• März 04, 2022
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Kultur und CoronaFreiwilliges Soziales Jahr Kultur in Zeiten des Coronavirus

Beim Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) Kultur arbeiten junge Menschen freiwillig ein Jahr in einer kulturellen Einrichtung mit. Dabei können sie den Arbeitsalltag kennenlernen und ausprobieren, welche Aufgaben und Tätigkeiten gut zu ihnen passen, eigene Projekte machen, andere Freiwillige treffen und herausfinden, was sie anschließend tun möchten. Wie sieht so ein Jahr in Hamburgs Kultur in Zeiten des Coronavirus aus? Drei junge Freiwillige berichten. 

 

"Jamliner" der Jugendmusikschule

ein junger Mann mit Mütze sitzt auf dem Sofa mit einem E-Bass in der Hand<button data-generic-click-event="picture_zoom" title="vergrößern"></button>Gero Bonkat macht sein Freiwilliges Soziales Jahr Kultur beim Jamliner der Jugendmusikschule
Bild: © Gero Bonkat

Gero Bonkat (19) macht sein FSJ Kultur im Jamliner, einem ehemaligen HVV-Bus, der zu einem Tonstudio und Proberaum umgebaut wurde. Der Bus fährt an Hamburgs Schulen und realisiert Musikprojekte mit Kindern. Das Projekt gehört zur Staatlichen Jugendmusikschule Hamburg. Gero wusste, was ihn erwartet, weil seine Schwester dort auch ein FSJ gemacht hatte. "Auf die Arbeit mit Jugendlichen war ich durch die Leitung von Konfirmationseinheiten in unserer Kirchengemeinde gut vorbereitet. Seit meiner Grundschulzeit musiziere ich selbst. Ich arbeite allgemein gerne mit Kindern, wie ich durch einige Praktika in meiner Schulzeit festgestellt habe."

Konntest Du trotz Corona mit den Kindern im Jamliner arbeiten?

Mit Maskenpflicht und regelmäßigem Lüften konnte Gero zu Beginn seines FSJ im Frühjahr/Sommer 2020 mit Kindern und Jugendlichen im Bus noch Musik machen. 

"Als ich mit meinem FSJ anfing, hatte gerade der erste Lockdown geendet, weswegen wir zuerst fast normal arbeiten konnten. Neben der Maskenpflicht im Bus und dem permanenten Lüften wurde alles regelmäßig desinfiziert. Trotzdem konnten wir weiterhin mit den Kindern Musik machen.  Am meisten Spaß macht die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen, also das Musizieren. Dies ist zur Zeit leider nicht möglich. Seit dem neuen Lockdown, der Ende letzten Jahres angefangen hat, können wir nicht mehr mit dem Bus zu den Schulen fahren und sitzen im Homeoffice. 

Wir haben die Zeit bisher für Fortbildungen durch die Mitarbeiter genutzt und um die aufgenommenen Songs fertig zu mischen. Meine Aufgabe besteht darin, zu diesen Songs sogenannte Lyrik-Videos zu basteln, also Videos, in denen der Text zum Song mitläuft. Momentan suchen wir Lösungen, wie wir den Kontakt zu den Kindern halten können, um diesen weiterhin eine Möglichkeit zur Teilnahme zu geben."

Gero nutzt die Zeit im Homeoffice noch für ein ganz besonderes Projekt: Er baut einen E-Bass. "Während der Arbeit im Bus fällt immer wieder auf, dass der Bass als Instrument eigentlich sehr beliebt ist, obwohl ihn keiner spielen möchte. Der momentane Bass ist für ein Kind leider zu groß und zu schwer. Der Bass an dem ich momentan arbeite, wiegt ähnlich viel wie eine Gitarre und ist etwas handlicher. Ich habe mir diesen stark ramponiert im Online-Handel gekauft, um ihn wieder 100 Prozent spielfähig zu machen." Über die Farbe und einen Schriftzug auf dem neuen Instrument dürfen die Kinder dann wieder mit entscheiden. "Denn sie werden ja nachher den Bass benutzen!"
 

W9 Künstlerinnen-Gruppe an der Stadtteilschule Wilhelmsburg

Abigail Marcillo (21) kommt aus Ecuador. Sie hat in Hamburg vor dem FSJ drei Monate an einer Sprachenschule Deutsch gelernt.  Abigail absolviert ihr FSJ seit August 2020 im Kunstbereich an der Stadtteilschule Wilhelmsburg. Sie hat sich für ein FSJ im Kulturbereich entschieden, weil sie danach Kunst studieren möchte. "Ich dachte, dass es eine gute Möglichkeit wäre, die verschiedenen Kunstrichtungen kennenzulernen." 

