• Dezember 08, 2021
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Eine Reportage über ein ganz besonderes Coaching

Katrin Gleiß-Wiedmann ist nicht nur die Managerin des Showensembles auf der MS Artania, sie ist auch ausgebildeter Coach und hat eben ein Buch zum Thema „Achtsamkeit und Meditation“ veröffentlicht. Lesen Sie über ein besonderes Coaching an Bord!

Wir sitzen uns gegenüber. Sie auf einem Sofa, ich auf einem Sessel. Sie hat die Beine übereinander geschlagen, lächelt und sagt: „Wie geht es Dir?“ Ich antworte höflich, noch etwas abwartend und denke: „Ah, erst Mal Smalltalk, okay!“ Wir unterhalten uns über meine Erlebnisse an Bord, wie ich mit Crew, Passagieren und der Situation klar komme. Durch geschickte Fragen manövriert sie mich in einen Redestrudel. Plötzlich rede ich nur noch, schaue die Wand an, aber eigentlich sehe ich zurück in mein Leben, in die letzten Jahre und werde mit einem absoluten Chaos in meinem Kopf konfrontiert. Da habe ich offensichtlich lange nicht aufgeräumt. 

Fakt ist, ich bin nicht mehr die Person, die ich war, als Katrin und ich uns vor 15 Jahren auf der MS Amadea während einer Reise rund um die Welt kennenlernten. Damals dachte ich, die Welt stünde mir offen, alles wäre möglich und es würde schon nichts Schlimmes passieren. „So leicht stirbt man nicht“, hatte mir mal ein Professor gesagt und ich glaubte an die Robustheit der Menschen. Die entscheidende Erkenntnis seit meiner Weltreise mit Katrin damals und meinen Glaubenssätzen heute liegt darin, dass das nicht stimmt. Menschen sterben schneller als man denkt. Ich hatte es gesehen in den letzten Jahren. Ich habe alle um mich herum verloren. Einen nach dem anderen. Übrig bin nur ich mit meinen drei Kindern. Seitdem ist es sehr einsam bei uns, was besonders bei sogenannten Familienfesten auffällt wie Weihnachten, Schuleinführung, Geburtstage... 

„Was macht Dich so richtig glücklich?“, fragt Katrin.

Ich halte inne und staune über diese wFrage. Die hatte ich komplett vergessen. Stimmt, das könnte man sich mal wieder fragen. Früher hatte ich rein nach dem Glücksbarometer gelebt. Wo ich das Glück vermutete, da bin ich hin: Studieren in Kalifornien und mit einem roten, alten Sportwagen und den Beach Boys laut aufgedreht die Straße am Pazifik rauf und runter. Ich habe bei einem Fernsehsender in Hollywood gearbeitet, bei einer Zeitung in Boston und war Gesellschaftsreporterin bei Gruner und Jahr. Ich habe Könige, Sportikonen, berühmte Schauspieler und Politiker getroffen. Und selbst als ich mit 24 Jahren alleinerziehend mit Baby war, lebte ich meine Träume weiter. Mit meiner Tochter machte ich zwei Weltreisen auf dem Schiff, schrieb Bücher, Blogs für Brigitte und hospitierte bei GALA, Geo und in den Vorstandsetagen bei Gruner & Jahr. Karriere, Kind, Reisen... Es ging alles leicht und ich war glücklich. 

Abrupt zu Ende war alles mit der Diagnose, die mein Vater erhielt. Ich hatte noch zuvor auf dem Weg zur Klinik, als ich ihn von seinen Untersuchungen abholte, eine schwarze Katze von Rechts nach Links über die Straße laufen sehen:

„Von Rechts nach Links, gelingt´s.“ Ich war absolut überzeugt, dass alles gut war. Das war das letzte Mal in meinem Leben, dass ich an Sprichworte glaubte. 

Die folgenden sieben Jahre waren von einem Wechsel aus Hoffnung und Verzweiflung erfüllt, Schmerzen und Kampf, neuen Studien und dem Warten auf Medikamentenzulassungen. Nebenbei habe ich noch zwei Kinder bekommen, unschöne Situationen mit dem Vater der Kinder durchlebt und einen Riesenverlag aufgebaut mit zwischendurch 50 Mitarbeitern, Expansion in mehrere Städte, mit vielen Magazinen, einem wachsenden Berg an Arbeit und immer wieder diesen Träumen, wie ich in verschiedenen Häfen immer wieder mein Schiff verpasse. Als meine Mama dann ihre Diagnose erhielt, konnte ich es nicht wahrhaben. Die folgenden Jahre versuchte ich mich nämlich zu zerteilen zwischen der Verantwortung für Leben und Tod meiner Eltern, die getrennt in verschiedenen Wohnungen lebten, meinen drei Kindern, den Forderungen meines Freundes nach einem für ihn erfüllten Leben in Glanz und Erfolg und der Führung meiner Mitarbeiter mit allen ihren eigenen Sorgen und Ängsten.

