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Der positive Turnaround

Vor einiger Zeit haben wir in Disy über das "Kartellder Plattmacher" geschrieben. Allein 2010 gingenüber 35.000 Unternehmen pleite - 40 Prozent mehrals im Jahr zuvor. Wir zitierten Andree Wernicke, der in seinem Buch die Insolvenzverwalter anprangert. Weil es keine Kontrolle ihrer Tätigkeit gibt, wären Korruption, Selbstbedienungund Unregelmäßigkeiten die Regel. Zu den positiven Ausnahmen zählt Andree Wernicke u.a. auch den Dresdner Insolvenzspezialisten Andrew Seidl, den er als einen der Top-Insolvenzplan-Verwalter anführt. Grund für Disy, den Experten zur aktuellen Lage auf dem Insolvenzmarkt zu befragen, um zu erfahren, was er anders macht als all die anderen.

Was machen Sie besser als andere Isolvenzanwälte?
Seidl:
Ich habe einen anderen Ansatz als viele meiner Berufskollegen. Die Insolvenzordnung ist nach meiner Auffassung das beste Sanierungsgesetz, das es in Deutschland gibt. Deshalb verstehe ich mich nicht als Insolvenzverwalter, sondern als Insolvenzmanager. Damit verlagere ich den Schwerpunkt auf die Sanierung und nicht auf die Betriebsfortführung.

Wo ist der Unterschied?
Seidl:
Eine Betriebsfortführung bedeutet für mich lediglich die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes, um diesen später an einen Investor verkaufen zu können. In diesem Fall saniert nicht der Insolvenzverwalter, sondern der Investor den übernommenen Betrieb. Damit partizipieren aber nicht die Insolvenzgläubiger am Erfolg der Sanierung, sondern der Investor. Demgegenüber erarbeite ich mit meinem Team ein Sanierungskonzept für das Unternehmen und setze dieses bereits innerhalb des Insolvenzverfahrens um. Der Sanierungserfolg kommt damit den Gläubigern durch höhere Quoten zugute.

Das birgt aber auch Risiken...

Seidl (lacht): Na, klar. Deshalb scheuen das so viele Insolvenzverwalter. Jede Sanierung birgt auch hohe Haftungsrisiken. Wer diese scheut, ist aber aus meiner Sicht im falschen Beruf tätig.

Warum stehen Sie dann trotzdem mehr zu Sanierungen?
Seidl: Das Insolvenzverfahren dient nach dem Gesetz in erster Linie der bestmöglichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger und nicht der Auslastung des Verwalterbüros. Wenn ich zur ordnungsgemäßen Erfüllung meiner Aufgaben auch Risiken eingehen muss, so sind diese hinzunehmen.

Insolvenzplanverfahren sind also Ihr Steckenpferd? Darüber haben Sie sogar selbst ein Buch geschrieben.
Seidl: Ja, in meinem Buch "Die Zweite Chance" erkläre ich, wie man mit dem Insolvenzplanverfahren sein Unternehmen retten kann. Ich war überrascht, wie wenig die Unternehmer eigentlich über die Sanierungsmöglichkeiten, die die Insolvenzordnung bietet, informiert sind. Mit dem Buch habe ich versucht, auf diesem Gebiet ein wenig Aufklärungsarbeit zu leisten.

Sanieren Sie Unternehmen aus bestimmten Branchen oder Größenordnungen? Seidl: Grundsätzlich bin ich nicht auf spezielle Branchen und Unternehmensgrößen festgelegt. So habe ich Sanierungskonzepte vom Ein-Mann-Unternehmen bis zum mittelständischen Konzern erarbeitet und umgesetzt. Durch die langjährige Erfahrung, fachspezifische Kompetenz und das unternehmerische Feingefühl meines Teams begleiten wir Insolvenzen und Unternehmenssanierungen jeder Größe aus allen Branchen.

Wie vielen Unternehmen haben Sie schon geholfen?
Seidl:
Das ist schwer zu sagen. Bei einer mehr als 20jährigen Berufserfahrung hört man zwangsläufig mit dem Zählen auf. Sagen wir es aber so: wenn man von 10 Fällen 6 bis 7 mit Erfolg abschließen kann, ist das ein sehr gutes Ergebnis. Leider klappt die Sanierung nicht immer.

