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Der Arzt in der Praxis

 

Quo vadis, medicus? Angesichts der Liberalisierung des Berufs- und Vertragsarztrechts in den letzten Jahren ergibt sich für einen Arzt/eine Ärztin (nachfolgend: Arzt) eine Vielzahl von Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Neben der „klassischen“ Einzelpraxis existieren verschiedene Kooperationsformen. Die bekanntesten Kooperationsformen sind die Berufsausübungsgemeinschaft (BAG; frühere Bezeichnung: Gemeinschaftspraxis), die Praxisgemeinschaft sowie das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ). Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit den wichtigsten Kooperationsformen und den damit verbundenen Vor- und Nachteilen. 

 

Von Volker Kreft, Fachanwalt für Medizinrecht und Fachanwalt für Bank- u. Kapitalmarktrecht 

 

Der überwiegende Teil der Ärzte, und zwar 57,5 Prozent (Bundesarztregister, Stand: 31.12.2015), ist in einer Einzelpraxis tätig. Die Ausübung des ärztlichen Berufes in einer Einzelpraxis hat den Vorteil, dass die Tätigkeit völlig selbständig gestaltet werden kann. Zudem profitiert der Arzt alleine vom wirtschaftlichen Erfolg seiner Praxis. Nachteilig ist für den Praxisinhaber, dass er das gesamte organisatorische und wirtschaftliche Risiko alleine trägt. Dies gilt auch für eine mögliche Haftung. Ärzte gehen Kooperationen vor allem wegen der kollegialen Zusammenarbeit und des fachlichen Austausches ein. Auch betriebswirtschaftliche Aspekte, z.B. die Verteilung von Kosten, spielen eine Rolle. Seit einigen Jahren ist der Wunsch nach einer Kooperation auch von der in der Ärzteschaft gewandelten Vorstellung getragen, berufliche und private Lebensvorstellungen in Einklang zu bringen. Insbesondere bei jüngeren Ärzten ist diese Vorstellung zu beobachten. In jedem Fall sollte sich jeder Arzt, der in Erwägung zieht, eine Kooperation einzugehen, zuvor eingehend mit den in Betracht kommenden Möglichkeiten und seiner persönlichen Motivation beschäftigen. Eine Kooperation bietet vor allem wirtschaftliche Vorteile. So sind die Fixkosten (z.B. Miete, Personal, Gerätekosten) bei einer Kooperation im Vergleich zu einer Einzelpraxis üblicherweise prozentual geringer. Auch kann bei einer Kooperation das Leistungsspektrum, z.B. durch Spezialisierung, ausgeweitet werden. Dadurch lassen sich regelmäßig zusätzliche Einnahmen erzielen. Ein breiteres Leistungsspektrum kann zudem zu einem größeren Bekanntheitsgrad führen und damit einen positiven Werbeeffekt haben. Teilweise werden in der vertragsärztlichen Versorgung bestimmte Kooperationsformen im Rahmen der für sie geltenden Abrechnungsbestimmungen gefördert. Insgesamt können die vorgenannten Faktoren dazu führen, dass der einzelne Arzt in einer Kooperation – neben einer kollegialen, fachlichen Zusammenarbeit – höhere Einnahmen als in einer Einzelpraxis erzielen kann. Allerdings sollte, bevor eine Kooperation gegründet oder eingegangen wird, überlegt werden, ob die geplante Zusammenarbeit überhaupt geeignet ist, Synergieeffekte zu erzielen. Zudem ist nicht zu vernachlässigen, dass es bei einer Kooperation auch zu zwischenmenschlichen Problemen kommen kann. Für den Erfolg einer Kooperation ist es daher unabdingbar, dass relativ gleiche Wertvorstellungen, Klarheit über die gemeinsamen Ziele und über die Art der Umsetzung existieren. Bei der vertraglichen Umsetzung, d.h. dem Erstellen eines Gesellschaftsvertrages, ist Einholung anwaltlichen Rates zu empfehlen. Die Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) ist mit einem Anteil