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"So können wir die Diabetes-Therapie revolutionieren"

Prof. Stefan Bornstein entwickelt eine künstliche Bauchspeicheldrüse

Immer mehr Menschen erkranken an Diabetes, doch nachwie vor ist die Krankheit unheilbar. Dresdner Forscherentwickeln jetzt Insulinpumpen und "Bio-Reaktoren" mit Schweinezellen für neuartige Transplantationen.

Welche Organe sind bei der Diabetes-Erkrankung gestört?
Prof. Bornstein: Diabetes ist eine Stoffwechselkrankheit, bei der der Zuckerhaushalt nicht mehr funktioniert, weil die Inselzellen in der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) nicht ausreichend Insulin produzieren können, oder der Patient eine Insulinresistenz entwickelt hat. Ohne Insulin kann der Zuckerspiegel im Blut nicht mehr hormonell reguliert werden und es kommt zur Überzuckerung. Dem kann man nur mit einer Insulin-Zuführung entgegen wirken. Langfristig kann es zu Störungen der Nierennerven und Gefäße kommen.

Was unterscheidet die beiden Haupttypen des Diabetes?
Prof. Bornstein: Für Typ 2 gibt es eine starke erbliche Belastung. Häufig haben die Patienten Übergewicht und der Stoffwechsel schafft es nicht mehr. Das Insulin wirkt immer weniger, irgendwann ist die Bauspeicheldrüse überlastet und bricht zusammen. Bei Typ 1 ist die Vererbungsrate geringer. Wahrscheinlich entsteht er durch einen Autoimmunprozess, der zum Beispiel durch Viren ausgelöst werden könnte. Der Körper richtet sich gegen seine eigenen Inselzellen und zerstört sie, sodass kein Insulin mehr Inselzellen: Die Beta-Zellen der produziert werden kann.

Was sehen die Forschungsansätze für neue Heilmethoden aus?

Prof. Bornstein: Ziel ist es, zu erreichen, dass der Körper des Patienten wieder eigenständig Insulin produzieren kann, möglichst in ausreichenden Mengen. Es wird daher zum Beispiel versucht, embryonale Stammzellen zu Inselzellen zu entwickeln, indem man sie umprogrammiert. Diese neuen Zellen produzieren jedoch nicht sehr viel und ihre Regulation ist noch nicht ausgereift. Ein anderer großer Schwerpunkt sind sogenannte Devices, also Geräte. In Dresden testen wir zum Beispiel neuartige Insulinpumpen für Typ 1-Patienten. Der dritte wichtige Komplex sind Transplantationen, um Insulin produzierende Zellen zu ersetzen. Dabei gibt es verschiedene Ansätze, man kann den Pankreas als ganzes Organ oder nur die Inselzellen transplantieren. Eine vielversprechende Methode, die mehrere Ansätze vereint, ist unser Bio-Reaktor, eine Hybridisierung von Materialen mit menschlichen und tierischen Zellen. Das fällt unter den Bereich der Xenotransplantationen, in dem Deutschland weltweit führend ist. 

"Ziel ist es, zu erreichen, dass der Körper des Patienten wieder eigenständig Insulin produzieren kann."

Dresden ist Zentrum für die Insulin-Pumpen. Warum sind die besser als Spritzen?
Prof. Bornstein: Etwa zehn Prozent der Typ 1-Patienten haben große Schwierigkeiten mit der Insulin-Einstellung. Sie spüren den Unterzucker nicht mehr und können ohne Vorwarnung in Ohnmacht fallen, außerdem sind sie gefährdet für weitere Erkrankungen wie Alzheimer oder Herzkreislaufprobleme. Gemeinsam mit einer Israelischen Firma haben wir eine Mini-Insulinpumpe mit einem sogenannten Closed-Loop-System entwickelt: Sie besitzt einen geschlossenen Kreislauf, der permanent den Zuckerspiegel misst und kontinuierlich Insulin in der richtigen Dosierung abgibt. An solche Patienten denken wir auch beim Einsatz unseres Bio-Reaktors.

