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Staatsminister Dr. Fritz Jaeckel übers Sachsens Perspektive...

 

...als europäische Region in Mitteldeutschland


Von Staatsminister und Chef der Staatskanzlei Dr. Fritz Jaeckel

 

Ich möchte heute den Versuch unternehmen, die Arbeit der Landesregierung in den Kontext von Perspektiven zu stellen. Dabei spielen drei Perspektiven eine maßgebliche Rolle: Die erste Perspektive ergibt sich aus der räumlichen Zugehörigkeit zu Mitteldeutschland und Europa. Die Zweite aus der Fort- und Weiterentwicklung der Forschungs- und Produktionslandschaft Sachsens. Und die Dritte ergibt sich aus einer begleitenden gesellschaftspolitischen Aufgabe aller Akteure in Sachsen, die sich einer großen Versöhnungsarbeit gegenüber sehen.

Zum ersten Punkt: Sachsen ist das Kreuz zweier großer Verkehrs- und Handelsachsen. Berlin, Dresden, Prag, Bratislava, Budapest, Wien und Leipzig, Halle, Chemnitz, Dresden, Breslau, Krakau. Sternförmig von diesen Orten aus erschließt sich ein Raum, der mehr als 13 Millionen Einwohner umfasst. Das ist eine europäische Wachstums- und Entwicklungsregion, die in Europa in den nächsten 30 Jahren eine große Rolle spielen wird. Deshalb spielen Verkehrsachsen in der Regierungspolitik eine wichtige Rolle. Besonders der TEN-Korridor, vom Baltikum bis ans Schwarze Meer ist meiner Einschätzung nach für Sachsen lebensnotwendig. Die Alternative dazu ist nämlich eine Achse von Danzig über Breslau an uns vorbei. Sollte dieser Verkehrsweg an uns vorbei geplant werden, sind wir Zulieferer auf eine andere große Achse. Und das wird Sachsen sicherlich langfristig, da sich wirtschaftliche Entwicklungen schon seit dem hohen Mittelalter immer anhand dieser Achsen bewegen, nicht unbedingt zum Vorteil gereichen.

Die Digitalisierung ist in aller Munde und sie ist in Sachsen mangelhaft. Wir haben jetzt Projekte aufgesetzt, mit denen in Sachsen eine breit angelegte Digitalisierung, insbesondere Breitbandausbau, ermöglicht wird. Beispielsweise konnten dem Landkreis Bautzen im letzten Jahr 175 Millionen Euro Fördermittel von Land und Bund für diesen Zweck zur Verfügung gestellt werden. Für diesen Aufbau werden natürlich auch Betreiber gebraucht. Dabei gibt es einen Wettstreit zwischen der Telekom und Vodafone, wie man am besten mit diesen Infrastrukturen umgeht. Die Telekom spielt dabei zur Zeit nicht wirklich eine die Digitalisierung fördernde Rolle, weil sie den Bürgermeistern erzählt, es ist besser, das Vectoring zu nehmen, also das Verstärken aus den bestehenden Leitungen, anstatt einen Glasfaserausbau auf dem technologischen Standard  des Jahres 2017 zu gestalten. 

EU-Stellung als zweites Stichwort der ersten Perspektive. Wir bekommen derzeit von der Europäischen Union in der Förderperiode von 2014 bis 2020 allein aus den sogenannte Strukturfonds 2,8 Milliarden Euro. Davon gehen 2,1 Milliarden Euro in den Fond für regionale Entwicklung und 660 Millionen Euro in den europäischen Sozialfond. Wie geht es mit dieser EU-Förderung weiter? Ich höre häufig in Brüssel, wenn ich in meiner Funktion als sächsischer Aufbauminister dort bin, dass es einen Kampf um das Budget geben wird. Die Agrarbudgets der EU werden nicht angetastet. Frankreich wird mit aller Gewalt verhindern, dass das EU-Agrarbudget angefasst wird und daran wird sich Deutschland auch halten müssen.

Was bleibt dann übrig? Übrig bleibt die Forschung, das Thema Kohäsionsfond. Man sieht, dass die europäische Union genauso denkt, bei der Finanzierung eines großen Pakets war eine Mitfinanzierung aus dem Wissenschaftsprogramm der erste Griff in die Kasse.

Der Bund-Länder-Finanzausgleich ist für Sachsen gut ausgegangen. Wir bekommen ab 2020 weiter 770 Millionen Euro pro Jahr, die dann aufwachsend sind. Das ist für uns ein wichtiger Beitrag zur Weiterfinanzierung unseres Haushaltes.

Regionale Beziehungen, außereuropäische Anmerkungen: vielleicht zwei sehr wichtige kurze Anmerkungen. Ich habe einen engen Berater von Donald Trump gebeten, dem Präsidenten deutlich zu machen, dass er in europäischen Regionen, auch in Sachsen, durchaus Partner für seine Überlegungen finden kann. Der Berater des Präsidenten hat mir klar gesagt, Donald Trump geht es um Deals. Er denkt als Geschäftsmann, er möchte, dass am Ende ein positiver „return on investment“ für die amerikanische Gesellschaft herauskommt. Und so lange bei diesen „deals“ auch sichergestellt ist, dass entsprechend auch der Partner dabei mitspielen kann und dabei Erfolg hat, wäre er dafür ansprechbar.

