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Die Karrieren unserer Kinder

Große Sprünge von Dresden in die Welt

Für die Kinder nur das Beste. Aber was ist das Beste? Welche
Möglichkeiten es in Dresden für Ihre Kinder gibt, Karriere zu
machen, wird Disy-Redakteurin Claudia Homberg in dieser und
den nächsten Ausgaben erläutern. Heute: Die Palucca-Hochschule
für Tanz.


Trommelklänge im lichtdurchfluteten Tanzsaal. 11 Tänzerinnen und Tänzer wirbeln mit kraftvollen Sprüngen quer durch den Saal, angefeuert von Professor José Biondi. „Take more space“, ruft er und die jungen Leute geben sich ganz dem Rhythmus der Live-Musik des Percussionisten hin. Der Schwingboden bebt, die Tänzerinnen und Tänzer zwischen 19 und 21 Jahren springen immer höher und weiter. Die Schwerkraft scheint ihnen nichts anhaben zu können.

Eine ganz normale Schulstunde an der Palucca Hochschule für Tanz in Dresden. Das Fach: Moderner Tanz. Das Unterrichtsthema: Das Ausloten von vertikalen und horizontalen Linien im Raum. Schweißtreibend, mitreißend und mit vollem Körpereinsatz. „Man muss unbedingt tanzen wollen“, bringt Eileen Mägel, Pressesprecherin im Haus, die Voraussetzungen für den tänzerischen Beruf auf den Punkt. Dann jedoch ist die renommierte Institution am Basteiplatz für die jungen Leute der Himmel auf Erden. Zwischen Ballettsaal, Schulbank und Internatsleben fühlen sich tanzbegeisterte Kinder und Jugendliche bestens aufgehoben. Zwischen zwei Schulstunden treffe ich Paula Hadamietz (13), aus der 7. Klasse. Sie ist schon seit zwei Jahren hier. Paulas Familie lebt in Meißen, deshalb ist sie während der Schulzeit im Internat untergebracht. „Am Anfang war es schon manchmal schwer, von zu Hause weg zu sein“, erzählt sie. Aber inzwischen hat sie viele Freunde gefunden und kann sich kaum etwas Schöneres vorstellen. Sie möchte gerne Tänzerin werden. Paula hatte schon vor der 5. Klasse Ballettunterricht, aber das ist nicht die Regel. Vorkenntnisse in Tanz sind keine Voraussetzung für die Aufnahme in die 5. Klasse. Hier sind vor allem körperliche Gegebenheiten wie Flexibilität und Dehnbarkeit gefragt. In der Inszenierung von „Coppélia“ an der Semperoper hat Paula sogar schon mit den „Großen“ auf der Bühne gestanden. „Das war toll“, schwärmt die zarte Ballerina. In solchen Phasen, wenn die Kinder an öffentlichen Produktionen beteiligt sind, werden versäumte Schulstunden samstags nachgeholt. Viel Zeit für Anderes bleibt da nicht, in den freien Minuten ist dann relaxen angesagt, erzählt die Siebtklässlerin. Und schon muss die Schülerin wieder los. Als nächstes steht für Paula „Folklore“ auf dem Stundenplan und Paula wirbelt im Walzerrhythmus durch den Saal.

Kinder wie Paula können an der Palucca Hochschule für Tanz in der integrierte Sekundarstufe einen Realschulabschluss erlangen. In Kombination mit den entsprechenden Leistungen in den Tanzfächern qualifiziert der erfolgreiche Abschluss der Sekundarstufe nach Klasse 10 zur Aufnahme des Bachelorstudienganges Tanz an der Palucca Hochschule oder für den Übergang an weiterführende Schulen. Die Schüler lernen in kleinen Klassen (rund 15-20 Kinder) in modernen, technisch sehr gut ausgestatteten, freundlich gestalteten Fachräumen. Die allgemeinbildende Schule ist einzügig. Der Unterricht findet täglich zwischen 8 Uhr und 17.30 Uhr statt. Ausgebildet wird nach dem Lehrplan des Freistaates Sachsen. Der Stundenplan ist aufgrund des täglichen Tanzunterrichtes leicht modifiziert. So gibt es beispielsweise in Klasse 5 (O1) anders als in anderen Sekundarstufen das Fach „Tanztheorie“. Als Neigungskurse im Wahlpflichtbereich werden ausschließlich Tanzunterrichte angeboten. Bewegung haben diese Kinder genug: Daher entfällt das Fach Sport komplett. Informatikunterricht gibt es erst ab Klasse 8. In Klasse 10 sind Geografie und Geschichte nicht mehr, stattdessen Kunst und Musik in der Fächertafel enthalten. In der Orientierungsstufe 2 wird Französisch als zweite Fremdsprache vermittelt, um einen eventuellen Wechsel an ein allgemeinbildendes Gymnasium zu ermöglichen. Und für angehende Tänzerinnen und Tänzer wichtig: Die Schule besitzt eine Lehrküche, in der die Schüler im Rahmen des Wirtschaft/Technik/Hauswirtschafts- und Förderunterrichtes Grundlagen bewusster Ernährung erlernen.

