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Prof. Jürgen Hubbert: „Ich bin nicht mehr Getriebener meiner Termine.“

Der ehemalige Daimler-Vorstand Prof. Jürgen Hubbert im Disy-Interview: Als Mr. Mercedes leitete er über viele Jahre die Geschicke bei Daimler. Disy sprach mit dem deutschen Wirtschaftsexperten.

 

Wodurch wurde ausgerechnet Mercedes zu Ihrem Lebenstraum?

Prof. Hubbert: Ich habe Kraftfahrzeugtechnik in den sechziger Jahren studiert. Als ich dann 1965 die Chance hatte, bei Daimler im Werk Sindelfingen anzufangen, war das für mich eine sehr erfreuliche Entwicklung, aber keineswegs Lebensplanung. Es haben sich dann immer neue Aufgaben ergeben und neue Herausforderungen, die meine Chefs an mich gestellt haben. Offensichtlich habe ich die einigermaßen gelöst, so dass dann größere und weitere Aufgaben auf mich zukamen. Daraus sind dann vierzig Jahre geworden.

 

Was hat das Unternehmen, was andere nicht haben?

Prof. Hubbert: Zunächst ist es der Erfinder des Automobils. Die Gründerväter Gottlieb Daimler und Carl Benz waren die, die das Auto erfunden haben. Dann gab es eine langjährige und bis heute währende Tradition, dass man sich in diesem Hause zufrieden, wohlaufgeräumt und mit immer neuen Herausforderungen konfrontiert sah – das gilt für viele Mitarbeiter, so dass sich daraus eine lebenslange Beziehung bildet, die teilweise über Generationen gewährt hat.

 

Wenn Sie das Selbstverständnis Ihres Unternehmens in wenigen Worten erklären müssten, welchen Raum würde dann Nachhaltigkeit einnehmen?

Prof. Hubbert: Das ist natürlich ein Begriff, der heute sehr einseitig geprägt ist – die Frage von Ökologie. Ich glaube, nachhaltig, auch ökonomisch handeln, heißt, 125 Jahre eine Industrie attraktiv halten, Menschen Arbeit geben, einer ganzen Region Arbeit geben, individuelle Mobilität für weite Teile der Menschheit ermöglichen. Alles das sind Ziele, die ganz wichtig sind und die für mich genauso nachhaltig sind wie die Frage „Wie gehen wir mit unserer Natur, wie gehen wir mit unserer Umwelt um?“ Da haben wir natürlich in den letzten Jahren alle miteinander gelernt, dass wir haushalten müssen im wahrsten Sinne des Wortes. Auch da ist, denke ich, die Industrie Vorreiter in der Frage, wie es voran geht. Wenn die neue S-Klasse, die in diesem Jahr angeboten worden ist, in einer Version mit einem Verbrauch von drei Litern pro hundert Kilometern auskommt, dann ist das für mich ein Beweis dafür, wie nachhaltig auch im ökologischen Bereich gearbeitet wird.

“Wir werden in Europa und in Deutschland eher stagnierende Märkte haben. Deswegen geht es darum, sich in den Märkten zu bewegen, die noch Potenziale haben, und dort aktiv zu sein. Das heißt dann, dort auch zu produzieren.“

Mit welchen weiteren Veränderungen bei Daimler identifizieren Sie sich besonders?

Prof. Hubbert: Es ist das Thema Globalisierung. Da kommt keiner darum herum, in Zukunft die Märkte der Welt zu bedienen, die sich weiterentwickeln. Wir werden in Europa, in Deutschland eher stagnierende Märkte haben. Deswegen geht es darum, sich in den Märkten zu bewegen, die noch Potenziale haben, und dort aktiv zu sein. Das heißt dann, dort auch produzieren. Das ist natürlich eine der ganz wesentlichen Entwicklungen und letztlich hat das Haus zwei große Ziele: Das eine ist der emissionsfreie und das zweite ist der unfallfreie Verkehr. Das wird noch einige Zeit dauern. Aber an dem Ziel hält das Unternehmen nachhaltig fest.