Als dann erst mein Vater, dann meine Oma, ein halbes Jahr später meine Mama und dann meine andere Oma starb, war es, als hätte ich die Jahre zwischen meiner letzten Weltreise und dem Jetzt gar nicht als ich selbst erlebt. Ich schaute in den Spiegel und erschrack, dass ich schon richtig alt war. Gefühlt noch das Kind meiner Eltern, im Spiegel eine nicht mehr junge Frau. Das sollte ich sein?

Ich erzählte und erzählte und Katrin fragte mich, wann ich das letzte Mal so richtig glücklich war und wo. Da brauchte ich nicht nachzudenken. Auf der MS Amadea allein an Bord am Ende der Chilenischen Fjorde bei der Einfahrt in den Pazifik. Dieser eine Moment, als die Berge Platz machten für diese gigantische Wasserfläche, die ganz ruhig vor mir lag. Es regnete leicht, ich hatte Musik auf den Kopfhörern und ich erkannte:

„Deshalb bist Du da. Dafür bist Du auf der Welt.“

Lange her! Endlich hätten meine Augen geleuchtet, erklärte Coach Katrin. Es fühlte sich eigenartig an, sich an schöne Dinge zu erinnern. Überhaupt war diese Weltreise damals Ausdruck eines Lebens, wie ich es idealisierte. Diese schnelle Abfolge an Eindrücken, die Gemeinschaft mit so vielen gleichgesinnten Menschen an Bord, mein Kind intensiv und nah, ein straffes Arbeitspensum (ich schrieb jeden Tag für Brigitte mehrere Seiten Blog und betreute die Community und deren viele Fragen), diese intensiven Farben, die verstärkende Musik, die ich immer dabei hatte und das ständige in Bewegung sein.

Nun saß ich hier mit meinem Coach Katrin wieder auf einem Schiff.

„Würdest Du jetzt hier an Bord wieder in der Situation sein, in den Pazifik einzufahren, wie wäre das?“,

fragte sie. Ich sah sie an und wusste genau, was sie meinte. „Nicht mehr das Selbe“, antwortete ich. Es käme nicht auf unsere Erlebnisse an, sagte Katrin, sondern wie wir diese bewerten. Eine super Erkenntnis. Theoretisch ist mir das klar. Aber es ist schwer, sich dieses Wissen zu Nutzen zu machen.  

„Weißt Du Katrin, eigentlich ist das alles sehr frustrierend“,

erklärte ich. „Am Ende meiner Interviews frage ich die Menschen seit 25 Jahren immer, was sie vom Leben gelernt haben. Mit geringen Abweichungen sagen sie alle das Gleiche. Aber müsste nicht Jeder etwas anderes sagen? Denkt nicht Jeder, sein Leben sei einmalig?“ Was ich denn vom Leben gelernt hätte, will Katrin wissen.

„Dass es komplett sinnlos ist“

, sage ich etwas zugespitzt. Ich erzähle ihr, wie schlimm es für mich war, nach ihrem Tod die Wohnung meiner Mama auszuräumen, den Aschenbecher mit der halben Zigarette auszuleeren (sie dachte, wenn sie immer nur halbe rauche, wäre das weniger schlimm), das Buch zuzuschlagen, das sie gerade bis zur Hälfte gelesen hatte und vor allem ihre Zeugnisse und Diplome wegzupacken. Dieses Streben nach irgendwas... Sinnlos. Mein Vater war ein Workaholic gewesen. Er hat Geld verdient, aber wir mussten immer sparen. Am Ende seines Lebens hat er alles für eine Dessous-Verkäuferin ausgegeben, die in den letzten Monaten seine Freundin war: einen großen, schicken Laden eingerichtet, Onlineshop, teure Waren, eine Wohnung. Heute lebt sie da mit ihrem neuen Freund. Wie sinnlos das Streben meines Vaters also war. 