von 35 Prozent (Bundesarztregister, Stand: 31.12.2015) nach der Einzelpraxis die häufigste Form der Niederlassung. Zugleich ist die BAG die wichtigste Form der ärztlichen Kooperation. Bei der BAG handelt es sich um einen Zusammenschluss von Ärzten aus einer gleichen Fachgruppe oder aus unterschiedlichen Fachgruppen mit dem Ziel einer auf Dauer angelegten gemeinsamen Tätigkeit zur Behandlung von Patienten. Die BAG kann – klassisch – an einem Praxisstandort tätig sein. Sie kann aber auch als überörtliche BAG mehrere Praxisstandorte innerhalb der Region einer Kassenärztlichen Vereinigung (KV) oder auch in unterschiedlichen KV-Regionen (KV-übergreifend) haben. Bei einer überörtlichen BAG muss an jedem Praxisstandort mindestens ein Vertragsarzt seinen Vertragsarztsitz haben. Eine BAG hat einen gemeinsamen Patientenstamm. Bei der örtlichen BAG sowie der überörtlichen BAG innerhalb einer KV-Region erfolgt eine gemeinsame Abrechnung. Bei der überörtlichen, KV-übergreifenden BAG findet die Abrechnung für jeden einzelnen Praxisstandort nach den Maßgaben der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung statt. Kosten und Gewinne werden bei einer BAG gemeinsam entsprechend des Gesellschaftsvertrages verteilt. Der schriftliche Gesellschaftsvertrag muss als Mindestinhalt regeln, dass es um die Förderung eines gemeinsamen Zwecks geht und dass die Vertragspartner am unternehmerischen Risiko, an Entscheidungen und am Gewinn beteiligt sind. Ein Vertrag, durch welchen einzelne Gesellschafter so weit beschränkt werden, dass bei ihnen keine selbständige Berufsausübung mehr vorliegt, genügt diesen Anforderungen nicht. In jedem Fall ist der Gesellschaftsvertrag vor der tatsächlichen Umsetzung der BAG dem Zulassungsausschuss zur Prüfung vorzulegen. Der Gesellschaftsvertrag bedarf der vorherigen Genehmigung durch den Zulassungsausschuss. Die Vorteile einer BAG liegen darin begründet, dass sich eine Kostenteilung und -ersparnis durch die gemeinsame Nutzung der Ressourcen (Geräte, Räumlichkeiten, Personal) ergibt. Auch kann eine kontinuierliche Patientenbetreuung durch gegenseitige Vertretung (z.B. im Urlaub oder im Krankheitsfall) erfolgen. Nachteile der BAG sind, dass sich Haftungsrisiken auf die gesamte BAG beziehen. Auch ist der Gesellschaftsvertrag sorgfältig auszuarbeiten, um potentiell bestehende Konflikte bzgl. gesellschafts- und steuerrechtlicher Sachverhalte zu vermeiden. Eine Variante der BAG ist die sog. Teil-Berufsausübungsgemeinschaft (Teil-BAG). Bei dieser beschränkt sich die gemeinsame Zusammenarbeit auf einzelne Leistungen. Ein Vertragsarzt kann daher weiterhin in seiner Einzelpraxis tätig sein und zusätzlich Mitglied einer Teil-BAG werden. Auch die Teil-BAG bedarf der vorherigen Genehmigung durch den Zulassungsausschuss. Im Gesellschaftsvertrag, welcher dem Zulassungsausschuss für die Genehmigung vorzulegen ist, müssen die einzelnen Leistungen, welche von den Mitgliedern der Teil-BAG gemeinsam erbracht werden, exakt geregelt sein. Eine Teil-BAG darf nicht der Umgehung des Verbots der Zuweisung von Versicherten gegen Entgelt dienen. