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Schwindel im Alter
Die Umgebung dreht sich oder schwankt hin und her: Mehr als jeder zehnte Patient sucht innerhalb eines Jahres einen Hausarzt aufgrund von Schwindelgefühlen auf. Bei den über 70-Jährigen klagt jeder dritte darüber und sogar jeder zweite Patient der über 80-Jährigen. Schwindel beeinträchtigt vor allem ältere Menschen in ihrer Lebensqualität und kann zu sozialem Rückzug führen.
Schwindelgefühle entstehen dann, wenn die an unserem Gleichgewichtssystem beteiligten Sinnesorgane – das Gleichgewichtsorgan des Ohres und die zuständigen Nervenbahnen im Gehirn, die Augen,sowie die Stellungs fühler der Muskulatur, Sehnen und Gelenke – widersprüchliche Informationen an das Gehirn senden. „Unsere Balance hängt also stark vom Funktionieren verschiedener Körpersystemeab“, erklärt Privatdozent Dr. med. Stefan Volkenstein, Oberarzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde an der Universitätsklinik für Hals-, Nasen-und Ohrenheilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie an der Ruhr-Universität Bochum im Vorfeld der 88. Jahrestagung der DGHNO KHC.„Schwindel ist keine eigenständige Krankheit, sondern ein Symptom ganz unterschiedlicher Erkrankungen. Diese beeinträchtigen die Körpersysteme,die für unser Gleichgewicht verantwortlich sind.“ Zu den Ursachen zählen beispielsweise Erkrankungen im Innenohr, dem Sitz des Gleichgewichtsorgans, Störungen des Gleichgewichtszentrums im Gehirn, psychische Leiden, aber beispielsweise auch Abnutzungserscheinungen der Halswirbelsäule im Alter. Diese wirken sich auf die Gefäße und Nervenbahnen aus, die für das Gleichgewicht eine Rollespielen. „Die Therapie des Schwindels ist daher eine interdisziplinäre Herausforderung“, erklärt der Experte. „Die Krankheitsbilder fallen hauptsächlich in den Bereich der HNO-Heilkunde, Neurologie und der Inneren sowie Allgemeinmedizin.“ So vielfältig wie die Ursachen,sind auch die Formen und die Dauer der Schwindelgefühle.
Häufig werden Schwindelgefühle und Gangunsicherheit bei älteren Patienten aber als hinzunehmende Begleiterscheinung des Alters abgetan. Eine große Kohorten-Studie in Deutschland hat Schwindel kürzlich als einen der Faktorenidentifiziert, der die Lebensqualität älterer Menschen stark beeinträchtigt und sie beispielsweise davon abhält, an sozialen Aktivitäten teilzunehmen. „Schwindelgefühle müssen auch deshalb unbedingt ernst genommen und richtig diagnostiziert werden“, so der Experte.Zu den häufigsten Ursachen für Schwindel bei älteren Patienten gehörensensorische Defizite, wie beispielsweise ruckelndes Sehen bei der sogenannte bilateralen Vestibulopathie, einer beidseitigen Schädigung des Gleichgewichtsorgans, zudem zentraler Schwindel und gutartiger Lagerungsschwindel. Bei zentralem Schwindel liegt der Ursprung für die Störung des Gleichgewichtssinns im Gehirn – Tumoren des Hirnstamms oder Multiple Sklerose können beispielsweise der Grund sein.Die Ursache des sogenannten gutartigen Lagerungsschwindels liegt an fehlplatzierten Kristallen im Innenohr und tritt bei Veränderungen der Kopflage auf.„Der Schlüssel zur richtigen Diagnose muss bei allen Patienten mitSchwindelsymptomen eine ausführliche Anamnese des Patienten durch den Arzt, sein“, betont Priv.-Doz. Dr. Volkenstein. In diesem Gespräch werden Art, Dauer und Auftreten der Symptomatik systematisch erfasst, ebenso bestehende Erkrankungen des Patienten und mögliche Nebenwirkungen von Medikamenten. Der Arzt erhebt dann eine klinische Verdachtsdiagnose, die in vielen Fällen vor allem durch HNO-ärztliche und neurologische Untersuchungsmethoden und bildgebende Verfahren abgesichert wird. „Richtig diagnostizierte Schwindelsyndromehaben eine gute Prognose und können häufig mit Medikamenten oder auch einem Schwindeltraining zur Sturzprophylaxebehandelt werden.“
Von Dr. med. Stefan Volkenstein, Oberarzt an der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie der Ruhr-Universität Bochum, St. Elisabeth-Hospital Bochum
Die Berücksichtigung und Messung der Lebensqualität rückt in unserer zunehmend älter werdenden Gesellschaft immer mehr in den Blickpunkt. Schwindel ist im Rahmen einer großen Kohorten- Studie in Deutschland als ein wesentlicher Faktor identifiziert worden, der die Lebensqualität älterer Menschen beeinträchtigt und sie beispielsweise davon abhält, an vielen sozialen Aktivitäten teilzunehmen. Jeder dritte über 70-Jährige und sogar jeder zweite über 80-Jährige suchen während eines Jahres wegen Schwindels mindestens einmal einen Arzt auf.