Woran liegt das? Was ist der Hauptgrund für das Scheitern von Sanierungen?
Seidl: Daran ist in erster Linie meist der Unternehmer selbst Schuld. Statt sich in der Krise ihres Unternehmens intensiv mit dem Thema Insolvenz auseinanderzusetzen, wird dieses beharrlich ausgeblendet. Die Insolvenz wird zum Teil über Monate oder sogar Jahre verschleppt. Wenn der Insolvenzantrag endlich gestellt wird, ist oft nichts mehr zu retten. So sitzen gestandene Unternehmer vor mir, die behaupten, nicht zahlungsunfähig zu sein, obwohl sie die Löhne und Gehälter ihrer Mitarbeiter seit mehr als drei Monaten nicht mehr bezahlen konnten. Da muss man, glaube ich, nichts mehr sagen.

Können Sie in wenigen Worten erklären, was ein Insolvenzplan ist?

Seidl: Ganz einfach gesprochen ist der Insolvenzplan ein Sanierungskonzept, das mit den Sonderrechten der Insolvenzordnung innerhalb eines Insolvenzverfahrens umgesetzt wird. Die Umsetzung des Konzeptes dauert für gewöhnlich nur wenige Monate. Danach ist die Insolvenz wieder beendet.

Stimmt es, dass Sie den ersten Insolvenzplan in Deutschland erstellt haben? Seidl: Ja, das ist richtig. Als die Insolvenzordnung zum 1. Januar 1999 in Kraft trat, standen die meisten Insolvenzverwalter dem Insolvenzplanverfahren als Sanierungsinstrument kritisch bis ablehnend gegenüber. Deshalb war ich froh, bereits im April 1999 eine Druckerei mit rund 120 Arbeitnehmern über einen Insolvenzplan nachhaltig saniert zu haben. Dieser Insolvenzplan war der erste gerichtlich bestätigte in Deutschland.

Wie schaffen Sie es, eine Zerschlagung der Unternehmen zu vermeiden?

Seidl:
Die Frage, ob sich eine Zerschlagung vermeiden lässt, hängt in erster Linie davon ab, ob der Insolvenzantrag rechtzeitig gestellt wurde. Je früher die insolvenzbedingte Sanierung eingeleitet wird, umso größer sind die Chancen, das Unternehmen zu erhalten. Deshalb besteht auch die Möglichkeit, schon bei drohender Zahlungsunfähigkeit diesen Weg zu bestreiten. Der Gesetzgeber privilegiert sogar den vorrausschauenden Unternehmer, da ihm nunmehr nach dem ESUG auch die Möglichkeit eingeräumt wird, die Sanierung unter einem "Schutzschirm" selbst zu betreiben.

Wie funktioniert so ein Schutzschirm?
Seidl: Mit den zum März 2012 in Kraft getretenen Neuregelungen des ESUG wurde die Insolvenzordnung noch sanierungsfreundlicher gestaltet. So kann der Unternehmer, der bei drohender Zahlungsunfähigkeit das Schutzschirmverfahren wählt, seinen eigenen "sanierungserfahrenen" Verwalter bestimmen. Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass eine vorläufige Eigenverwaltung angeordnet wird. Dies bedeutet, dass der Unternehmer sein eigener "Insolvenzverwalter" ist. Statt eines vorläufigen Insolvenzverwalters wird ein vorläufiger Sachwalter bestellt, der überwachende, aber keine verfahrensleitende, Funktion hat. Damit motiviert der Gesetzgeber, die Insolvenz als Sanierungsmittel frühzeitig einzusetzen.

Das hört sich interessant an. Wie ist die bisherige Resonanz?

Seidl:
Bei den Beratungsgesellschaften und den Unternehmern ist das ESUG auf breite Zustimmung gestoßen, da der Insolvenzplan als strategisches Sanierungsinstrument eingesetzt werden kann. Die Insolvenz ist planbarer geworden. Dadurch wird eine neue Sanierungskultur in Deutschland entstehen; ähnlich wie im angloamerikanischen Recht. Dort wird die Insolvenz nicht als persönliche Niederlage empfunden, sondern als Restrukturierungsmöglichkeit aktiv wahrgenommen.

