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"Die Apothekenlandschaft hat sich in den letzten 10 Jahren drastisch verändert"

Dr. Katja Daub über Gesetze, Kundenservice und Selbstverwirklichung

Der Beruf des Apothekers vereint fachliches Know-How, die Fähigkeit zu Empathie und kaufmännischem Denken. Doch trotz der hohen Anforderungen ist er heute auch durch Idealismus geprägt. Beschlüsse der Krankenkassen und Rabattverträge machen den Verkauf von Arzneimitteln immer unwirtschaftlicher und zwingen die Apotheker, auf alternative Angebote auszuweichen.

Sie sind nun schon viele Jahre im Apothekengeschäft. Wie hat sich die Bedeutung der Apotheken entwickelt?
Dr. Katja Daub: Wir sind nach wie vor Ansprechpartner für Fragen rund um die Gesundheit. Auf der einen Seite wächst das Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung, aber man merkt, dass nicht nur die Krankenkassen sparen wollen. Die Durchschnittsapotheke hat etwa 25% Rohertrag. Umso wichtiger werden Sortimente und Dienstleistungen, die ergänzend oder unabhängig zur ärztlichen Verordnung angeboten werden. Neben der Aufgabe, als Gesundheitsberater tätig zu sein,wird das kaufmännische Handeln immer wichtiger. Doch hier greifen die Krankenkassen und Gesetzgeber massiv ein. Entgegen jeder üblichen kaufmännischen Tradition kann der deutsche Apotheker im Bereich der verschreibungspflichtigen Arzneimittel kaum Einfluss auf das Sortiment und die Konditionen nehmen.

Welche Dienstleistungen bieten Sie über die Beratung hinaus?
Dr. Katja Daub: Wir bieten zum Beispiel regelmäßig kostenfreie Fachvorträge an. Dafür haben wir eigens einen Seminarraum eingerichtet. Im Vortrag bekommen die Zuhörer Hintergründe und Zusammenhänge für bestimmte Indikationsgebiete vertiefend erläutert. Das ist im Apothekenalltag in dieser Ausführlichkeit nicht möglich. Für mich gehört es dazu, dass der Patient uns auch als Informationsquelle wahrnimmt.

Wie sieht Ihr Sortiment aus? Gibt es Besonderheiten für Dresden?

Dr. Katja Daub: Prinzipiell entscheidet jeder Apothekeninhaber, wie das Sortiment seiner Apotheke strukturiert ist. Wir zeigen in unseren Apotheken, dass wir eine alte Apothekentradition modern und innovativ weiter führen. Das zeigt sich im Ladenbau aber auch im Angebot. So haben wir uns auf ein gewisses "Notfallsortiment" im Bereich Schwangerschaft, Stillzeit und Kleinkind und auf besondere Indikationen spezialisiert. Milchpumpen und Inhaliergeräte stehen immer zur Verfügung. Mit unserer Filiale im Hauptbahnhof stehen wir mit unserem Konw-How und auf Notfälle spezialisiertem Sortiment (Antibiotika, Antiasthmatika, Virustatika u.v.m.) ganzjährig an 365 Tagen täglich bis 22 Uhr bereit. Wir können beim Milchstau an Pfingsten genauso helfen wie bei Atemnot an Ostern oder einem Hautausschlag am Weihnachten.

Was gibt es für andere Möglichkeiten einer Spezialisierung in Apotheken?

Dr. Katja Daub: Es gibt die Möglichkeit der Spezialisierung, zum Beispiel im Bereich der Dermokosmetik, der Phytotherapie, eine Schwerpunktbildung im Bereich Homöopathie und Schüsslersalze, Nahrungsergänzung und vieles mehr. Andere Apotheken spezialisieren sich auf die Versorgung von Pflegeeinrichtungen oder den Import von Arzneimitteln. Wieder andere spezialisieren sich auf die Herstellung von Zytostatika und Parenteralia, was besondere bauliche (Reinraum) und fachliche Vorraussetzungen erfordert. Jeder Inhaber entscheidet dies aufgrund des Standortes (Ärztehaus, Innenstadt, Landapotheke), der eigenen Interessen und der wirtschaftlichen Möglichkeiten und Erfolgsausichten.

Unterscheidet sich das Randsortiment von dem Angebot in Drogerien?
Dr. Katja Daub: Wir dürfen nicht alles anbieten, darauf achtet der Gesetzgeber. Es gibt ein sogenanntes apothekenübliches Sortiment, das wir neben den Arzneimitteln anbieten dürfen. Dazu zählen apothekenexklusive Produkte im Bereich der Nahrungsergänzung (z.B. Orthomol) oder der Körperpflege (z.B. La Roche Posay) aber auch Sortimente, die sowohl in der Drogerie, als auch in der Apotheke verkauft werden (z.B. Klosterfrau Melissengeist, Meridol, Fieberthermometer). Bei den Apotheken steht der gesundheitliche Aspekt besonders im Fokus. So sind beispielsweise viele Pflegeprodukte besonders für empfindliche, zu Allergien neigende oder neurodermitische Haut geeignet.