Kunstinstallation der Künstlergruppe W9 aus verschiedenen Materialien <button data-generic-click-event="picture_zoom" title="vergrößern"></button>Bild: © Künstlergruppe W9

In der Schule ist ihre Mentorin im Kunstunterricht die Künstlerin Gundula Wiemer. Abigail unterstützt die künstlerischen Prozesse der Künstlergruppe W9 an der Schule und hat an der Installation einer Schaufensterausstellung im Dezember in der Galerie Twnty4svn von Gundula Wiemer und Boris Simon mitgewirkt. Die kommende Ausstellung trägt den Titel „Geheime Orte 2.0.“

Wie sehr hat Corona Eure Arbeit beeinflusst?

"Ich denke, das Virus hat sich in großem Umfang im Kulturbereich ausgewirkt, da die Arbeit von Künstlern normalerweise für den Betrachter gemacht wird und nun aus offensichtlichen Gründen nicht persönlich erlebt werden kann. 

 

 

Kunstinstallation der Künstlergruppe W9 aus verschiedenen Materialien <button data-generic-click-event="picture_zoom" title="vergrößern"></button>Kunstinstallation der Künstlergruppe W9 aus verschiedenen Materialien 
Bild: © Künstlergruppe W9

Aber das hat uns zu einem interessanten Punkt geführt, nämlich wie Kunst in Zeiten der Krise die Welt heilen oder reparieren kann - was genau das Thema ist, mit dem sich die W9-Gruppe in diesem Jahr beschäftigt.

 

Ich genieße es, die Entwicklungsprozesse in den künstlerischen Arbeiten der Kinder zu beobachten und ein Teil davon zu sein. Und gleichzeitig lerne ich von den innovativen Ideen meiner Mentorin."

 

Ernst-Deutsch-Theater

Sophie Speidel (19) hat seit der Grundschule Theater gespielt, im Chor gesungen und andere Hobbies ausprobiert.  Nach dem Abi fiel ihr die Entscheidung für eine berufliche Richtung schwer. Als sie von einer Freundin hörte, die ein FSJ im Theater machte, fand sie das sehr reizvoll.

"Ein Jahr lang darf man zuschauen, mithelfen und mal eine 40-Stunden-Woche (also wie im richtigen Leben) austesten. Und falls es einem nicht gefällt, kann man hinterher einfach wieder gehen und sich etwas ganz anderes suchen. So bin ich zu meinem FSJK gekommen".

Eine junge Frau steckt den blonden Kopf durch einen roten Theatervorhang<button data-generic-click-event="picture_zoom" title="vergrößern"></button>Sophie Speidel im Ernst Deutsch Theater
Bild: © Sophie Speidel 

Sophies Einsatzstelle ist seit September 2020 das Ernst Deutsch Theater in Hamburg, das größte private Theater Deutschlands. "Das bedeutet, dass es einerseits groß ist (zumindest für mein Empfinden) und hochprofessionell arbeitet, andererseits aber auch familiäre Beziehungen pflegt und kurze Kommunikationswege hat. Das ist ein Punkt, der mich als FSJlerin in der Theaterpädagogik auch sehr wohlfühlen lässt. Ich darf bei fast allen Besprechungen, Proben und Veranstaltungen dabei sein, wenn ich möchte, und oft auch meinen Senf dazu geben. An Insights oder spannenden Diskussionen über Inhaltliches sowie Organisatorisches fehlt es also nicht. Außerdem erstreckt sich mein Tätigkeitsfeld über viele verschiedene Bereiche, da ich Mia Massmann, die Leiterin der Jugendsparte "Plattform" in allen Belangen unterstütze. Von der Regieassistenz in zwei Jugendclubs über die Kommunikation zwischen den Jugendclubleiterinnen und -leitern und dem Haus, bis hin zur Organisation und Durchführung der theaterpädagogischen Veranstaltungen. Aber auch das Marketing, also Besprechen der Graphikkonzepte oder Erstellen neuer Inhalte für die Social Media Kanäle und der Plattform-Podcast, mein FSJ-Projekt, gehören dazu.

Was hat Corona verändert?