Jean Baptiste Plumeau kam aus dem südfranzösischen Montpellier nach Dresden an die Palucca Hochschule. Er studiert im 3. Studienjahr im Bachelorstudiengang Tanz. Der dunkelhaarige Franzose hat sich schnell eingelebt und ist begeistert von seiner Wahlheimat. Kein Wunder. Die Atmosphäre am Basteiplatz ist international: Der Ausländeranteil liegt bei 35 Prozent. „Alles ist sehr entspannt hier. Alle sind nett, wir reden meist Englisch untereinander“, erzählt er. Seine Familie sieht er alle zwei Monate, da fliegt er nach Hause. „Aber auch hier in Dresden lässt es sich fast wie in Frankreich leben“, strahlt der junge Mann. Jean-Baptiste liebt gleichermaßen Modernen Tanz, Impro und Klassik. Das war der Hauptgrund für ihn, zum Studieren nach Dresden zu kommen. Die Palucca Hochschule für Tanz ist die einzige ihrer Art, die Tänzerinnen und Tänzer für Zeitgenössischen, Modernen und Klassischen Tanz sowie, Improvisation gleichermaßen ausbildet. Die Studierenden lernen Tanz als ganzheitlichen Prozess kennen. In Vorlesungen, Seminaren, praktischen Übungen, künstlerischen Projekten und Exkursionen erweitern die Studierenden ihre tänzerischen Fähigkeiten und erwerben theoretische und praktische Kenntnisse über Tanz und Kunst, Tanz und Architektur, sowie Tanz und Film. Die Studierenden werden von internationalen Gastlehrern und Choreografen unterrichtet. Die Ausbildung legt besonderen Wert auf eine enge Verbindung zur künstlerischen Praxis. Die Studierenden erhalten daher bereits während des Studiums zahlreiche Möglichkeiten vor Publikum aufzutreten. Das Konzept von Rektor Jason Beechey zahlt sich aus, die Berufsaussichten der Absolventen sind hervorragend: „Jungs gehen zu 100 % in feste Engagements, die Mädchen auch innerhalb eines Jahres“, erzählt Sprecherin Eileen Mägel. Denn auch Tanzpädagogen und Choreografen werden hier ausgebildet und gehen von Dresden an Bühnen und Institutionen in die ganze Welt. Jean-Baptiste Plumeau hat sogar schon zwei mögliche Engagements in der Tasche, hat sich aber noch nicht entschieden. Jetzt steht für den Jean-Baptiste erstmal „Partnering“ auf dem Stundenplan. Dozent Matthias Markstein erklärt: „Es geht um Kontakt mit allen Mitteln, die ihr habt.“ Die Bewegungen beginnen. Zunächst zarte Drehungen im Raum. Dann finden sich die Körper, drehen sich miteinander, heben sich, schmelzen über-, um und miteinander. Zu zweit, zu dritt, als Gruppe. Alles in der Stunde wirkt, als sei es monatelang geprobt, fein durchchoreografiert. Dabei entsteht jede Bewegung nur im Jetzt und im Augenblick. Wenig später steuern sich die Tänzerinnen und Tänzer gegenseitig nur mit Blicken durch den Raum. Es wirkt wie ein luftiger Kampf oder sogar ein zarter Liebesakt. Eine intensive Stunde, bei der die Anstrengung den jungen Leuten anzusehen ist. Wenig später hat Paula Hadamietz die Folklore-Prüfung hinter sich und steht mit ihren Mitschülerinnen an der Ballettstange. Anmutig üben die zarten Ballerinen ihre Pliés und Port-de-Bras (das Tragen der Arme). Die Wasserflaschen neben sich, die Haare zum festen Knoten gebunden sind die Mädchen konzentriert bei der Sache. „Ihr müsst immer mit Beglückung tanzen“, fordert Professor Olga Melnikova und genau das strahlen die Kinder an der Ballettstange im lichtdurchfluteten Saal aus. Und auch Paula wird eines Tages von hier zum Sprung auf eine Bühne in der großen weiten Welt ansetzen.