Profitieren denn auch die Gläubiger von den Neuregelungen?

Seidl: Gerade die Rechte der Gläubiger wurden erheblich gestärkt. Diese haben jetzt weitreichende Möglichkeiten, aktiv in das Verfahren und damit auch in die Sanierung einzugreifen. So obliegt es grundsätzlich dem Gläubigerausschuss, als Selbstverwaltungsorgan der Gläubiger, über die Person des Sachwalters/Insolvenzverwalters zu entscheiden. Dies war bisher das Privileg des Insolvenzgerichtes. Nach altem Recht wurden die Gläubiger erst Wochen nach dem Insolvenzantrag in den Sanierungsprozess eingebunden. Zu diesem Zeitpunkt waren die Weichen bereits gestellt. Eine Einflussnahme durch die Gläubiger war faktisch nicht möglich. Das ESUG führt dazu, dass die Gläubiger von Zuschauern zu Akteuren des Geschehens werden.

Trotzdem! Für die Gläubiger sehen die Chancen doch selten gut aus, oder?

Seidl:
Das ist eine weitverbreitete Meinung, die heute nicht mehr ganz zutreffend ist. Durch die aktive Nutzung der gesetzlichen Möglichkeiten können die Gläubiger den Sanierungserfolg maßgeblich beeinflussen. Damit kann auch Einfluss auf die Höhe der Befriedigungsquote genommen werden. In der Praxis zeigt sich, dass die Gläubiger sich noch immer eher passiv verhalten und den innovativen Sanierungsmöglichkeiten nicht genügend Raum geben.

Was wäre eine gute Lösung?
Seidl: Schauen wir uns den normalen Ablauf eines Insolvenzverfahrens an: Üblicherweise führt der Insolvenzverwalter den Betrieb kurzfristig fort, um diesen in der Insolvenz an einen Investor zu verkaufen. Dies ist etwa so sinnvoll wie der Verkauf von Aktien nach einem Börsencrash zum tiefstmöglichen Wert. Damit realisiert sich der Verlust in voller Höhe. Sinnvoller ist es, das Unternehmen saniert aus der Insolvenz zu führen und erst dann zu veräußern. An dem dann zu erzielenden Erlös partizipieren die Gläubiger des Insolvenzverfahrens. Genau dies kann man im Insolvenzplan regeln.

Also sollte man sich gut beraten lassen?

Seidl: Dies ist in der Tat so. Die gut informierten Gläubiger, die sämtliche Möglichkeiten kennen und auch einzusetzen wissen, können sich Vorteile erarbeiten. Dies gilt selbstverständlich nicht nur für den gut informierten Gläubiger, sondern auch für den gut informierten Unternehmer. Das Insolvenzrecht ist hochkompliziert und für Außenstehende kaum zu verstehen. Eine Beratung durch einen Spezialisten ist der erste und oft entscheidende Schritt.

Eine persönliche Frage: Warum tun Sie sich diesen Stress an?
Seidl: Ich mag Herausforderungen und weiche gern von ausgetretenen Pfaden ab, um neue innovative Wege zu beschreiten. Langweilig wird es in meinem Job selten. Stress kann negativ oder aber auch positiv sein. Solange es sich um positiven Stress handelt, empfinde ich dies nicht als Belastung. Sie können nicht alles selbst machen und brauchen ein gutes Team.

Was sind Sie für ein Chef?
Seidl:
Eigentlich müssten Sie das meine Mitarbeiter fragen. Ich gebe ihnen viele Freiräume. Deshalb sind meine Mitarbeiter gewohnt, im Team zusammenzuarbeiten und die Verantwortung selbst zu übernehmen.

Ist es richtig, dass Sie auch ein leidenschaftlicher Fotograf sind?
Seidl: Ja, ich fotografiere gern. Besonders auf meinen Reisen, insbesondere nach Afrika.