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn sich der Beitrag eines Mitglieds der Teil-BAG auf das Erbringen medizinisch-technischer Leistungen auf Veranlassung der übrigen Mitglieder einer Teil-BAG beschränken würde. Eine Umgehung würde auch dann vorliegen, wenn der Gewinn ohne Grund in einer Weise verteilt wird, die nicht dem Anteil der persönlich erbrachten Leistungen entspräche. Eine weitere, als Jobsharing-Berufsausübungsgemeinschaft (Job-sharing-BAG) bezeichnete Variante eröffnet in Gebieten, welche wegen Überversorgung gesperrtsind, die Möglichkeit, dass ein Arzt („Junior“) eine Zulassung zur vertragsärztlichenVersorgung erhält, wenn er mit einem bereits zugelassenen Vertragsarzt („Senior“) gemeinsamdie Tätigkeit im fachidentischen Bereich ausüben möchte. Es muss mithin „Fach- und Versorgungsidentität“bestehen. Die Leistungsmenge der Jobsharing-BAG darf den bisherigen Umfangnicht wesentlich überschreiten. Hinsichtlich des bisherigen Praxisumfangs wird ein Aufschlagvon 3 Prozent des Fachgruppendurchschnitts zugestanden. Durch eine Jobsharing-BAGkann daher so gut wie keine Honorarausweitung im vertragsärztlichen Bereich erfolgen. Vordiesem Hintergrund ist die Gründung einer Jobsharing-BAG vor allem dann interessant, wennder „Senior“ seine eigene vertragsärztliche Tätigkeit einschränken will bzw. muss oder wennder „Senior“ den Anteil von „selbstzahlenden“ Patienten ausbauen möchte. Einem „Junior“, dereine Jobsharing-Zulassung anstrebt, muss bewusst sein, dass sein BAG-Partner durch einseitigeErklärung gegenüber dem Zulassungsausschuss die BAG aufl ösen kann und damit das Ende derZulassung des „Juniors“ herbeiführt. Allerdings endet nach 10-jähriger gemeinsamer Tätigkeitdie Bindung der Jobsharing-Zulassung an die gemeinsame Berufsausübung mit dem „Senior“sowie die „Jobsharing-Leistungsobergrenze“. Nach 10 Jahren wird die Zusammenarbeit als„normale“ BAG eingestuft. Die Vorteile einer Jobsharing-BAG liegen in der Entlastung des „Seniors“ verbunden mit derMöglichkeit einer Teilzeittätigkeit (Work-Life-Balance). Zugleich wird dem „Junior“ eine Einstiegsmöglichkeitin die von ihm angestrebte fachärztliche Tätigkeit trotz Zulassungssperre geboten.Weiterhin kann durch eine Jobsharing-BAG eine Überleitungsphase für die Praxisabgabeeingeleitet werden.Bei der Praxisgemeinschaft handelt es sich um den Zusammenschluss mehrerer Ärzte ausschließlichzur gemeinsamen Nutzung von Praxisräumen, Personal und medizinisch-technischenGeräten. Anders als bei der Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) betreibt jeder an derPraxisgemeinschaft beteiligte Arzt rechtlich seine eigene Praxis. Dies betrifft sowohl den Patientenstammals auch die Erbringung und Abrechnung der ärztlichen Leistungen. Der Gegenstandder Praxisgemeinschaft wird von den Ärzten in einem Gesellschaftsvertrag geregelt. Wichtig ist, darauf zu achten, dass sich die vertraglichen Vereinbarungen nicht auf eine gemeinsame Berufsausübung beziehen, sondern ausschließlich den organisatorischen Praxisablauf mit einer entsprechenden Kostenverteilung zum Gegenstand haben dürfen. Die Praxisgemeinschaft ist nicht genehmigungspfl ichtig, aber gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung und der Landesärztekammer anzuzeigen. Sofern bei einer  Praxisgemeinschaft der Anteil an gemeinsam behandelten Patienten mehr als 20 Prozent bei versorgungsbereichsidentischen Praxen und 30 Prozent bei versorgungsübergreifenden Praxen beträgt, so wird von einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) ausgegangen. Dies kann zu Honorarrückforderungen führen. Der Vorteil einer Praxisgemeinschaft ist die Teilung von laufenden Kosten bei gleichzeitig verbleibender Eigenständigkeit. Auch können mehrere Fachrichtungen in einheitlichen Räumlichkeiten agieren. Nachteilig kann sich auswirken, dass die Organisation und der Personaleinsatz trotz eigenständiger Praxen einheitlich erfolgen müssen. Eine ähnliche Struktur wie eine Praxisgemeinschaft weisen die Apparategemeinschaft bzw. die Laborgemeinschaft