- Dezember 12, 2022
- 11988 Aufrufe
"Etwas mehr als eine normale Familie." Prinzessin Alexandra zur Lippe
Ein Leben zwischen Hochadel und Weinberg Adel verpflichtet: Prinzessin Alexandra zur Lippe betreibt mit ihrem Mann das Schloss Proschwitz bei Meißen und veranstaltet regelmäßig Events. Die Mutter eines Sohns arbeitete zudem als Moderatorin für das Deutschlandradio. Mit dem Disy-Magazin sprach sie über schwierige Anfangszeiten und ihr Leben zwischen Hochadel und Weingut.
Was bedeutet der Adelstitel für Sie?
Lippe: Wenn man so einen Titel trägt, dann hat man viele Verpflichtungen, die damit verbunden sind. Man hat sicherlich auch einige Vorteile, das ist richtig. Man rückt in einer anderen Weise in den Fokus der Öffentlichkeit. Der Titel Prinz oder Prinzessin hat nach wie vor eine ganz hohe Faszination. Da merkt man immer, dass Grimms Märchen lange nachwirken. So ein Titel ist etwas ganz Besonderes, etwas Märchenhaftes. Jeder denkt, sie lebt im Schloss, morgens sitzt sie auf dem Sofa und isst mit goldenen Löffeln.
Ist es denn nicht so?
Lippe: Man muss diesen Titel ausfüllen, sich dementsprechend benehmen. Nicht geziert oder gespreizt aber man muss mit einer gewissen Eleganz und einer gewissen Nonchalance und Natürlichkeit diese Familientradition auch verkörpern. Wir sind eben doch etwas mehr als eine normale Familie.
Ihre Familie hat eine große Geschichte.
Lippe: Sie sehen hier überall die Wappen. Das sind alles Familien, die mit dieser Familie verbunden sind. Wir sitzen in diesem 300 Jahre alten Haus. Da haben Generationen dafür gearbeitet und haben es immer wieder schön ausgebaut und umgebaut, haben es mit Leben erfüllt, haben Aufträge an Handwerker in der Region gegeben, um hier etwas zu schaffen und zu errichten. Und es ist Verpflichtung, diese Tradition ein Stück aufrechtzuerhalten, dass die Familie nicht untergeht und dass sie für einen ganz gewissen Wertekanon steht. Diese Nachhaltigkeit, dieses in Generationen Denken und trotzdem eben auch wirtschaftlich sein, das versuchen wir hier. Das klingt vorbildlich.
Sind Sie ein Vorbild?
Lippe: Man hat sicherlich manchmal eine gewisse Vorbildfunktion. Das ist ganz anders als in früheren Jahren. Aber schon wenn sie unternehmerisch tätig sind, sind sie immer in der Vorbildfunktion für die Mitarbeiter. Oder wenn Gäste kommen, muss man ihnen entsprechend begegnen. Man bringt eine ganze Menge Geschichte mit, eine ganze Menge Tradition. Man bringt aber auch den Gedanken mit, wir wollen alles weiterentwickeln. Und wir wollen die Menschen, die uns dabei begegnen, mitnehmen. Wir wollen ihnen einerseits die Angst vor diesem Namen nehmen und andererseits aber sagen, dass es doch besonders ist, in dieser Familie zu sein. Wir ticken doch etwas anders als andere.
Wie ticken Sie denn?
Lippe: Es wird immer geguckt, was ist hier in zwei, drei Generationen? Es interessiert uns nicht, was in vier Jahren ist. Es interessiert uns zwar wirtschaftlich, aber wir denken eigentlich schon, was in zwanzig Jahren sein wird, was in dreißig. Man muss gucken, dass man diesen Gedanken immer in die Moderne transportiert und immer wieder hinterfragt, taugen Traditionen noch oder muss man sie neu überdenken? Es wird von einem schon mehr erwartet, wenn man aus so einem Haus kommt. Wenn ich mit meinem Mädchennamen auftrete, werden bestimmte Fragen gar nicht gestellt. Da ist es doch anders, wenn man als Prinzessin vor seine Gäste tritt.
Wie steht es um den deutschen Adel?
Lippe: Es gibt ja die ganzen alten Familienverbände und die haben alle noch Kinder. Das ist typisch für diese Familien. Da sind wir atypisch, wir haben nur ein Kind. Aber die meisten Adligen sind familienorientiert schon im Sinne der Nachhaltigkeit, damit sie nicht aussterben.
Und alle sind miteinander verwandt?
Lippe: Natürlich. Wenn Sie in die regierenden Häuser Europas schauen, dann heiraten viele untereinander über die nationalen Grenzen hinaus. Dadurch sind viele Königshäuser miteinander verbandelt. Das heißt, diese Gesellschaft existiert natürlich. Sie existiert auch unabhängig von allem, was heute republikanisch, aufgeklärt oder sonst wie da ist.
Und diese Familien treffen sich auch regelmäßig?