Sophie hat ihre Einsatzstelle gar nicht ohne Pandemie-Umstände kennengelernt, was vielleicht auch ganz gut ist, um die Einschränkungen nicht so sehr zu bedauern. "Trotzdem gibt es einiges, was ich nach meinem FSJK gerne noch einmal "in normal" erleben möchte. Das Wichtigste vorweg: das "Plattform"-Festival. Das ist das alljährliche Festival der Jugendsparte "Plattform" am Ernst Deutsch Theater, das dieses Jahr erstmalig digital stattfinden wird. Also anstelle einer Woche mit 250 Jugendlichen auf der Bühne, die es zu betreuen und zu koordinieren gilt, werden dieses Jahr eine Woche lang Streams hochgeladen. Auch das ist organisatorisch aufwendig und spannend für mich dabei mitzuhelfen, aber es ist natürlich trotzdem nicht dasselbe. Das gleiche gilt für die Zoom-Proben, anstelle von analogen Proben, die ich oft mit betreue.

Es sind auch die kleinen Dinge, die den Alltag verändern, wie das Mittagessen auf Abstand anstatt gemeinsam an einem Tisch, das fehlende Umarmen nach gelungen Aufführungen der Jugendlichen (die im Sommer teilweise noch möglich waren) oder die Premierenfeiern, zu denen normalerweise für jedes Stück auf der Hauptbühne alle Mitarbeitenden eingeladen werden. "Aber dafür werde ich nächstes Jahr wieder kommen!"

"Außerdem haben wir die Büro-Situation noch einmal geändert, seitdem die Coronaregeln noch einmal verschärft wurden, sodass immer eine von uns aus dem Plattform-Team im Büro ist. Ich arbeite also jeden zweiten Tag im Home Office, womit ich gut klar komme. Dafür haben wir beschlossen, dass ich einfach mehr Zeit in den Podcast investiere. Denn Audiodateien schneiden und Konzepte schreiben geht auch gut von Zuhause aus."

Wie findet man sein Projekt?

Jeder und jede Freiwillige  muss ja ein Projekt innerhalb des Jahres erstellen, um selbständiges Arbeiten und Eigenverantwortung zu üben. Sophie: "Bei mir hat sich das tatsächlich einfach so ergeben, ohne dass ich lange überlegen musste, was es werden soll. Meine Einsatzstelle hatte schon länger über das Erstellen eines Podcasts von und über die Jugendsparte nachgedacht und just in dem Moment war ich da, hatte Lust drauf, es war Corona und daher eh nichts anderes wirklich realisierbar. Also ging ich die Sache freudig aufgeregt in Absprache mit meiner Anleiterin an. Ich hatte viele Ideen, wie sich das Ganze am Ende anhören sollte und für welche Zielgruppe er konzipiert ist. Es gab auf einmal eine unendliche künstlerische Freiheit, die man mir überließ und die mich zu Anfang etwas überfordert hat. Aber nach einigen Diskussionen und Testaufnahmen konnten wir das Projekt immer weiter konkretisieren. 

Es war (und ist weiterhin) wahnsinnig spannend. Ich habe technische Skills erlangt, mir eigene Konzepte und Inhalte überlegt, Moderationserfahrungen gesammelt, Zusammenarbeit mit dem Tontechniker des Hauses gelernt und vor allem die Menschen, die ich interviewt habe sowie ihre persönliche Motivation viel besser kennengelernt. Das ist ein riesiger Vorteil. So konnte ich trotz Corona tief in das Unternehmen eintauchen und für die Jugendlichen sowie alle anderen Plattform-Interessierten eine Verbundenheit zum Haus aufrecht erhalten."

Hier der Link zum Podcast: "Stück für Stück - der "Plattform"-Podcast 
https://open.spotify.com/show/33TMwe14bOpjf6IoOUIF5G?si=u6SVE8xKTvyOjUdukYUgOw

 

Infos zum Freiwilligen Sozialen Jahr (Kultur)

Der neue Jahrgang im Jugendfreiwilligendienst Kultur und Bildung startet am 1. September 2021. Das Anmeldeverfahren dafür läuft bereits. Nähere Informationen dazu finden Sie hier: https://www.kinderundjugendkultur.info/fsj-kultur_fuerjugendliche.

Falls Sie in Ihrer Einrichtung ebenfalls jungen Menschen die Chance geben wollen, sich zu bilden und zu engagieren, wenden Sie sich gerne an die LAG Kinder- und Jugendkultur e.V.
Hier erfahren Sie mehr über die Rahmenbedingungen und das Anerkennungsverfahren als Einsatzstelle: https://www.kinderundjugendkultur.info/fsj-kultur_fuereinsatzstellen.