Sind die Wirkstoffe meist konzentrierter?
Dr. Katja Daub: Das ist durchaus möglich. Ein Johanniskrautprodukt aus dem Drogeriemarkt ist beispielsweise beschriftet mit 300mg Johanniskraut pro Tablette. Bei einem apothekenplfichtigen Arzneimittel sind auf den ersten Blick auch nur 300 mg enthalten. Bei genauerem Hinsehen wird aber ein großer Unterschied deutlich. Beziehen sich die 300mg beim Drogerieprodukt auf das ganze Kraut, so sind im Apothekenprodukt Spezialextrakte verarbeitet und standardisiert auf die eigentlich wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe. Vergleichen Sie eine Kaffeebohne mit einem aufgebrühten Kaffee und dem reinen isolierten Koffein! Ähnliches sehen wir auch bei Mariendistelprodukten und Artischockenprodukten. Die Preise für verschreibungspflichtige Arzneimittel sind gesetzlich geregelt.

Wie viel bekommt die Apotheke?
Dr. Katja Daub:
Bei der Abgabe von Fertigarzneimitteln, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind, setzt sich der Endpreis wie folgt zusammen: Bezogen auf den Einkaufspreis erhält die Apotheke einen Festzuschlag von 3 Prozent zuzüglich 8,35 Euro zuzüglich 16 Cent zur Förderung der Sicherstellung des Notdienstes. Hinzu kommen 19% Umsatzsteuer, die an den Staat abgeführt werden. Gleichzeitig erhalten die gesetzlichen Krankenkassen bezogen auf die 8,35 Euro einen Abschlag von derzeit 1,80 Euro. Früher war die Ertragssituation so, dass ein teures Medikament auch eine hohe Marge hatte. Damals wurden Privatpatienten mit hochpreisigen Rezepten sehr umworben. Nun hat sich die Situation geändert, und dieselben Kunden kommen und wundern sich. Man muss jetzt deutlich mehr Patienten versorgen, um den gleichen Ertrag zu erwirtschaften. Natürlich kann es auch mal ein verschreibungspflichtiges Medikament geben, das im Einkauf nur einen Euro kostet und wofür wir am Ende auch die pauschale Vergütung bekommen. Mit solchen Beispielen werden Apotheken durchaus in den Medien auch mal als Abzocker dargestellt - kling ja auch erst mal viel, 600% Aufschlag - aber eben auf sehr niedrigem Niveau. Es kann passieren, dass ein Privatpatient ein Medikament für 1000 Euro mit Kreditkarte bezahlen möchte. Das ist aber nicht machbar! Das Kreditkarteninstitut mit 3,85 Prozent Gebühr (38,50 Euro) bezogen auf den Bruttopreis (MWSt 159,66 Euro) würde mehr verdienen als die Apothekenmarge ausmacht (32,74 Euro). Eine prozentual so niedrige Marge können viele Patienten sich nicht vorstellen, sodass viel Aufklärungsbedarf besteht. Ihr Verdienst würde dann ins Minus gehen.

Was ist die Konsequenz?
Dr. Katja Daub:
Mittlerweile gibt es Apotheken, die solch hochpreisige Rezepte verweigern - offiziell dürfen sie das nicht. Manche Medikamente sind direkt beim Hersteller zu beziehen. Da kann es schon mal sein, dass das Medikament von der Apotheke schon bezahlt sein muss, bevor das Geld von den Krankenkassen (gesetzlich oder privat) kommt. Auf die Art kann es zu Vorfinanzierungen durch die Apotheken von bis zu einigen Tausend Euro kommen. Patienten berichten uns immer mal wieder, dass nicht jede Apotheke dazu bereit ist. Unter Umständen machen insbesondere auch Privatpatienten einen Rundgang und fragen nach, wo sie ihr Rezept einlösen können und wo sie eine Valuta eingeräumt bekommen. Denn selbst Gutverdiener haben nicht immer solch hohe Beträge sofort zur Verfügung.

Gibt es überhaupt noch einen Unterschied zwischen Privat- und Kassenpatienten?
Dr. Katja Daub:
Kaum. Was allerdings aus Sicht der Apotheke bei Privatpatienten die Belieferung des Rezeptes unter Umständen vereinfacht, ist, dass es bei den Privaten Krankenkassen kaum die bürokratisch sehr aufwändigen so genannten "Rabattverträge" gibt. Die verschiedenen deutschen gesetzlichen Krankenkassen haben für hunderte von Wirkstoffen mit hunderten Herstellern im Jahre 2013 in Summe rund 17700 Rabattverträge geschlossen. Um Rezepte unter rein bürokratischen Aspekten (kein pharmazeutisches Wissen) richtig zu beliefern, werden derzeit rund 6,9 Millionen Datensätze in der Apothekensoftware verarbeitet und mehrmals jährlich aktualisiert.

