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Mexico: Auf den Spuren der alten Indianer

Der kleine Junge zieht mich am Ärmel. „Madame, Madame!“ Schon wieder erkläre ich auf Spanisch, dass ich nichts kaufen möchte. Er hält mir meine Fototasche vor die Nase. „Die hatten Sie auf der Bank dort liegen lassen.“

Der kleine Mexikaner wollte nichts verkaufen, auch nicht betteln – er brachte mir mein Eigentum wieder mit Geldbörse, Fotokamera und allem Inhalt. Adé Klischees – das war mein erstes Erlebnis auf meiner diesjährigen Reise für „Disy TV On Tour“, die mich neben fünf anderen Ländern auch nach Mexico führte. Unser Schiff in diesem Jahr: die Costa Allegra. Wieder dabei: meine Tochter Louisa (inzwischen 5).

Mexico, das Land dreier Kulturen, unglaublicher Landschaften, schöner Strände und mit ehrlichen und temperamentvollen Einwohnern. Mit zwei Millionen Quadratkilometern ist Mexico das drittgrößte Land Lateinamerikas. Es erstreckt sich vom Rio Grande, dem US-amerikanischen Grenzfluss und dem Hochland von Chiapas an der Grenze von Guatemala (von Indianern bewohnt), bis zur Karibikküste des Landes, der Halbinsel Yucatan. Dazwischen liegen 3000 Kilometer Geschichte, Landschaft, malerische Dörfer und moderne Städte sowie drei Klimazonen.

Hier in Yucatan gehen wir vor Anker. Wir nehmen uns einen Fahrer, der einigermaßen Englisch spricht. Eigentlich kommt man hier nur mit Spanisch weiter, denn die englische Sprache ist wegen dem gespaltenen Verhältnis zu den Nachbarn im Norden, den „Gringos“, nicht sehr geschätzt. Sofort sind wir drin im mexikanischen Trubel. Es wird ekstatisch gefeiert, die Farben der Kleidung, der Hüte und Schultertücher leuchten, dunkelbraune
Augen funkeln uns aus vielen Gesichtern freundlich an.

Der indianische Ursprung des Landes ist allgegenwärtig. Unser Fahrer Carlos erklärt uns am Nationaldenkmal Mexico, wie das war, damals mit den Maya, den Azteken und den Spaniern. Die Überbleibsel der spanischen Zeit in Mexico sind atemberaubend schön: koloniale Städte, Paläste, Kathedralen und Klöster. Wir bestaunen das bei einer Fahrt mit der Pferdekutsche durch Mérida, Hauptstadt der Halbinsel Yucatan.

Der Kutscher erzählt, wie im April des Jahres 1519 Hernán Cortés in Veracruz landete und alle seine Schiffe versenken ließ, damit kein Mann seiner Besatzung an Flucht oder Rückzug denken konnte. Von hier startete er den riesigen Eroberungszug der Spanier.

Die 300-jährige Kolonialzeit konnte jedoch die indianische Herkunft nicht auslöschen und so sind sowohl die Bevölkerung als auch die Architektur sehr gemischt, was einen besonderen Charme ergibt.

Wir besuchen eine Familie. Fernando hat drei Kinder. Er gehört zur ärmeren Schicht des Landes, doch er kümmert sich um das Auskommen seiner Familie. Er pflückt Orangen von den Bäumen, schneidet sie auf, steckt einen Strohhalm hinein und verkauft sie als Leckerei in den Dörfern und Städten, am Straßenrand und bei Festen. „Ich bin sehr glücklich“, erklärt er. „Ich habe die Sonne und meine Liebe immer dabei.“ Er lacht und deutet auf seine Frau und die Kinder, die im Schatten spielen.

