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Spaziergang mit ... Georg Prinz zur Lippe

... entlang der Elbe durch sein Dresden, sein Elb-Florenz 

Von dem niederländischen Konsulat, wo Prinz zur Lippe für uns seinen Bürotag als Honorarkonsul früher beendet, schlendern wir über den Palaisplatz und freuen uns, endlich den Straßenlärm hinter uns zu lassen. Und sobald wir den Garten des Japanischen Palais betreten, wird es ruhig.

Das Elbtal saugt uns ein. Der Sandstein des Palais hat eine beruhigende Wirkung ab diesem Freitagnachmittag, der so grau ist, dass selbst der warme Farbton des Steins nicht mehr warm erscheinen will. Und doch strahlt er eine gewisse Wärme aus. Wärme des Lebens, dessen Spuren deutlich an dem Gebäude zu sehen sind. Daran sieht man, das sich die Dinge verändern, entwickeln, auch, oder gerade weil es nicht perfekt und wie geleckt aussieht.

“Ich mag es sehr gern, wenn es wie unfertig aussieht. Wenn die Spuren zu sehen sind. Es ist schön, wenn sich die Dinge verändern. Dann leben sie. Solang man sich bewegt und nicht stehenbleibt, geht’s einem gut.“

Während er noch über Spuren der Veränderung philosophiert, erreichen wir den Canalettoblick, mit dem im Moment noch die bunte Kuppel der Yenize – die in der Sonne so schön glitzern würde – konkurriert.

Da fällt seine Aufmerksamkeit auf eine Marmorskulptur, die nicht wegen seiner Form auffällt, sondern wegen dem modernen Kontrast der Skulptur im Vordergrund zu den Kuppeln der Stadt. Nachdem wir diese, nur kurz sichtbare, Perspektive hinter uns lassen, können wir uns endlich dem Canalettoblick widmen. Und wie immer, wenn ich hier oben auf der kleinen Kuppe stehe, stockt mir erst mal der Atem. Ich bin wie benebelt von diesem Anblick. „Das ist mit nichts auf der Welt zu vergleichen.“

Die verschiedenen Türme der Shilouhette scheinen, jeder für sich, für eine andere Epoche zu stehen. Die Hofkirche so filigran verspielt gegenüber dem eher wuchtig wirkenden Hausmannsturm. Die Perle ist die Kuppel der Frauenkirche, die in ihrer Monumentalität zugleich so grazil leicht wirkt, als würde sie über der Stadt schweben.

An dieser Stelle spricht er das erste Mal auf unserem Spaziergang den Unterschied von Weich- und Hartkupfer an. Und er hat Recht, das schöne, harmonisch leichte Grün der alten Kupferdächer der Brühlschen Terrasse, der Semperoper oder dem Japanischen Palais wird auf den restaurierten Kuppeln und Dächern durch das unbestimmte Braun des modernen Hartkupfers unterbrochen.

Und wenn einmal das Auge dafür sensibilisiert ist, ist es richtig auffällig und auch mir stellt sich die Frage: Wieso? Diese Frage wird der rote Faden unseres Spaziergangs werden, an so vielen Stellen hat die Stadt ihr „Grün“ verloren, dass es verwunderlich ist, dass es mir noch nicht auffiel. Aber das „bloße“ Fehlen von Grün soll unseren Nachmittag nicht trüben und wir wenden unsere Aufmerksamkeit wieder dem Weg zu.

Als wir am Ufer ankommen, werden wir voem süßen Glockenspiel des kleinen Pavillons am Elbweg empfangen. Die lieblichen Töne passen so gar nicht zu dem grauen Tag, der sich weder richtig für Regen noch für Schnee entscheiden kann, sie erscheinen so warm wie ein Hoffnungsschimmer auf den Frühling.