Stichwort: Wie sehen Sie die Rabattverträge aus Apothekersicht? Was ist eine Retaxation?
Dr. Katja Daub:
Auch wenn das Bundessozialgericht eine Null-Retaxation als gerechtfertigt ansieht, empfinden dies - nicht nur die Apotheker - als eine große Ungerechtigkeit. Auch ich empfinde es als durchaus fragwürdig, dass zwei Interessensgruppen (hier Krankenkassen und Arzneimittelhersteller) Verträge aushandeln, die vom wirtschaftlichen Interesse beider Parteien motiviert sind und, dass Dritte (hier die Apotheken) dafür die Verantwortung tragen. Abgesehen davon, dass ein hoher bürokratischer Aufwand betrieben wird und im Verwaltungsbereich entsprechend hohe Kosten entstehen, wird den Apotheken ein echtes Risiko aufgebürdet. Nicht mehr die optimale Versorgung des Patienten steht im Vordergrund, sondern "die richtige Firma". Passiert ein Formfehler - was bei der Komplexizität der Sachverhalte und der nur kurzen Bearbeitungszeit pro Rezept vorprogrammiert ist -, erlaubt der Gesetzgeber eine so genannte Null-Retaxation. Einige Krankenkassen kürzen also für die erbrachte Leistung nicht nur die vermeintlichen Mehrkosten (es gibt absurderweise sogar Kürzungen, obwohl die Krankenkasse objektiv Geld gespart hätte), sondern, egal wie hoch der Einstandspreis für das vom Apotheker zur Verfügung gestellten Medikaments ist, er bekommt nichts! Das führt auch zu einer sehr großen Verunsicherung bei den Apothekenteams, denn jeder ist sich bewusst, ein klitzekleiner Formfehler kann durchaus hunderte Euros kosten. Die Formfehler passieren zudem besonders leicht, weil oftmals Lieferengpässe bei den Vertragsfirmen bestehen. Patienten müssen vertröstet werden, oder aber die richtigen Codes auf das Rezept gedruckt werden, sodass die Abgabe eines Nichtrabattarzneimittels von den Krankenkassen akzeptiert wird. Zur Krönung besteht für die Apotheken noch Monate später eine Nachweispflicht, dass das "Rabattarzneimittel" zum gegebenen Zeitpunkt nicht lieferbar war, d.h. die entsprechende Bestätigung muss bei den Herstellern und den Großhändlern eingeholt werden. Das ist ein Wahnsinn und der Gesetzgeber ist hier meines Erachtens nach wirklich in der Pflicht, Veränderungen herbeizuführen. Wer sich das nicht vorstellen kann, ist herzlich eingeladen, sich in meinen Apotheken diesen Alltagswahnsinn einige Stunden lang mal anzuschauen. Mit pharmazeutischen Know-How hat dieser Part der Arzneimittelversorgung schlicht nichts mehr zu tun!

"Jeder Mitarbeiter absolviert im Jahr bei uns rund 30 Schulungen. Wir haben mehrere Tausend Produkte und natürlich müssen wir alle mit ihren Inhaltsstoffen kennen und erklären können."

Also haben Sie bei den Arzneimitteln keinen Einfluss auf Ihr Angebot?
Dr. Katja Daub: Juristisch sind wir eingetragene Kaufleute und können Konditionen aushandeln und die Ware anbieten, von der wir annehmen, dass wir sie gut verkaufen können. Im verschreibungspflichtigen Bereich sind uns jedoch die Hände gebunden. Wie oben beschrieben legen die Krankenkassen meist fest, welche Arzneimittel wir abzugeben haben. So habe ich in meinen Apotheken zig verschiedene Packungen Ibuprofen oder Diclofenac oder Metoprolol... was aus wirtschaftlicher Sicht unakzeptabel ist. Zudem sind mögliche Einkaufskonditionen beim Großhändler oder Herstellern gedeckelt. Viel Umsatz heißt also nicht zwingend auch viel Rabatt.

Wie funktioniert in Dresden die Lizenzvergabe für Apotheken?