 

Worin drückt sich das besonders aus?

Prof. Hubbert: Darin, dass wir in Bezug auf die Sicherheit unangefochten die Nummer Eins sind und dass in dem Thema „emissionsfreier Verkehr“ eben auch wesentliche Entwicklungen betrieben werden. Es ist faszinierend zu sehen, dass das Haus im Sommer in Frankfurt auf der Internationalen Automobilausstellung das erste Auto vorgestellt hat, das autonom fahren kann, das sicher nicht morgen, aber übermorgen den Fahrer weitergehend in einem immer zunehmenden Verkehrsgeschehen entlasten kann. Alles das sind Themen, mit denen sich das Unternehmen eine Weltspitzenposition erobert hat und auch halten will.

“Ich bin selten so geprügelt worden wie für die Entwicklung des Smarts. Aber heute ist man froh, dass er da ist. Und er wird eine große Zukunft haben.“

Was bewegt Sie, wenn Sie an den Maybach denken?

Prof. Hubbert: Das war die Spitze des Automobilbaus. Ich habe versucht, diese Marke wiederzubeleben. Das ist nicht gelungen. Das ist bedauerlich. Aber das Ziel, das beste Auto der Welt zu bauen, ist zumindest gelungen und die, die ein solches Auto besitzen, bestätigen das jeden Tag.

 

Was machte den Maybach zum besten Auto der Welt?

Prof. Hubbert: Die Kombination aus Komfort, aus Fahrvergnügen, aus einem komfortablen Raumangebot, aus der Möglichkeit, in dem Auto Dinge zu erleben, die man normalerweise nicht erleben kann und schon gar nicht im normalen Verkehrsgeschehen. Das ist das Eine. Aber ich will bei der Gelegenheit durchaus betonen: Genauso lieb und genauso wichtig für meine Entwicklung ist der Smart auf der anderen Seite der Stadtmobilität.

 

Welche Zukunft sehen Sie für den Smart?

Prof. Hubbert: Eine große. Ich habe gerade die Nachfolgemodelle gesehen und bin begeistert von dem, was kommt. Wir werden dort die Familie weiter ausbauen. Dabei ist er anfangs von vielen verteufelt worden – ich bin selten so geprügelt worden wie für die Entwicklung des Smart. Aber heute ist jeder froh, dass er da ist, und der wird eine große Zukunft haben.

 

Greifen Sie als Mr. Mercedes noch in die Unternehmensbelange ein und unterstützen Sie das Haus noch direkt?

Prof. Hubbert: Das tue ich überhaupt nicht. Ich bin seit 2005 aus dem Unternehmen ausgeschieden ohne jegliche vertragliche Bindung. Ich bin allerdings mit den aktiven Vorständen befreundet. Wir treffen uns mehr oder weniger regelmäßig, das letzte Mal gestern, tauschen uns aus und ich werde hin und wieder um meinen Rat gefragt. Das ist alles. Die Aktiven machen die Arbeit, so wie das zu meiner Zeit war. Deswegen bin ich nicht einer, der hier vertraglich gebunden ist, sondern wenn ich gefragt werde, gebe ich meine Meinung weiter und das ist es.

 

Sie sind ehrenamtlich aktiv, auch für die Dresdner Semperoper.

Prof. Hubbert: Ich habe mehrere Ehrenämter. Ich freue mich über die Aktivitäten zur Semperoper und bin glücklich, dass wir einen so fantastischen neuen Intendanten gefunden haben, der das Haus in eine ausgesprochen positive Zukunft führen wird. Aber ich bin auch in der Stiftung Deutsche Sporthilfe aktiv. Ich habe eine Bürgerstiftung in meiner Heimatstadt gegründet, die sich sehr erfolgreich entwickelt, und ich bin im Vorstand der Staatsgalerie Stuttgart. Ich mache also vieles von dem ehrenamtlich, zu dem ich während meiner aktiven Zeit nicht gekommen bin.