Lippe: Na klar, und die verkehren miteinander, die feiern ihre Feste und sind schon so eine Gemeinschaft, die über die Grenzen hinweg geht. Die ist international.
Vertragen sich die deutschen Adelskreise?
Lippe: Es gibt sehr viele alte Familien, die sich unter einander treffen, sehr gut miteinander können und sogar Projekte zusammen anstoßen. Da gibt's welche, die sind unternehmerisch tätig und andere beschäftigen sich mit der Verwaltung ihres Vermögens. Da sind wir wahrscheinlich auch atypisch, weil wir her gekommen sind und alles von null aufbauen musste mit wenig Geld. Hier im Umfeld wohnen auch nicht mehr so viele Adels- Familien.
Aber es gibt noch viele Schlösser.
Lippe: Ja. Sachsen hatte vor dem Krieg 800 Schlösser, nach dem Krieg waren es noch 600, davon sind heute 18 in Staatsbesitz, ein paar wenige in Privatbesitz und der Rest rottet vor sich hin. Die waren aber früher alle mal mit Familien bewohnt und wurden belebt. Da fuhr man hin und verbrachte den Sommer oder hat im Winter dort gewohnt. Da war drum herum natürlich immer großes gesellschaftliches Leben. Das ist jetzt sicherlich anders. Zumindest im Osten. Im Westen gibt es noch viele dieser alten Muster.
Wie sehr sind Sie in das adlige Gesellschaftsleben eingebunden?
Lippe: Wir sind da schon eingeladen und gehen auch zu manchen Festen. Aber oft haben wir keine Zeit dafür, weil wir hier so viel andere Sachen zu tun haben. Wir sind ja Unternehmer. Für uns ist es wichtig, eine Verankerung in der Region zu haben und hier zu Hause zu sein.
Also gibt es Einladungen zu Hochzeiten und Taufen wie im Film?
Lippe: Klar gibt es viele Verbindungen und Einladungen zu Familienfesten, da fährt man hin. Hohe Geburtstage oder Hochzeiten oder Taufen. Das versuchen wir schon. Und die Kontakte sind wichtig. Aber wir sind nicht jedes Wochenende unterwegs, um irgendwo ein tolles Fest zu feiern. Da sind wir hier und kümmern uns um unsere Gäste.
Was gehört zu Ihrem Unternehmen?
Lippe: Das Weingut "Schloss Proschwitz". Ich mache hier die Veranstaltungen. Die dienen wiederum der Vermarktung des Weines. So dass das alles zusammengehört. Natürlich ist Proschwitz auch ein Ort für kulturell begeisterte Menschen, für Konzertliebhaber, für Anhänger der gehobenen Lebenskultur, die sich an schönem Wein und gutem Essen erfreuen. Insoweit sind wir in der Region schon so ein Treffpunkt für Menschen, die sich einmal für das Kulturgut Wein interessieren, eine schöne Umgebung genießen und schöne Musik hören. Wir haben auch schon Lesungen gehabt. Degustationsmenüs veranstalten wir auch, bei denen wir unsere Weine präsentieren. Also ein kulinarischer und kultureller Treffpunkt.
Wie fing das an?
Lippe: Schon zu DDR-Zeiten gab es Weinbau. Der Weinbau hier ist über 850 Jahre alt und wurde früher von den Klöstern betrieben. Und dann war es zu DDR-Zeiten stark politisch organisiert.
Wie lief das ab?
Lippe: Die Winzer-Genossenschaft Meißen hat die ganzen Freizeitwinzer ausgebaut. Es wurde festgeregelt, was sie zu tun und zu lassen haben. Sie mussten ihre Trauben zu einem bestimmten Termin abliefern und dann wurden die gekeltert. Das wurde von hier aus nach Berlin in die Restaurants, in die Intershops oder auch ins Politbüro geschafft. Es gab den Wein hier nicht zu kaufen, der war sogenannte Bückware, den gab es nur unterm Ladentisch. Meißner Wein wurde als Rarität gehandelt, weil es keine großen Erträge gibt. Da wo der Wein gemacht wurde, gab's ihn nicht zu kaufen. Da haben nur die Freizeitwinzer, die in der Winzergenossenschaft waren, ihre Deputate genießen können.
Und nach der Wende?
Lippe: Als wir 1990/91 angefangen haben, da hat keiner auf sächsischen Wein gewartet. Im Westen gibt es schließlich jede Menge Weinbaugebiete. Die meisten wussten gar nicht, dass es derart traditionsreichen Wein auch im Osten gibt. Als mein Mann das erste Mal eine Weinmesse, die "Pro- Wein" in Düsseldorf besuchte, da haben die Kollegen ihn teilweise ausgelacht und gemeint, er käme aus Vordersibirien.
Wie ging es dann weiter?