Dr. Katja Daub:
Die Lizenzvergabe heißt bei uns Betriebserlaubnis. Die Kriterien für die Erteilung einer Betriebserlaubnis durch die Landesdirektion Sachsen ist gesetzlich bundesweit einheitlich geregelt - z.B. im Apothekengesetz oder der Apothekenbetriebsordnung. Der Inhaber muss Apotheker sein, also drei Staatsexamen absolviert haben und praktische Erfahrungen gesammelt haben, bevor er seine Approbation erlangt. Diese ist Grundvoraussetzung für die Erteilung einer personen- und ortsgebundenen Betriebserlaubnis. Dabei gibt es keine Limitierung, wie viele Apotheken in einer Region eröffnet werden. Neben den fachlichen Voraussetzungen des Apothekenleiters sind weitere Kriterien zu erfüllen - beispielsweise die Einrichtung eines Labors, einer Rezeptur und eines Notdienstzimmers. Inzwischen müssen alle Apotheken ein Qualitätsmangement-System vorweisen, was ich durchaus richtig finde. Wir sind bereits seit 2004 zertifiziert). Weiterhin muss ausreichend pharmazeutisches Personal zur Verfügung stehen. Es dürfen keine "ungelernten Kräfte" Arzneimittel abgeben.

Wie sieht die Personalsituation aus?
Dr. Katja Daub:
Wie in vielen anderen Branchen auch zeichnet sich im Apothekenmarkt ein Fachkräftemangel ab. Insbesondere in ländlichen Regionen wird es künftig immer schwieriger werden, zum Beispiel Apotheker zu finden. Das Studium ist sehr anspruchsvoll, die Arbeitszeiten nicht immer attraktiv und der mögliche finanzielle Erfolg eher mäßig. Gemessen an der körperlichen Belastung und dem Fachwissen, was nicht nur Apotheker sondern auch Pharmazeutisch-Technische Assistenten haben, sind Angestellte in öffentlichen Apotheken meines Meinung nach unterbezahlt. Doch die gesetzlichen Veränderungen und die immer kleiner werdenden Margen lassen hier Großzügigkeiten nur in sehr begrenztem Maße zu. Die fachliche Qualifikation und regelmäßige Weiterbildungen sind zwingend notwendig. Bei uns finden nahezu wöchentlich Weiterbildungsmaßnahmen in den eigenen Räumlichkeiten statt. Zusätzlich nehmen einzelne Teammitglieder auch an mehrtägigen Spezialseminaren teil. In meinen Apotheken absolviert jedes Teammitglied jährlich rund 30 Schulungen. Wir haben mehrere Tausend verschiedene Produkte und natürlich müssen wir alle mit ihren Inhaltsstoffen kennen und erklären können. Außerdem müssen wir viele Krankheitsbilder kennen.

Ist es so, dass die Leute mit ihren Symptomen zu Ihnen kommen und teilweise gar nicht mehr zum Arzt gehen?

Dr. Katja Daub:
Auf jeden Fall, gerade im typischen Selbstmedikationsbereich: Husten, Schnupfen, Heiserkeit, Hautschuppung, Pilzerkrankungen... Viele Menschen leiden an lästigen Symptomen, möchten aber den Arztbesuch erst mal vermeiden.. Wir müssen dann erkennen, ob der Patient im Rahmen einer Selbstmedikation behandelt werden kann oder ob ärztliche Hilfe gebraucht wird. Kommt eine Patientin mit einer Harnwegsinfektion, die nicht nur brennt, sondern es sind zusätzlich Blut im Urin oder Fieber feststellbar, dann verweisen wir natürlich zum Arzt und unterstützen trotzdem mit erster Hilfe, um die Symptome zu lindern. Aber das Antibiotikum muss dann vom Arzt verordnet werden. Wir dürfen auch keine Diagnosen stellen, wir können nur Empfehlungen geben.

Ist die Selbstmedikation der Kompetenzbereich der öffentlichen Apotheken?

Dr. Katja Daub: Das kommt natürlich auf die Lage einer Apotheke an. In einem Ärztehaus steht sicherlich die Rezeptbelieferung im Vordergrund. Aber fachlich ist die Selbstmedikation natürlich ein Bereich, der auch richtig Spaß macht. Hier können wir fachliche Kompetenz zeigen und uns profilieren. Denn die Rezepte sind vom Arzt vorgegeben. Das genaue Präparat oftmals wie oben beschrieben von den Krankenkassen vorbestimmt. Wir können dennoch manchmal zusätzlich Hinweise geben, um die Therapie optimal zu unterstützen. Wenn beispielsweise ein Antibiotikum verordnet ist, kann die Verträglichkeit durch Kombination mit einer medizinischen Hefe optimiert werden, die Darmflora wird stabilisiert und das Immunsystem unterstützt. Die Wahrnehmung aus Sicht des Patienten ist hier sehr unterschiedlich. Zum einen wird eine seriöse Beratung und Produktempfehlung geschätzt, aber auch immer wieder unterstellt, möglicherweise einfach nur "was verkaufen zu wollen".