Mir fiel gleich nach den ersten Minuten auf, dass der Konsul einen Blick für Details hat. „Man muss mit offenen Augen durch die Welt gehen und die Dinge, auch die kleinen Dinge, bewusst sehen.“ Auf die Frage, ob er dies schon immer konnte oder erst wieder lernen musste, meinte er nachdenklich „Beides. Man muss lernen, sich zu freuen. Das Lebensgefühl muss stimmen, nicht nur vom Kopf her, auch im Bauch, privat und geschäftlich. Die Dinge, die ich mache, möchte ich gut machen. Deshalb spielen finanzielle Aspekte zwar eine wichtige, sogar überlebensnotwendige Rolle, aber im Vordergrund für mich steht die Herzenssache, eine Landschaftskultur wie die des Sächsischen Weins zu pflegen und zu erhalten.“

Während wir die kleine Allee gegenüber des Landtags abschreiten, erzählt er, wie er sich im Sommer hin und wieder ein viertel Stündchen an der Elbe stiehlt. „Wenn der Kopf voll ist, dann ist es herrlich. Alles scheint klarer und die Gedanken werden frei. Genauso, wie beim Motorradfahren.“

Er fährt eine 800er BMW, 2 Zylinder aus den Achtzigern. Manchmal leistet er sich den Luxus und nimmt sich etwas mehr Zeit für eine entspannende Motorradtour durch die Sächsische Schweiz oder das Erzgebirge. Da aber auch seine Tage nur 24 Stunden haben und als Winzer, Berater und niederländischer Honorarkonsul, der dazu noch eine Familie und einen Hund hat, die ihn auch ab und zu für sich haben möchten, kommt er eher selten zu diesem Vergnügen.

„Ich bin trotzdem sehr zufrieden. Meiner Familie und mir geht’s gut. Und das ist das größte Glück der Welt.“ Und irgendwie strahlt er dieses Glück auch aus. So eine Offenheit und Zufriedenheit, so eine Lebensfreude und Lebenslust habe ich in der Intensität noch nicht oft erlebt.

Als wir uns der Augustusbrücke nähern, wird das Eis der Elbe immer dichter, auf ihm tummeln sich Enten und Graugänse, die die Freude des Prinzen erregen. Lachend erzählt er von seinem Labrador Coco, der jetzt wieder Jagtversuche unternehmen und außer mit weiterem Amüsement recht erfolglos bleiben würde. Zwischendrin macht er mich immer wieder auf kleine Details aufmerksam, die man wirklich nur sehen kann, wenn man die Augen aufmacht.

Mal ist es eine in Stein gehauene Fratze, die oben von der Brücke hinunterschielt, oder eine Blütenform, die einfach nur da ist, weil sie schön ist. An der anderen Elbseite angekommen, verweilen wir einen Moment an der Brücke vom Schloss zur Hofkirche. „Früher, Anfang der neunziger Jahre“, erinnert er sich, „war diese Ecke kritze-kratze-grau. Es ist ein so faszinierndes Bauwerk und jetzt ist es schwarz.“

Hier kommt die Verwunderung über das Fehlen vom Kupfergrün wieder zum Durchschein. Dies aber schadet seiner Dresdenliebe in keinster Weise. Dresden trägt den Namen Elb-Florenz zu Recht, seine in Italien lebende Schwester ist oft und unheimlich gern hier.