„Früher hatte ich rein nach dem Glücksbarometer gelebt. Wo ich das Glück vermutete, da bin ich hin.“

„War das wirklich alles sinnlos? Wer hat das Recht das zu beurteilen?“, so Katrin laut. Wow! Das sitzt. „Schließlich bis Du jetzt da und Deine drei Kinder.“ So einfach ist das nicht, denke ich. „Ist es der einzige Sinn des Lebens, die Menschheit am Laufen zu halten und neue Generationen hervorzubringen?“, frage ich. „Vielleicht“, antwortet sie. „Aber wenn die Erde eh bald zerstört und unbewohnbar ist? Selbst der Kapitän glaubt nicht daran, dass wir die Umweltzerstörung aufhalten können.“ Vor ein paar Stunden noch hatte ich ein ausführliches Interview mit Kapitän Morten Hansen geführt, der von Plastik in den Meeren, Algenplagen und diesen schnellen Wetterveränderungen erzählt hat. „Ein Kapitän hat auch nicht immer Recht“, sagt sie intensiv. Und das auf einem Schiff... Nun müssen wir lachen und ich denke, ich habe es hinter mir. Dieses Lachen ist der Durchbruch zu meinem neuen Leben. Ich höre mir selbst nach und erkenne, wie all mein Gesagtes von außen wirken mag. Ziemlich wehleidig. Wenngleich ich in Katrins Augen viel Empathie und Mitgefühl sehe. Manchmal auch Tränen, wenn ich die Dinge viel detaillierter erzähle, als ich sie hier schreiben kann. Das beruhigt mich. Denn oft fragte ich mich, ob ich mich selbst zu viel bemitleiden würde. Aber ich sehe in ihren Augen, dass meine Erlebnisse durchaus berechtigt sind, nun traurig, müde und geschafft zu sein. 

Was ich brauchen würde, um wieder glücklich sein zu können, fragt sie mich. Ich verkneife mir meine spontane Antwort: „Meine Eltern zurück.“ Sie will realistische Möglichkeiten hören. Ich hatte mir von diesem Aufenthalt auf der MS Artania viel versprochen. Doch letztlich sitzen wir an unserem großen Tisch im Restaurant genau so allein wie zu Hause – ich und meine Kinder. „Eine Gemeinschaft“, sage ich. „Andere Menschen, die mir mal für einen Augenblick etwas Verantwortung abnehmen.“ Sie gibt mit Tipps aus eigener Erfahrung, dass man die Kinder durchaus einmal Freunden überlassen könne oder auch sich selbst. „Sie spielen doch auch gerade jetzt allein Tischtennis“, meint sie. „Tja, auf dem Schiff. Hier passen viele auf sie auf“, entgegne ich.   

Wo der Vater sei, fragt sie. Der ist vor sechs Jahren ausgezogen. Er wollte noch etwas von seinem Leben haben, hatte er damals gesagt. Ich konnte das sogar verstehen. Im Gegensatz zu früher, konnte ich ihm kein farbenfrohes Leben mehr bieten. Ich hatte keinen Glamour mehr, feierte nicht mal mehr meinen Geburtstag. Es tat gut, in diesem Gespräch mal alles etwas zu strukturieren. Das mit meinen Eltern ist das, was mich bis heute belastete. Da müsste ich nochmal durch, meinte Katrin. Schreiben, dachte ich. Das hatte mir immer geholfen. Ich nahm mir vor, mal wieder ein Buch zu schreiben. Erst Mal über die Vergangenheit, um damit abzuschließen und dann vielleicht über meine nächste Weltreise?Kurz fragte ich mich, ob dieses Virus uns überhaupt jemals wieder Weltreisen erlauben würde. Doch dann entschloss ich mich, ab jetzt Katrins Stimme und ihre Fragen nach positiven Bildern mitzunehmen. Ich werde mein Bild schon noch finden, das mich glücklich macht. Und dann würde ich es Katrin beschreiben, wenn wir uns wieder sehen.

Geboren wurde Katrin Gleiß-Wiedmann 1980 in Stuttgart. Nach dem Abitur entschied sie sich zu einer Ausbildung zur Musicaldarstellerin mit den Schwerpunkten Gesang, Sprache und Schauspiel in Hamburg. Es folgten einige Jahre als Kabarettistin mit ihrem Soloprogramm “Frauensachen”. Während dieser Zeit lockte sie immer mehr die weite Ferne und es folgten zahlreiche Engagements auf Kreuzfahrtschiffen als Sängerin und Kabarettistin. Bald übernahm sie als Produzentin, Bühnenautorin und Regisseurin die Verantwortung für das gesamte Entertainment von zwei Hochseeschiffen und bleibt dieser Aufgabe weiterhin treu. Schon immer begleitete sie eine große Neugier für die Psyche des Menschen, den Dingen, die im Unterbewusstsein schlummern. So entschloss sie sich zu einer Weiterbildung zur Psychologischen Beraterin, absolvierte diverse NLP Ausbildungen und fokussierte sich schließlich auf die Schwerpunkte Hypnose und Meditation. Im November 2020 enschloss sie sich einen Achtsamkeitszirkel zu entwickeln, der viele Themenbereiche des Daseins behandelt, für einen tiefen Entspannungszustand sorgen kann und gleichzeitig nicht länger als 10 Minuten dauert. Im Februar 2021 schuf sie einen zweiten Zirkel, eigens für Mütter.