Schwindel ist dabei keine klar abgrenzbare oder definierte Krankheitsentität, sondern kann als Symptom bei ganz unterschiedlichen Erkrankungen auftreten. Hierzu zählen eine Reihe von Krankheitsbildern, die hauptsächlich HNO-Ärzte, Neurologen, Internisten und Allgemeinmediziner sowie verschiedene weitere Fachdisziplinen diagnostizieren und therapieren. Bei älteren Patienten werden Schwindel und Gangunsicherheit dabei häufig leichtfertig als unspezifische und unabwendbare Begleiterscheinungen des normalen Alterns abgetan. Tatsächlich unterscheiden sich die Ursachen für das Auftreten von Schwindelsymptomen abhängig vom Alter ganz deutlich: so spielen bei den älteren Patienten sensorische Defizite (zum Beispiel bei der bilateralen Vestibulopathie) sowie zentraler Schwindel neben dem sogenannten gutartigen Lagerungsschwindel die größte Rolle, wohingegen bei den jüngeren Patienten (unter 40 Jahren) phobischer und somatoformer Schwindel ebenso wie die vestibuläre Migräne deutlich mehr repräsentiert sind. Die meisten Schwindelsyndrome haben eine gute Prognose und können vielfach konservativ (medikamentös, physikalisch und psychotherapeutisch) behandelt werden.
Der Schlüssel zur richtigen Diagnose ist bei allen Patienten mit Schwindel eine ausführliche Anamnese, bei der unter anderem Art, Dauer und Auftreten der Symptomatik systemisch erfasst werden. Die Absicherung der so gestellten klinischen Verdachtsdiagnosen kann in vielen Fällen durch vor allem HNO-ärztliche und neurologische Untersuchungsmethoden sowie bildgebende Verfahren erfolgen, um dann eine möglichst gezielte und effektive Therapie oder ein Schwindeltraining (unter Umständen zur Sturzprophylaxe!) einzuleiten. Bei Therapieversagen und Persistenz der Symptome sind die wiederholte Diagnoseüberprüfung und eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit unbedingt angezeigt. Gerade bei älteren Patienten ist die korrekte Diagnosefindung oft dadurch erschwert, dass mehrere mögliche Ursachen infrage kommen (oben genannte Diagnosen, Medikamentenneben- wirkungen, Kreislaufdysregulation, etc.). Die notwendige Zeit für eine solch detaillierte und teils aufwendige Anamnese und klinische Untersuchung fehlt in der heutigen Zeit unter den gegebenen Rahmenbedingungen jedoch oft. Es gibt für einzelne Diagnosen auch operative Therapieverfahren des peripher-vestibulären Schwindels, dem wir auf HNO-Fachgebiet häufig begegnen, zum Beispiel der Morbus Menière, benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel, Cholesteatome, etc. Diese spielen in absoluten Zahlen insgesamt zwar nur eine untergeordnete Rolle, sie stellen aber für die betroffenen Patienten nach Ausschöpfen alternativer Therapieverfahren oft die einzig verbleibende Option dar.