 

Was gibt es zur Stiftung Deutsche Sporthilfe zu sagen?

Prof. Hubbert: Das ist eine Aktivität, die Herr Neckermann vor mehr als vierzig Jahren gegründet hat. Sie fördert den deutschen Spitzensport, der Jahr für Jahr zwischen zehn und zwölf Millionen einwirbt, um damit Spitzenathleten zu unterstützen, die ein knochenhartes Leben mit relativ wenigem Aufwand zu führen haben, außer in diesen telegenen Sportarten. Sie ist damit verantwortlich für 85 Prozent aller Medaillenträger, Olympiasieger, Europameister und Weltmeister. Insofern ist das eine tolle Organisation. Ich würde mir wünschen, dass sie noch stärkere Unterstützung findet. Aber wenn der deutsche Spitzensport heute in der Welt eine Rolle spielt, dann hat er das nicht unwesentlich der Stiftung Deutsche Sporthilfe zu verdanken.

 

Sie waren selbst Hürdenläufer. Was assoziieren Sie mit Ruhe und was mit Hürde?

Prof. Hubbert: Ruhe habe ich im Moment ein bisschen mehr, weil ich mir meinen Tagesplan ein besser einteilen kann, als es in der Vergangenheit der Fall war. Und Hürden gibt es eine ganze Menge. Ich versuche, mir selber keine aufzustellen. Aber es gibt genug, die vor uns stehen. Gerade hat die neue Bundesregierung einige aufgestellt, wie ich finde unnötigerweise, über die man dann hinwegkommen muss. Die gesamte weltwirtschaftliche und weltpolitische Situation ist nicht dazu angetan, einen fröhlich zu stimmen. Wenn wir uns im 21. Jahrhundert, hören Sie mal die Nachrichten, ausschließlich mit Kriegen und kriegerischen Auseinandersetzungen beschäftigen, fällt es mir schwer zu glauben, dass der Mensch die Krone der Schöpfung ist.

“Gerade hat die Bundesregierung einige Hürden aufgestellt, wie ich finde unnötigerweise, über die man dann hinwegkommen muss.“

Welche überflüssige Hürde hat die Bundesregierung aufgestellt?

Prof. Hubbert: Die Energiewende. Eine Entscheidung, die völlig überhastet und ohne lange nachzudenken getroffen worden ist, mit deren Folgen wir uns jetzt auseinandersetzen und die dazu führen kann, dass einer der wichtigsten Garanten unseres Erfolges, nämlich die Wirtschaft, nicht weiterhin so erfolgreich arbeiten kann, wie sie das in der Vergangenheit getan hat. Sie sehen an der Tatsache, dass die EU gerade mit Verfahren an uns herantritt, dass hier das Thema Wettbewerbsfähigkeit im höchsten Maße gefährdet ist. Es wird eine der wichtigsten Aufgaben sein, dieses Thema zu einem guten Ende zu führen.

 

Was müsste aus Ihrer Sicht geschehen, um das Problem zu lösen?

Prof. Hubbert: Das kann man sicher nicht in einem Satz sagen. Vielleicht muss man darüber nachdenken, dass man systemisch denkt, dass man die Dinge von Anfang bis Ende denkt, um dann die einzelnen Schritte, die notwendig sind, richtig zu timen. Dazu gehört auch das Thema Mobilität. Wir wissen, dass wir auf Dauer nicht mit Erdöl, Benzin und Diesel fahren werden. Aber um auf Elektroenergie umzusteigen, müssen die Voraussetzungen geschaffen werden. Um vielleicht Wasserstoff einzusetzen, müssten die Infrastrukturen geschaffen werden. Das wird alles ad hoc entschieden, ohne über die langwierigen Konsequenzen nachzudenken. Das geht nur, indem man versucht sich ein Gesamtsystem vor Augen zu führen, um die einzelnen Schritte, die dann zur Lösung führen, einen nach dem anderen abzuarbeiten. Aber das ist wohl nicht die Methode, mit der Politik arbeitet. So arbeiten Unternehmen meistens. Der Politik tät gut, wenn sie das lernen würde.

