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Harte Arbeit statt Wellness
Physikalisch-therapeutische Maßnahmen sind in der Behandlung zahlreicher rheumatischer Erkrankungen unentbehrlich und können sogar Priorität vor einer Pharmakotherapie haben. Die therapeutischen Möglichkeiten umfassen die Anwendung von
- mechanischer Energie (Bewegungstherapie/Krankengymnastik, Massagen, manueller Medizin
- thermischer Energie: Wärme- und Kältebehandlungen (lokal, Ganzkörpertherapie)
- elektrischer Energie: Strombehandlungen mit nieder-, mittel- und hochfrequenten Strömen
- elektromagnetischer Strahlung: Infrarot, Ultraviolett
Die Indikationen und Aufgabenkreise der physikalisch-therapeutischen Behandlungen fokussieren auf
- Schmerzlinderung
- Verbesserung der Durchblutung und Gewebetrophik - Entzündungsdämpfung - Funktionsverbesserung
- Vor- und Nachbehandlung nach operativen Eingriffen
- Prävention und Rehabilitation
- Verbesserung der allgemeinen Reaktionslage und der körperlichen „Fitness“, Stärkung des Immunsystems
Besonderheiten bei rheumatischen Erkrankungen:
- Eine Therapie von rheumatischen Erkrankungen ohne physikalischtherapeutische Maßnahmen ist stets inkomplett; sie kann durch nichts ersetzt werden.
- Entzündlich-rheumatische Erkrankungen sind in der Regel gut beeinflussbar durch physikalisch-therapeutische Maßnahmen.
- Je akuter und florider der Krankheitsprozess ist, desto vorsichtiger muss dosiert werden.
- Es handelt sich bei den physikalisch-medizinischen Maßnahmen um eine eigenständige Behandlungsform mit eigenen Indikationen und Kontraindikationen. Die Anwendungen müssen ebenso wie eine medikamentöse Therapie überwacht werden (so macht etwa der Wechsel der Krankheitsaktivität eine Therapieanpassung notwendig).
- Die Maßnahmen sind in der Regel belastend und nicht entlastend, bei „serieller Therapie“ sind Therapiepausen zwischen den Behandlungen erforderlich.
- Die Behandlungen gehören – gleichberechtigt zur medikamentösen Therapie – in das rheumatologische Akutkrankenhaus und können sogar Grund für eine stationäre Aufnahme sein (multimodale rheumatologische Komplextherapie).
Letztendlich kann die Funktionalität von Gelenken und der Wirbelsäule nur durch konsequente „Bewegungstherapie“ erhalten beziehungsweise verbessert werden und nicht durch eine „Pille“. Fünf aktuelle englischsprachig publizierte Arbeiten belegen den Stellenwert physikalischmedizinischer Maßnahmen:
Studie 1: serielle Ganzkörpertherapie im Radonstollen Bei Patienten mit ankylosierender Spondylitis und rheumatoider Arthritis konnte eine signifikante Abnahme der Schmerzen objektiviert werden – bei geringerem Schmerzmittelverbrauch, anhaltend bis zu drei Monaten. Zudem konnte eine Abnahme von Entzündungsmolekülen nachgewiesen werden und eine positive Beeinflussung molekularer Mechanismen der entzündungsbedingten Osteoporose.
Studie 2: Physiotherapie bei akuter entzündlicher Wirbelsäulenmanifestation In dieser Pilotstudie an 20 Patienten mit Indikation für eine TNFBlockertherapie wurde untersucht, ob sich mittels intensiver Physiotherapie (3x pro Woche 45 Minuten) und nur halber Standarddosis von Etanercept eine den TNF-Blockern ähnliche effektive Wirkung erzielen lässt. Nach vier Monaten Therapie konnte bei 50 Prozent der Patienten eine 40-prozentige Verbesserung erzielt werden. Die Wirksamkeit von Etanercept in Volldosis ergab in der Zulassungsstudie erst nach sechs Monaten eine entsprechende Verbesserung bei 42 Prozent der Patienten. Zudem konnte in der Studie unter der Kombinationstherapie eine Kostenersparnis von 76.000 Euro erzielt werden. Die Studie zeigt, dass Physiotherapie einen nachweisbaren positiven Effekt auf die Zytokin-vermittelten Krankheitsmechanismen besitzt.
Studie 3: Standardisiertes Osteoporose-Training über zwei Jahre verbessert die Knochendichte und vermindert das Sturzrisiko. In dieser zweijährigen Prospektivstudie konnte durch ein wöchentliches Osteoporose-Training eine Zunahme der Knochendichte in der Trainingsgruppe objektiviert werden, passend dazu auch eine Modulation von Markern des Knochenstoffwechsels, eine Schmerzlinderung und eine Verbesserung von Sturzparametern.
Studie 4: Manuelle Therapie der Brustwirbelsäule (BWS) im nicht eingesteiften Stadium. Serielle manuelle Therapie im Rahmen einer Standardphysiotherapie erbrachte einen Benefit auf diverse Bewegungsparameter der BWS, die inspiratorische Vitalkapazität und krankheitsspezifische Scores. Es handelt sich hierbei um die weltweit erste Studie zur manuellen Therapie.
Studie 5: Biomechanische Stimulationstherapie (BMS) erweitert die Mundöffnung bei Mikrostomie bei systemischer Sklerose. In dieser Studie wurden Patienten mit deutlich reduzierter Mundöffnung im Rahmen einer Sklerodermie seriell mit BMS über drei Wochen behandelt, wobei eine Gruppe drei Applikationen (à 20 Minuten) und die andere fünf Applikationen pro Woche (à 30 Minuten) erhielt (BMS-Frequenz 23-28 Hz). In beiden Gruppen kam es zu einer signifikanten Erweiterung der Mundöffnung, wobei die 5-fach-Anwendung klar überlegen war. Die Mikrostomie lässt sich medikamentös nicht verhindern, kann aber durch BMS positiv beeinflusst werden und in Selbstanwendung erfolgen.
Fazit: Die Studien belegen, dass physikalisch-therapeutische Maßnahmen bei Rheumatikern wie auch bei Osteoporose-Patienten ihren festen Stellenwert im Therapieplan haben und zum Teil positive Effekte erzielen, wo man mit Medikamenten allein nicht mehr helfen kann. Zudem lassen sich auf molekularer Ebene Änderungen objektivieren, die erstmals einen Deutungsversuch zulassen, warum diese Maßnahmen mit positiven Effekten einhergehen.
Von Professor Dr. med. Uwe Lange
Uwe Lange studierte Humanmedizin in Gießen und promovierte in Mainz. Heute ist er Facharzt für Innere Medizin. Seine Schwerpunkte liegen unter anderem in der experimentell-molekularbiologischen Forschung zum Knochenmetabolismus bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. Aktuell ist Lange Professor für Internistische Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin am Zentrum Innere Medizin in Gießen und stellv. Direktor der Abteilung Rheumatologie und Klinische Immunologie an der Kerckhoff-Klinik in Bad Nauheim.