Auch Maria lacht, die wir als Nächstes besuchen. Sie hat in einem Container ihre Werkstatt eingerichtet. Sie fertigt Hängematten (hamaca) aus Nylon. Wenn sie genügend Geld zusammen hat, will sie an die Baja California umziehen, der Geheimtipp für Touristen unddie Zukunft des Landes. Erst seit den siebziger Jahren gibt es überhaupt eine richtige Straße, die durch die 1300 Kilometer lange und 90 Kilometer breite Halbinsel im Westen Mexicos führt. „Es gibt sehr viele Touristen in Yucatan und auch in der Region um Acapulco. Doch die Baja California, das wird erst noch.“

Die kleine 40-jährige Mexikanerin in dem verbeulten und etwas verrosteten Schuppen erklärt uns begeistert ihre Geschäftsideen für die Region mit den glasklaren Buchten und kleine Städtchen. Wir fahren weiter nach Chichén Itza, der Ruinenstätte der Maya, ca. 120 km östlichvon Mérida. Unterwegs halten wir an einer Hacienda und genehmigen uns einen Tequila, den bekanntesten Exportartikel des Landes. Schon bei den Azteken und Tolteken war er so beliebt, dass ihm zu Ehren ein Gott benannt wurde und die Menschen eine große Pyramide bauten.

Der Gastgeber erklärt uns den Brauch mit Zitrone und Salz auf dem Handrücken.Wir lernen, dass Tequila aus dem Saft einer Agavenart gewonnen wird und weiße Farbe auf kurze Lagerzeit und scharfen Geschmack verweist, goldene Farbe auf ein weiches Aroma und lange Lagerzeiten in Eichenfässern.

Mit unserem Fahrer Carlos geht es weiter durch das karibische Yucatan, Maya-Land, wo vor über 1500 Jahren die alten Völker ihre Kultstätten und Stadtstaaten errichteten. Die meisten von ihnen sind in einem sehr guten Zustand. Außer Chicheén Itzá gibt es hier noch Uxmal und Palenque.

Die Atmosphäre in Chichen Itza kann man nur mit mystisch bezeichnen. Es liegt etwas Geheimnisvolles auf dem Ort. „Das hier ist die größte und besterhaltene Pyramidenanlage der Maya“, erklärt Carlos. Zwischen 400 und 1250 n. Chr. lebten hier die Maya, danach die Tolteken. Nach vielen Jahrhunderten Schlaf haben Archäologen die Stätte erst 1850 unter einem Dschungel, der die alten
Gemäuer überwuchert hatte, wiederentdeckt.

Gut, dass Louisa Englisch noch nicht perfekt versteht, sonst müsste ich ihr ob der Schauergeschichten der Opferkulte die Ohren zuhalten. Auch die Varianten, wie die Maya verschwunden sind, sind nicht für Kinderohren: Seuchen, Krankheiten, Dürre, Hungertod oder Aufstände gegen die Herrscher und Umsiedlung.

Was die wenigsten wissen: Es gibt noch heute zehn Millionen Indianer in Mexico. Davon bilden die Maya 26 Stämme, leben in Yucatan und im Hochland an der Grenze zu Guatemala. In Zentralmexico leben heute noch 500 000 Azteken. Carlos zeigt uns die Spuren der unglaublichen Genialität der Maya. So hat die große Kukulcan-Pyramide (17 m hoch) genau 365 Stufen, ergeben sich Tiergebilde aus Schatten immer zu den Zeiten der Tagundnachtgleiche, deuten Hieroglyphenschriften auf astronomische Berechnungen und Weissagungen.

Bevor wir zum Schiff müssen, bummeln wir noch ein wenig durch die malerischen Dörfer. Louisa versteht sich mit den mexikanischen Kindern sehr gut. Da die Geburtenrate hier zehnmal so hoch ist wie in Deutschland, sind mehr als 50 Prozent der 100 Millionen Einwohner jünger als 15 Jahre. Entsprechend groß ist die Freundlichkeit der Bewohner gegenüber Kindern, was für uns sehr angenehm war.

Wir nehmen Abschied von Mexico, sagen „Gracias“ – bis bald.

(Anja K. Fließbach, Disy Sommer 2006)

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