurden. Typisch sei, dass hinter jedem Haus ein Birnbaum stehe. Der Vorbau, die Veranda eines Warnemünder Hauses, wurde für die "Berliners" angebaut. Denn je mehr Gäste kamen, desto enger wurde es in den Häusern. Viele "Berliners" blieben im Sommer sechs bis acht Wochen und kamen mit dem gesamten Hausrat. Die Männer fuhren oft wieder nach Hause zum Arbeiten, und die Frauen blieben mit den Kindern an der Küste. Vor einigen Jahren fiel auf, dass die Veranden fast alle auf Rostocker Grund stehen, der ja dann den Eigentümern nicht gehört. "Zahlen wollten die Warnemünder nicht, abreißen ging auch nicht, und dann war da noch der Denkmalschutz - also blieb alles, wie es war."

Wir machen eine kleine Pause unter dem großen Birnbaum vorm Heimatmuseum. Die Sonne brennt, und der Schatten ist angenehm. Wir hören, dass die Birnbäume eine wichtige Bedeutung in Warnemünde hatten. Rein praktisch waren die Birnen wichtig für die Menschen, die sich sonst durch den Fisch einseitig ernährten. Aber besonders die Anekdoten und Sagen beeinflussten die Leute in ihrer Liebe zum Birnbaum. Einer Frau, die Gicht hatte, empfahl ein Heiler, um Mitternacht bei Vollmond zum großen Birnbaum zu gehen und einen Zettel in die Rinde zu stecken. Sie schrieb und sagte in dieser Nacht: "Birnbaum, Birnbaum, ich bitte dich, nimm die böse Gicht von mich." Und sie wurde gesund. Seitdem vertrauen die Warnemünder ihre Bitten und Wünsche den Birnbäumen an und verehren ihre Früchte so sehr, dass sie sie zu allem essen, was passt oder nicht passt. Süßsaure Birne mit Bratkartoffeln ist zum Beispiel ein typisches Warnemünder Gericht.

Wir laufen über die Alexandrinenstraße und betrachten das alte Pfarrhaus, das 1871 in neugotischem Stil erbaut wurde. Wir werfen von da einen Blick auf die Kirche, die bereits drei Vorgänger hatte, und hören etwas über die 1866 erbaute einzige Neuwarnemünder Mühle. "Und dann kam die Industrie", so Christa. Sie erzählt uns über den berühmten Ernst Heinkel, der 1922 sein Unternehmen mit acht Leuten in Warnemünde begann und es auf ein paar Tausend Be schäftigte ausbaute. "Er baute ganze Stadtteile für seine Ingenieure und war für seine Innovationen bekannt." So entwickelte er 1939 das 1. Düsenflugzeug und wollte es hier in Warnemünde das erste Mal starten lassen. Der Start war für vier Uhr nachts angesetzt, und wer verschlafen hatte, war Ernst Heinkel. Eine Geschichte, die sich die Warnemünder heute noch gern erzählen. Weniger gern wird darüber berichtet, dass auch das Kriegsflugzeug E111 hier gebaut und deshalb im Krieg die Gegend stark bombardiert wurde. Unsere nächste Station ist die romantische Adresse "Linde 1". Wir spazieren in einen malerischen Hinterhof und staunen über das märchenhafte Ambiente, die Weinranken, farbenfrohen Blüten, die kuscheligen Bänke und urigen Steinwege. Neben einer Holztür hängen riesige Hühnergötter, und Christa gibt zu, dass sie nicht weiß, warum die Steine mit den Löchern so genannt werden. In dem romantischen Hinterhof finden wir alles, was wir als Unerfahrene wahrscheinlich umsonst am Strand suchen würden.

Weiter geht es zu dem bekannten Brunnen mit den Figuren von "de Umgang". Von Christa erfahren wir, dass früher alle zwei Jahre der "Öllermann" wichtige Leute zu sich nach Hause zum Essen und Trinken einlud und die Persönlichkeiten vorher gemeinsam durch Warnemünde zogen. Der Zug, der bis heute zu einer Tradition wurde, führt auch immer am Haus des Pastors vorbei und grüßte ihn, der am Fenster stand. "Das wurde zu DDR-Zeiten verboten und trotzdem gemacht", so Christa. Sie deutet auf die kleine Steinfigur auf dem Brunnen, den "Tiedingsbringer". Der Mann mit dieser Funktion hatte früher eine wichtige Aufgabe, er brachte die Neuigkeiten. Mit einem Fernglas schaute er auf die Ostsee, und wenn er enteckte, dass ein Schiff sich näherte, setzte er sich in sein Ruderboot, legte an einer der Brücken an und rannte zum Haus des jeweiligen Kapitäns, um der Ehefrau die Kunde von der baldigen Ankunft zu bringen. "Dankbar, gegebenenfalls den Geliebten noch schnell wegbringen zu können, gewährten die Frauen ihm einen Obolus und einen Schnaps", erzählt Christa, und die Gruppe lacht wieder. Ihre Anekdoten kommen gut an. Ab dem 16. und 17. Jahrhundert hatte es der "Tiedingsbringer" schwerer, da ein Befehl aus Rostock kam und alle Kapitäne von Warnemünde nach Rostock umziehen mussten.