„Hier ist der gleiche Stil in der Architektur und nicht zuletzt das milde Klima des Elbtales lässt vom italienischen Lebensgefühl träumen. “ Nach einem Blick in das vor Eis erstarrte Jungfernbad, das ich so noch nie gesehen habe, das aber genauso einen besonderen, traurig-melancholischen Reiz hat, kommen wir wieder auf den Sandstein zu sprechen. Er fühlt den Stein, ein paar Bearbeitungsspuren sind noch zu sehen. „Wir verwenden viel Sandstein auf unseren Weinbergen. Er ist ein unglaubliches Material, vor allem wenn man weiß, was hinter diesem Handwerk steckt. Diese Steine hier sind lebendig. Das ist nachgeahmte Natur, die den Stein zum Leben erweckt. Das Schönste sind die Verwitterungsspuren. Ich finde es wichtig, die Spuren des Lebens zu zeigen, sie nicht zu verbergen. Spuren sind das Einzige, was wir hinterlassen. Deshalb sind sie so wichtig.“ Während meine Gedanken noch bei den Spuren sind, kommen wir dort lang, wo vor ein paar Jahren noch Steinmetze und Bildhauer in ihren Schauern arbeiten und den Steinen Leben einhauchten. Der Sandsteinfreund bedauert es sehr, dass er nicht mehr, wie im Sommer manchmal, den Arbeitern über die Schulter schauen kann. Alles hier ist aus Sandstein, auch kleine, eigentlich unwichtige Details, die mir der Prinz immer wieder zeigt. Details, die im Grunde absolut überflüssig sind, und nur ihrer Form und Schönheit wegen ihre Daseinberechtigung haben. Hier merkt man, welche Freude ihm gerade diese kleinen Details machen. Jetzt sind es die filigranen Balluster der Treppeaufgänge oder die lustigen Seeungeheuer.  Am anderen Ende des Zwingers angekommen, lockt uns das Schloss mit dem Grünen Gewölbe und dem wunderschönen Buchladen ins Warme. Manche Buchläden haben eine Atmosphäre, die sich wie eine andere Welt anfühlt. Wo Zeit langsamer ist und die eigentlich wichtigen Dinge, für die immer keine Zeit bleibt, die schönen Dinge, im Vordergrund stehen. Kaum betreten wir den Laden, geht das Schmökern schon los. Und nicht nur ich sehe auf den ersten Blick schon mindestens fünf Bücher, mit denen ich meine Bibliothek gern bereichern würde. Auch der Schlossherr kann sich dem Zauber von Buchläden nicht entziehen. „Ich finde immer etwas. Und ich muss immer aussortieren, was ich mitnehme. Zudem will ich der Schlossbibliothek wieder eine Seele geben, da ist so viel verloren gegangen.“ Außerdem fasziniert ihn der Prozess, ein Buch zu machen, schon im Vorfeld. „Derjenige muss sich richtig  klare Gedanken machen. Ein Buch schreibt man sicher nicht einfach so.“ Und natürlich – wie sollte es auch anders sein – verlässt er den Buchladen mit einem Buch. „Möbel“ heißt es und soll als Inspirationsquelle dienen, um nach und nach dem Schloss Proschwitz wieder zu einem stilgerechten Inventar zu verhelfen.

Der Abschluss unseres zwar nicht weiten, aber dafür umso reicher mit Eindrücken gefüllten Spaziergangs  ist ein Latte Macciatto und warmer Apfelstrudel mit Vanilleeis im Restaurant „Alte Meister“. Am liebsten mag Prinz zur Lippe Streuselkuchen. Der gehört zu einer seiner Kindheitserinnerungen, die wir wohl auch alle kennen. Was gibt es als Kind Schöneres, als aus der großen Schüssel mit dem Streuselteig naschen zu dürfen. Die Schüssel gehörte der Haushaltshilfe seiner Großmutter. „Die machte den  weltbesten Streuselkuchen.“ 

Dieser Spaziergang hat mir mal wieder gezeigt, das selbst so vertraute Dinge wie der Canalettoblick, der Elbweg, die Brücken, der Zwinger und all die Plätze und Gebäude immer wieder anders und neu erscheinen können. Man muss eben nur die Augen aufmachen. Oder mal die Perspektive ändern. Es war sehr interessant und amüsant, das Herz von Dresden mal durch die Augen des Prinz zur Lippe zu sehen. Und obwohl wir in unserer eigenen Stadt waren, habe ich das Gefühl, etwas Neues entdeckt zu haben. Es kommt eben nur auf den Blickwinkel an.

Und er hat mir gezeigt, dass man offen sein muss. Wenn man dies nicht ist, erstickt man an den selbst gesteckten Grenzen und wird nie Zufriedenheit erreichen. Und Zufriedenheit und Offenheit strahlt der Winzer und Schlossherr aus wie mindestens zehn Glückspilze auf einmal.

 

(Anke Mittelhäuser, Disy Frühling 2006)