Was bedeutet der Begriff Xenotransplantation?
Prof. Bornstein: Xenotransplantation beschreibt den Austausch von Organen oder Teilen zwischen verschiedenen Spezies. Da es nicht genug Spenderorgane gibt, ist das zurzeit ein vielversprechendes Gebiet. Wir arbeiten oft mit Geweben vom Schwein, weil sie den menschlichen Anforderungen sehr ähnlich sind, außerdem kann man zwischen Arten weniger Krankheiten übertragen. Das Problem dabei ist, dass artfremde Organe bei uns eine noch stärkere Reaktion des Immunsystems provozieren als menschliche. Da Transplantationspatienten ohnehin lebenslang Immunsuppressiva nehmen müssen, wären sie dann wahrscheinlich gar nicht mehr gegen Infektionen geschützt und hätten auch ein erhöhtes infektionsrisiko Die Herausforderung ist also, die Abstoßung des neuen Organs durch das Immunsystem auf andere Art zu verhindern.

»Der Bio-Reaktor enthält Inselzellen, die wir erfolgreich vom Schwein isolieren können.«

Wie kann man sich diesen Reaktor vorstellen?

Prof. Bornstein: Der Bio-Reaktor enthält Inselzellen, die wir erfolgreich vom Schwein isolieren können. Sie befinden sich in einer Kapsel, die wir "Ei des Kolumbus" nennen, und produzieren dort Insulin. Das Ei ist von zwei einseitig durchlässigen Membranen umgeben. Insulin gelangt in die Blutbahn des Patienten, aber es sind keine Angriffe durch das Immunsystem möglich, weil die Zellen zusätzlich durch eine Algenschicht geschützt werden. Solche Verkapselungen hat es vorher schon gegeben, doch häufig haben sie nicht funktioniert, weil die Zellen nicht versorgt werden und absterben.

 

Und wie versorgt der Bio-Reaktor die Zellen?

Prof. Bornstein: Im Moment muss noch immer täglich Sauerstoff von außen zugeführt werden, aber der Rest funktioniert durch das System eigenständig. Die Insulin-Mengen, die es im Moment produziert, sind noch gering, zusätzliche Spritzen sind nach wie vor notwendig. Aber die Gegenregulationsmechanismen des Körpers kommen damit wieder ins Lot, die kritischen Patienten können ihre Unterzuckerung wieder spüren. Für diese kleine Gruppe ist das System schon sehr gut, für weitere muss es noch optimiert werden. Aber dann kann diese Methode die Behandlung des schweren Typ 1 Diabetes revolutionieren.

 

Wie wurde der Reaktor bisher getestet?

Prof. Bornstein: Sieben Jahre wurde es mit Ratten und Schweinen getestet, im Moment laufen Versuche mit Affen. Wir haben den Reaktor aber auch schon ein Jahr in einem individuellen Heilversuch bei einem Menschen eingesetzt. Die Technik ist zwar noch gefordert, aber der Erfolg zeigt, dass es machbar ist. Im Moment laufen klinische Studien dazu und wir brauchen noch einige Jahre Entwicklung. Aber wir setzen große Hoffnungen in diese Schweinezell- Methoden. Es gibt sogar Modelle, dieses System auch für andere Zelltypen einzusetzen, zum Beispiel bei Patienten mit Leberversagen und speziellen Hormonstörungen wäre das Ei ideal.

»Unser System könnte in drei bis vier Jahren für die Patienten verfügbar sein, aber ohne finanzielle Unterstützung vielleicht auch nie.«

Wie lange wird es dauern, bis solche Therapien allgemein angewendet werden können?

Prof. Bornstein: Behördlich ist es nicht sehr einfach, weil Zellkulturen zwar standardisiert hergestellt werden können, aber eben keine Medikamente sind, sondern lebendes Material. Achtzig Prozent der Arbeitszeit eines Arztes, der solche Methoden entwickelt, betreffen bürokratische Dinge. Die Behörden können damit schwer umgehen und sind vorsichtig. Wenn nachträglich noch Veränderungen gemacht werden müssen, sind die Kosten auch sehr hoch. Unser System könnte in drei bis vier Jahren für die Patienten verfügbar sein, aber ohne finanzielle Unterstützung vielleicht auch nie. Das Penicillin kam zum Beispiel erst 15 bis 20 Jahre nach seiner Entdeckung auf den Markt. In anderen Ländern wird die Forschung durch Cloud Funding oder Spenden unterstützt, aber die Fonds hierzulande berücksichtigen eher Computerchips, da dauert die Entwicklung nicht so lang und ist besser planbar.