 

 

Wir spazieren weiter über das holperige Pflaster der Querstraße, freuen uns über die üppigen Bäume, die mit ihren Kronen die Straße zum Teil romantisch überdachen, und müssen aufpassen, dass wir nicht stolpern, denn die Straße führt auf und ab. "Warnemünde ist auf Sand gebaut", erklärt Christa mit Blick auf unsere tapsigen Schritte auf dem Kopfsteinpflaster. "Hier wuchs früher kein Baum." Mit zahlreichen Schiffen wurde Mutterboden aus Skandinavien gebracht und in Warnemünde aufgeschüttet, erklärt die Stadtführerin. Als wir vorn an der Promenade ankommen, gibt es ein kleines Päuschen. Die Sonne brennt, die Gruppe schnauft. Doch die Seeluft bringt rasch Energie zurück. Christa deutet auf das andere Ende der Promenade. "Das einzige Hochhaus von Warnemünde.

Interessanter finden wir die Informationen, dass die Häuserzeile an der Promenade zwischen 1905 und 1910 geplant, aber erst nach dem 1. Weltkrieg gebaut wurde. Auch, dass der Leuchtturm 1897 errichtet wurde, sein Licht bis 30 Kilometer hinaus aufs Meer zu sehen ist und das Teepott Teepott heißt, weil es 1927 in Form einer umgestülpten Teetasse errichtet wurde. Dazu fehlt zwar im Moment die Fantasie, aber an das Schild "Sie werden platziert", das vor der Wende dort am Eingang stand, können wir uns erinnern. 1945 ist das Teepott abgebrannt, 1968 wieder aufgebaut worden, und nach der Wende stand es zehn Jahre lang leer. "Es gab viele potenzielle Investoren, viele Ideen und Pläne, doch irgendwie waren die dann immer alle wieder weg", erinnert sich Christa. Letztlich hätten zwei Rostocker das Teepott 2004 übernommen, und es wurde sogar erlaubt, eine Düne abzutragen, wegen der besseren Aussicht aufs Meer von der Kaffeeterrasse aus. Christa erinnert sich, dass sich diese Entscheidung schon bald rächte. Ein Sturm brachte so viel Sand auf die Terrasse, das Teepott und die Promenade, dass nur schwere Technik den Schaden beheben konnte. "Die Diskussion, ob man die Dünen abschieben darf, endet wohl nie", klagt Christa. Heute ist die Regelung wohl so, dass alle drei Jahre zwei Abschnitte der rund drei Meter hohen Dünen am Warnemünder Strand abgeschoben werden.

Natürlich kommen wir auf dem Weg zurück zum Alten Strom nicht an der Warnemünder Heldengeschichte über Vormann Jansen vorbei, der mehr als 90 Leute aus dem Meer gerettet hat und einen friedlichen Tod als alter Mann im Bett fand. Außerdem sehen wir an der Ecke, als wir zum Strom einbiegen, die Markierung der Sturmflut von 1862. Das Wasser stand bis zu den Balkons der Häuser in der ersten Reihe, die Menschen flohen in die Kirche. "Auch heute gibt es noch Stürme und Fluten, vor allem im Herbst, wenn lange ablandiger Wind geherrscht hat", weiß Christa.

Zum Abschied erzählt sie uns noch einen Witz, wie die Retter einen Ertrinkenden in Warnemünde erst fragten, ob er Rostocker oder Warnemünder sei, bevor sie ihn aus dem Wasser zogen, und weist damit dezent auf die diversen Differenzen hin, die zwischen Warnemünde und Rostock herrschen, obwohl offiziell eins zum anderen gehört. Wir danken Christa für die offiziellen und inoffiziellen Informationen und Geschichten über Warnemünde und setzen uns mit einem Fischbrötchen auf eine Bank am Alten Strom, um das Flair des schönen Ortes weiter auf uns wirken zu lassen. Wirklich schön, dieses Warnemünde!