auf. Die gemeinschaftliche Nutzung beschränkt sich bei der Apparategemeinschaft auf (kostenintensive) Geräte und bei der Laborgemeinschaft auf labormedizinische Analysen. Das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) ist als sehr komplexe Kooperationsform eine ärztlich geleitete Einrichtung, in dem Verträgsärzte und/oder angestellte Ärzte tätig werden können. Ein MVZ muss daher einen ärztlichen Leiter haben. Weiterhin kann ein MVZ nur für einen Standort zugelassen werden. Seit Juli 2015 ist der Kreis der Gründungsberechtigten eingeschränkt worden. Neben zugelassenen Ärzten und zugelassenen Krankenhäusern ist die Gründung nur noch Erbringern nicht ärztlicher Dialyseleistungen und an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden gemeinnützigen Trägern möglich. Ärzte, die in einem MVZ im Status der Zulassung vertragsärztlich tätig werden wollen, müssen Gesellschafter eines MVZ sein. Daneben kann ein Vertragsarzt in einem für Neuzulassungen gesperrten Planungsbereich auf seine Zulassung verzichten, um in einem MVZ als angestellter Arzt tätig zu werden. Die Zulassung geht durch einseitige Erklärung auf das MVZ über. Ein einmal in ein MVZ eingebrachter Vertragsarztsitz, der in ein Angestelltenverhältnis umgewandelt worden ist, kann jederzeit durch das MVZ nachbesetzt werden. Während im MVZ tätige Vertragsärzte jederzeit in die Niederlassung mit eigener Zulassung zurückkehren können, ist diese „Umwandlung“ bei angestellten Ärzten von bestimmten Voraussetzungen abhängig. So muss die Tätigkeit des angestellten Arztes dem Umfang eines ganzen oder halben Versorgungsauftrages entsprechen, der Arzt mindestens 1 Quartal bzw. 3 zusammenhängende Monate als solcher tätig gewesen sein und die Umwandlung spätestens innerhalb von 6 Monaten nach Beendigung der Tätigkeit im MVZ erfolgen. Bei einem MVZ gibt es – ähnlich wie bei einer örtlichen BAG – eine gemeinsame Patientenkartei und eine gemeinsame Abrechnung. Als Rechtsform kann für ein MVZ eine Personengesellschaft (GbR, Partnerschaftsgesellschaft/ mbH), eine GmbH, eine eingetragene Genossenschaft (eG) oder für Kommunen eine öffentlich-rechtliche Rechtsform (z.B. Eigenbetrieb oder Anstalt) gewählt werden. Seit Juli 2015 kann ein MVZ auch nur für eine Fachrichtung gegründet werden. Die bis dahin geltende Voraussetzung von mindestens zwei unterschiedlichen Fachrichtungen ist entfallen. Der Vorteil eines MVZ ist die Aufnahme bzw. Einbindung finanzstarker  Mitgesellschafter (z.B. Krankenhaus), die Kombination oder Verzahnung gleicher oder verschiedener Fachrichtungen sowie die Erzielung von Kostenersparnissen. Ärzten bietet diese Kooperationsform die Möglichkeit, durch eine Anstellung mit festem Gehalt und geregelten Arbeitszeiten ohne unternehmerisches Risiko tätig zu werden. Der Nachteil oder das Risiko eines MVZ besteht darin, dass die Amortisation der hohen Anfangsinvestitionen nicht zwingend gesichert ist. Weiterhin sind die Abstimmungsprozesse schwieriger als bei kleineren Arztpraxen. Für Vertragsärzte ergeben sich gegenüber einer Tätigkeit in einer BAG üblicherweise kaum Vorteile. Das Eingehen einer Kooperation stellt für einen Arzt eine gravierende Entscheidung für sein zukünftiges Berufsleben dar. Insbesondere sind – teilweise sehr komplexe – rechtliche Regelungen zu beachten und entsprechende Verträge zu erstellen und abzuschließen. Vor diesem Hintergrund ist einem Arzt in jedem Fall zu empfehlen, anwaltlichen Rat einzuholen bzw. sich anwaltlicher Unterstützung zu bedienen. Für einen Arzt, der dies beachtet, gilt: Felix Labor!