Vereinigte Arabische Emirate - zweites großes Stichwort für Sachsen. Der Staatsfonds Mubadala aus den Vereinigten Arabischen Emiraten hat 15 bis 20 Milliarden Euro in den Standort Dresden investiert. Aber mir ist auch deutlich gesagt worden, dass wenn das Unternehmen keinen Gewinn abwirft, jetzt und in Zukunft, man sich auch sehr schnell wieder von einem solchen Investment trennen wird. Das zweite was uns Gedanken machen muss, ist die Tatsache, dass die Investoren, also der Mubadala-Fond, genau in der Zeit, in der ich da war, mit einer großen Regierungsdelegation in China war und auch dort eine strategische Investition mit den Chinesen vereinbart hat. Globalfoundries ist zur Zeit verpflichtet, in China ein Joint Venture mit einer chinesischen Firma aufzubauen und die Chipproduktion mit dieser Weltregion dann auch vor Ort vorzunehmen. Andernfalls bekommen sie keinen Zugang zum chinesischen Markt. 

Das ist ein Problem dieser Industrie weltweit. Ich möchte das auch noch einmal in Richtung Sachsen sagen, weil wir hier von Perspektiven sprechen. Das Problem beruht darin, dass man eigentlich – und das sage ich Ihnen als Jurist – feststellen muss, dass alles, was in dieser Technologie läuft, durch „intellectual property“ –Schutzrechte nicht wirklich schützbar ist. Es wird an anderer Stelle genauso erforscht, es wird weitergegeben, es wird geteilt und das ist auch für uns das Problem. Ich glaube, wir müssen erkennen, dass dieses Thema unglaubliches Tempo aufnimmt und man kaum hinterher kommt, Produktionen auf diese Innovationen zu setzten und dass die Sorge bestehen muss, dass die Produktion dann an anderer Stelle der Welt entsteht.

Unsere außereuropäischen Kontakte

Wir werden mit den Partnern in den USA weiter dafür werben müssen, Direktinvestitionen zu haben. Die USA sind der größte Direktinvestor bei uns in Sachsen und das muss auch so bleiben. Und das letze: die Rahmen- und die Raumvernetzung muss weiter verbessert werden. Alle Verkehrsträger, alle Medien digital.

Die Entwicklung der Forschungs- und Produktionsstandorte

Mir ist in langer Beschäftigung mit den Mitspielern aufgefallen, dass wir im Grunde genommen eine Riesenchance haben, das Ökosystem unserer IT-Technologie in Dresden zu verbessern. Wir sind mit der Chip-Produktion ein großer Hardware-Produzent. Wir sind schlecht auf der Softwareseite. Wir müssen für diese Hardware Softwareapplikationen bekommen, denn da spielt die Musik. Das ist das, was Silicon-Valley macht. Wir brauchen in Dresden Software-Applikationen, weil da Produktion entstehen wird. In Gesprächen kommen dann folgende Themen zur Sprache: health-IT-Daten, Automobil-Immobilität, Medizintechnologie und quer zu diesem Themen liegt das Thema IT-Security. Das sind alles IT-Applikationen. Vielleicht einmal kurz was dahinter steht:

Health-IT: Es gibt eine Wissenschaftlerin aus Sachsen-Anhalt, die am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam promoviert hat und die zur Zeit daran arbeitet, ein System zu entwickelt, wie man Gesundheitsdaten von Patienten so auf Serverstrukturen bringt, dass sie weltweit jederzeit an jedem Ort von jeder Klinik bei jedem Arzt ausgewertet werden können. Ich glaube, dass das ein Thema ist, was unglaubliche Bedeutung bekommen wird. Das heißt aber auch, dass wir in Deutschland unsere Regularien auf diese Entwicklung anpassen müssen. Wenn wir das so stehen lassen, was wir da an Regularien in der Staatsverwaltung der Sozialversicherung und des Datenschutzes im Bereich der Gesundheitsvorsorge und -Fürsorge in Deutschland haben, verhindert einen Umgang mit diesen Daten. Das ist in Deutschland kein Geschäftsmodell, was funktionieren wird.

Automobil-Immobilität: Ich habe veranlasst, dass wir in Sachsen einen Chancen- und Risikenatlas für die Immobilität machen. Wir haben auch im Bereich der Technologie, also der Elektronik extrem gute Firmen, die sich damit auskennen. Kaum jemand in Sachsen weiß, dass die Steuerungselemente für die Flügelklappen des A380 in Kamenz von einer kleinen Firma gefertigt werden. Jedes Teil kostet 300.000 Euro. Da sind Chancen und da können wir weitermachen. 

IT-Security

Wir müssen als Land von dieser Hardwarelastigkeit wegkommen und müssen zu Softwareapplikationen kommen. Welche Risiken bestehen aber bei diesem Thema? Dazu einmal folgende Zahlen: Wir haben in der EU eine Forschungsförderung - das sogenannte Programm Horizont 2020, das aus drei Säulen besteht. 24,2 Milliarden Euro excellent sience, 16,5 Milliarden industrial leadership und 28,6 Milliarden Euro für societal challenges. Zusammen sind das mit einigen ergänzenden Programmteilen knapp 80 Milliarden Euro, die in der Forschungsförderung sind.