„Wenn du den lieben Gott zum Lachen bringen willst, dann erzähle ihm deine Lebensplanung.“

Welche Rolle sehen Sie da für sich persönlich?

Prof. Hubbert: Keine mehr. Ich werde im nächsten Jahr 75. Ich werde meine Stimme erheben, ich werde wählen, ich werde an der einen oder anderen Stelle meine Meinung sagen. Aber ich werde nicht die Welt verändern. Das ist auch nicht meine Absicht. Man muss auch jedem seine Zeit geben. Aber es wird nichts daran ändern, dass ich eine Meinung zu bestimmten Dingen habe, die ich bei Gelegenheit auch sage.

 

Was ist das Reizvollste am eigenen Ruhestand?

Prof. Hubbert: Nicht mehr Getriebener seiner Termine zu sein. Wenn jemand wie ich 17 Jahre im Vorstand immer schon wusste, was in einem Jahr passiert oder was er in einem Jahr an Terminen hat, und das die Zeit verkürzt, ist die Tatsache, dass man auch mal in den Tag hineinleben kann und erst dann überrascht wird von dem, was passiert, ganz schön.

 

Wie muss für Sie ein Tag sein, damit es ein guter Tag ist?

Prof. Hubbert: Das ist ganz unterschiedlich. Es kann genügen, einen tollen Sonnenuntergang zu erleben oder es kann sein, dass sich etwas, was man sich vorgenommen hat, erfolgreich abschließen ließ. Das ist ganz unterschiedlich. Das ist der Tag mit meinen Enkeln. Da gibt es so viele Möglichkeiten, dass die Wahrscheinlichkeit recht groß ist.

 

Welcher Traum füllt Sie im Moment besonders aus?

Prof. Hubbert: Mit den Träumen ist das so eine Sache. Nein, es geht jetzt wirklich darum, die Familie zu unterstützen. Wir haben Kinder und drei Enkel. Wenn ich etwas träume, dann dass aus denen etwas wird, dass sie glücklich sind, dass sie in einer friedvollen Welt leben können und dass wir ihnen die Voraussetzungen schaffen.

 

Worauf freuen Sie sich besonders?

Prof. Hubbert: Da Sie als Disy ihren Hauptsitz in Dresden haben, wäre es einfach, wenn ich sagen würde auf den nächsten SemperOpernball. Aber ich freue mich auch auf die nächste Feier mit meiner Großfamilie.

 

Abschließend habe ich noch unsere Disy-Frage, die klingt auf Anhieb vielleicht etwas gestelzt, fordert einen aber bei der Beantwortung heraus: Was hat Sie das Leben gelehrt?

Prof. Hubbert: Demut. Es gibt einen guten Spruch, der heißt: ‚Wenn du den lieben Gott zum Lachen bringen willst, dann erzähle ihm deine Lebensplanung.‘ Planen ist das Eine, die Realität ist das Andere. Wenn man etwas lernt, dann sich darauf einzustellen, dass die einzige Konstante ‚Veränderung‘ heißt, und da auch bereit zu sein, sich entsprechend auf solche Veränderungen einzulassen und sie bestmöglich zu gestalten.

 

Prof. Jurgen Hubbert war 17 Jahre Mitglied des Vorstands der heutigen Daimler AG und in dieser Funktion fur die Mercedes Car Group sowie ab dem 1. Oktober 2004 fur das Executive Automotive Commitee (EAC) verantwortlich. Mit Wirkung zum 6. April 2005 ging Prof. Hubbert in den Ruhestand.