Lippe: Wir haben in Franken bei einem Onkel unseren Wein ausbauen lassen. Der hat für uns auch die ersten Weine vermarktet. So hatten wir im Westen einen Fuß in der Tür. Und das war dann der erste Schritt zum Erfolg? Lippe: Ab 1992 konnten wir uns selber vermarkten. Dann hat sich der Markt in der Region sehr schnell entwickelt. Erst dann haben viele, die uns erst gar nicht wollten, doch geguckt und festgestellt, dass unser Wein sehr gut schmeckt. Und so kommt man ganz langsam ins Gespräch. Aber das gesellschaftliche Umfeld hier war sehr schwierig. Der Absatz des Weines war nicht das Problem, sondern die Gesellschaft. Die Leute wollten anfangs nicht mit uns ins Gespräch kommen oder etwas mit uns zu tun haben.
Bei Ihrem Namen ist das nur schwer vorstellbar.
Lippe: Wir waren Alteigentümer, Adel, Unternehmer und Rückkehrer. Meine Schwiegereltern, die haben lange in Bautzen gelebt. Die hatten dort ihr Haus. Und mein Schwiegervater, der war Sachse durch und durch, der ist hier aufgewachsen. Der wollte nach dem Krieg in Sachsen bleiben. Das sei seine Heimat und die Lippische Familie war hier sehr vermögend und hatte mehrere Betriebe. Doch das hat man nicht zugelassen. Man verhaftete dann meine Schwiegereltern und ihre sechs kleinen Kindern und steckte sie in Lager unter anderem am Trachtenberger Platz sowie in Bautzen im Gelben Elend, in verschiedenen Zuchthäusern und in Einzelhaft. Dort hat 24 man sie richtig terrorisiert. Meiner Schwiegermutter wurde erzählt, man habe gerade ihren Mann erschossen und meinem Schwiegervater wurde erzählt, dass gerade seine Familie umgelegt worden sei. Das war schon heftig.
Und was war mit den Kindern?
Lippe: Für die war es besonders schlimm. Mein Mann hatte sehr viele ältere Geschwister, die das miterlebt haben. Es war auch viel Glück im Spiel. Im Zuchthaus in Oelsnitz, die letzte Station, in der die Familie verlegt wurde, hat sie irgendjemand aus Meißen entdeckt. Er hat sich dafür eingesetzt, sie gehen zu lassen. Bei Nacht und Nebel, und nur mit dem, was sie am Leib trugen sind sie mit den Kindern nach Bayern abgeschoben worden. Und weil sie der Inbegriff des "Klassenfeindes" waren, durften sie bis 1980 nicht mehr einreisen. Mein Schwiegervater hatte das Heimweh aber nie verloren.
Interessieren Sie sich deshalb so für Geschichte und Politik?
Lippe: Ich war lange Zeit im aktuellen Journalismus tätig. Aber das war mit Kind und dem engen Tagesablauf nicht mehr zu vereinbaren. Morgens beginnt die Schule 20 vor acht und nachmittags zwischen drei und vier hole ich meinen Sohn wieder ab. Die Zeitspanne war einfach zu kurz, um auszuschwärmen und Reportagen zu machen. Außerdem musste zu der Zeit bei uns auf dem Schloss unbedingt die Event-Position besetzt werden. Dann bin ich eingestiegen. Das Veranstaltungsgeschäft ist ein sehr hartes Geschäft. Gastronomie halte ich nach wie vor für eine der härtesten Branchen überhaupt. Ich habe das übernommen und arbeite trotzdem noch ab und zu als Journalistin, im politischen und wirtschaftlichen Bereich. Sie sind auch Moderatorin. Lippe: Genau. Nebenbei mache ich Auftragsmoderation, zum Beispiel für den Verband der Sächsischen Wirtschaft. Ich moderiere auch alle zwei Monate auf Deutschlandradio eine Diskussionsrunde.
Wo liegt Ihre größte Leidenschaft?
Lippe: Meine Passion ist nach wie vor der Journalismus. Ich arbeiten momentan sogar im Weingut mehr journalistisch, weil ich die Öffentlichkeits- und Pressearbeit übernommen habe. Früher habe ich das immer ganz sauber getrennt. Da war Journalismus das eine und das Weingut das andere. Dafür habe ich auch zwei Namen. Im Journalismus arbeite ich unter meinem Mädchennahmen und im Schloss natürlich unter dem jetzt eingetragenen bürgerlichen Namen. Früher habe ich für den MDR gearbeitet, da war es auch sauber getrennt.
Das klingt entspannt.
Lippe: Wie man's nimmt. Januar und Februar sind etwas ruhiger. Ab Ostern aber beginnt die Saison und geht bis Weihnachten. Da reicht ein 36 Stundentag nicht.
Unsere Disy-Schlussfrage ist immer: Was hat Sie das Leben gelehrt?
Lippe: Immer aufgeschlossen sein für Neues. Immer neugierig sein, sonst erfährt man ja nichts. Diese Neugierde ist, glaube ich, das wichtigste. Und die Nerven nicht verlieren.