Das Problem dabei: Für diese Forschungsförderung in den ersten zwei Sektoren interessieren sich noch fünf europäische Mitgliedsstaaten: Großbritannien, Deutschland, die Niederlande, Italien und Frankreich. Alle anderen interessiert Forschungsförderung nicht. Und zwar, weil ihre Gesellschafts- und Wirtschaftsmodelle ganz anders ausgerichtet sind, nämlich agrarpolitisch, transferpolitisch, Tourismusregionen. Und das ist ein Problem, wenn sie in einer EU mit so vielen Mitgliedsstaaten weiterhin eine hohe Forschungsförderung sicherstellen wollen. Wir haben das jetzt in der Europaministerkonferenz als Thema identifiziert, Sachsen wird dazu einen Antrag machen und wir werden versuchen, dafür mehr Bewusstsein zu schaffen. Die Direktoren der großen deutschen Forschungseinrichtungen Max-Planck und auch Helmholtz haben einen recht guten Vorschlag, wie man damit umgehen kann. Man sieht es an der Max-Planck-Gesellschaft, die jetzt ein gemeinsames Projekt zwischen Polen und Deutschland anberaumt.

Ein weiteres Problem: Aus dieser Forschungsförderung profitieren am meisten 10 europäische Großforschungseinrichtungen, davon 8 in Großbritannien. Wenn die ausscheiden, sehen Sie an dem von mir gewählten Zahlenspiel, was da für Schwierigkeiten auftreten werden. Ich möchte damit sagen, dass Sachsen als Bundesland, das ein Drittel des Exportes nach Großbritannien liefert, das sehr stark Forschungsaffin ist, mit diesen Großforschungseinrichtungen einen Modus der Zusammenarbeit finden muss. Noch ein Hinweis zu dem Thema Produktion. Das macht uns in der Regierung an vielen Stellen erhebliche Gedanken. Nehmen wir das Beispiel Linde. Die Firma erwägt, den Standort in Dresden zu überdenken. Der Ministerpräsident hat Gespräche mit den Vorstandsmitgliedern geführt. Das Problem ist, dass wir als Standort in Ostdeutschland nicht mit München verglichen werden, sondern mit außereuropäischen Standorten. Ich halte das für ein Problem, weil es nach 27 Jahren deutscher Einheit schleichend wieder eine Trennung herbei führt. Daran gilt es zu arbeiten.

Nächstes Thema Mercedes: Mercedes baut in Breslau ein Werk und will 2019 dort Motoren fertigen. Wir haben uns mit einem Standort in Ostmittelsachsen auch beworben. Wir haben die Produktion für die Batterietechnologie von Mercedes in Kamenz bekommen. Das Auswärtige Amt ist an den Bildungsunternehmer herangetreten und hat vorgeschlagen, für das Mercedeswerk in Breslau eine deutsche Schule aufzubauen. Das hilft auch langfristig Sachsen. 

Die gesellschaftspolitischen Aufgaben

Wir haben heutzutage eine Komplexität erreicht, bei der die Politik sagt, dass sie den Bürger im Einzelnen überfordert. Ein Gesellschaftswissenschaftler stellte mir die Frage, ob dieses Argument stimmt. Ist die Welt wirklich komplexer geworden und muss der Bürger sie erklärt bekommen? Den zweiten Punkt verneine ich, ich glaube, dass die Bürger sehr genau wissen, was in unserem Land passiert. Ich glaube, dass wir das Problem haben, dass aufgrund der internationalen Einflussnahme (auch der Wirtschaftsunternehmen), in der Politik Dinge passieren, die den Bürgern missfallen. Und daraus entsteht ein Problem der Glaubwürdigkeit und der Authentizität.

Wenn Sie sich jetzt gesellschaftspolitische Entwicklungen anschauen, ob dass die Eurofrage ist, ob das die Frage Industriepolitik oder Forschungspolitik ist, dann sehen Sie, dass die Perspektiven nicht unbedingt so sind, dass man sich zurücklehnen kann. Und deshalb ist auch der Satz: „No government is the best government.“ definitiv falsch. Meine Überzeugung ist, dass Politik und Gesellschaft gemeinsam versuchen müssen, in diesen Zeiten zusammen zu stehen und auch den kritischen Bemerkungen von Bürgern etwas entgegen setzen und sich auch der Diskussion stellen müssen.

Ich fahre in Unternehmen, ich treffe in Betriebsversammlungen auf Menschen, die sich dem politischen System fern fühlen und erlebe dort spannende Diskussionen. Und ich bin froh darum, dass wir miteinander im Gespräch bleiben können und dass es auch gelingt, den einen oder anderen nachdenklich zu stimmen. Wir haben auch in der Verwaltung und der Politik die Verantwortung, diesen Impetus, den wir Anfang der 90er Jahre mitgenommen haben, auch aufrecht zu erhalten.