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Tradition und Innovation

Auf der Nordstraße in Dresdens Preußischem Viertel residiert seit 1924 die Kunstausstellung Kühl, die älteste private Verkaufsgalerie Sachsens. Seit ihrer Gründung befindet sie sich ununterbrochen im Familienbesitz. Im Disy- Kunstgespräch berichtet Sophia-Therese Schmidt-Kühl, Enkeltochter des Gründers und jetzige Inhaberin, über Last und Lust ihrer Galeristen-Tätigkeit.

Frau Schmidt-Kühl, Sie wuchsen in einem musischen Umfeld auf und wurden bereits als Kind mit Kunst konfrontiert. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Von der Galeristen-Tätigkeit meines Vaters ging für mich eine Aura aus, die mich schon als kleines Mädchen sehr beeindruckte. In meinem Gedächtnis haben sich deshalb viele mit der Galerie verbundene Erinnerungen eingeprägt, beispielsweise die Atelierbesuche im engen Fachwerkhaus Hans Jüchsers im Wachwitzgrund oder im ungewöhnlich exakt geordneten Atelier Hermann Glöckners. Unvergesslich bleibt mir auch der alljährliche Andrang zur Eröffnung der Jahresend-Ausstellungen bei meinem Vater. Hunderte standen damals vor der Tür des ersten Obergeschosses bis auf die Straße. So erlebte ich erstmalig das große Verlangen nach Kunst, das die DDR nicht stillen konnte.

War es aufgrund dieser Erfahrungen schon immer Ihr Wunsch gewesen, als Galeristin tätig zu werden?

Die tägliche Berührung mit Kunst erweckte in mir schon frühzeitig das Verlangen nach eigener schöpferischer Tätigkeit, was von meinen Eltern unterstützt und später im Jugendkurs sowie im Abendstudium der Kunsthochschule Dresden gefördert wurde. Daraus erwuchs bald das Interesse, in die Fußstapfen meines Vaters zu treten. Dieser nahm meinen Wunsch von Anfang an ernst. Schließlich übernahm ich nach abgeschlossenem Studium und entsprechenden Berufserfahrungen 1994 die Kunstausstellung Kühl.

Mit ihrem Gespür für künstlerische Handschriften, die Prägendes hervorbrachten, hat sich die Kunstausstellung Kühl seit ihrer Gründung einen Namen erworben. Tradiertes weiterzuführen – hat sich dies im Laufe Ihrer Arbeit als Last oder als Lust herauskristallisiert?

Wenn ein Unternehmen wie diese Galerie seit mehr als 80 Jahren ununterbrochen besteht, haben sich ganz natürlich entsprechende Traditionen entwickelt. Eine Beziehung zwischen Galerist und Künstler bahnt sich oft in dessen jungen Jahren an und wird – im besten Fall – mit den Nachlassverwaltern fortgesetzt. Dabei entstehen Traditionen, die etwas mit Treue und Beständigkeit zu tun haben, zu denen ich mich bekenne und die sich auch wirtschaftlich auszahlen. Parallel dazu hat sich die Kunstausstellung Kühl stets um Entdeckung und Förderung junger Talente bemüht.

Seit der Galeriegründung tauchten immer wieder neue Namen von Künstlern auf, die bei ihrer ersten Präsentation noch ganz jung waren. Um hier nur einige Beispiele zu nennen: Bei meinem Großvater Heinrich Kühl waren es u.a. Hans Hartung, El Lissitzky, Hermann Glöckner, Carl Lohse, K. O. Götz. Bei meinem Vater Johannes Kühl zählten u.a. die Künstler Reinhard Springer, Veit Hofmann und Max Uhlig dazu. Ich selbst habe u.a. den Engländer Christopher Haley Simpson, die Brüder Peter und Paul Hofmann sowie Friederike Aust und Konstanze Feindt-Eißner aufgenommen. Das ist eine andere Form von Tradition – eine, die auf Innovation setzt. Diese Form empfinde ich auf jeden Fall als Lust. In einer Zeit hastigen Wechsels hat es die Beständigkeit nicht leicht und wird oft vorschnell als unzeitgemäß abgetan. Das gilt es auszuhalten, denn darin liegt die Basis langfristiger wirtschaftlich und inhaltlich gesicherter Existenz.

Versuchen Sie mit dieser Verbindung von Tradition und Innovation eine Brücke zwischen gestern und heute zu schlagen?

Wer sich mit Kultur im Allgemeinen und mit Kunst im Speziellen beschäftigt, spürt schnell, dass sich beide in einem kontinuierlichen Strom entwickeln, in dem es keine Zäsuren zwischen gestern und heute gibt. Es stecken eher wirtschaftliche Interessen dahinter, wenn aktuelle Tendenzen so präsentiert werden, als seien sie allem zuvor Entstandenem überlegen. Solche Moden regulieren sich mit der Zeit von selbst. Wichtig ist es, die wirklich neuen Impulse künstlerischer Darstellung herauszufinden, welche sich aus der Auseinandersetzung mit dem ergeben, woraus seit Jahrtausenden Kunst entsteht. Statt einer Brücke, die zwei gegenüberliegende Ufer verbindet, finde ich für diesen Ansatz eher das Bild einer Welle zutreffend. Ich strebe danach, auf der Höhe dieser sich durch die Zeit bewegenden Welle zu bleiben.

Viele Galerien, die ihren Schwerpunkt auf die Kunst der Gegenwart gelegt haben, befinden sich in der Dresdner Neustadt. Wie begegnen Sie diesem Potenzial in Ihrem nächsten Umfeld?

In der wachsenden Zahl der Galerien spiegelt sich ein gestiegenes Interesse unserer Gesellschaft an Bildender Kunst. Das halte ich für eine großartige Entwicklung. Des Weiteren konnte ich in den vergangenen Jahren auch eine Zunahme sehr unterschiedlicher künstlerischer Handschriften beobachten. Das hängt mit der fortschreitenden Individualisierung zusammen. Dadurch entstehen immer neue Spielräume, in denen Galerien mit spezieller Ausrichtung tätig werden können. Letztendlich ist das Gespür des Galeristen entscheidend, wesentliche Tendenzen wahrzunehmen und anzubieten. Auch ich verlasse mich darauf - eine andere Möglichkeit gibt es nicht.

Als Besucher Ihres Hauses kann man das großzügige Ambiente und den eleganten Charme der Räume genießen – ist eine solche Präsentationsfläche noch zeitgemäß?

Die meisten Mitbewerber im Bereich kommerzieller Galerien stellen ihr Angebot unter vergleichbaren Umständen aus. Erworbene Kunstwerke landen letztendlich wieder in einem ähnlichen Ambiente – im Wohnraum, im Geschäftsbereich oder in Museen. In meinen Räumen befinden sich einige Möbel, die sich schon mein Großvater angeschafft hat. Gerade in der Verbindung mit ganz neuen Arbeiten junger Künstler ergibt sich eine Spannung, die den Reiz erhöht. Aber das ist kein Dogma. Vielleicht tausche ich auch einmal etwas Historisches gegen etwas ganz Zeitgemäßes aus. Wichtig ist mir nur, eine unverwechselbare Atmosphäre zu erhalten. Ob das zeitgemäß ist, möge jeder Besucher selbst entscheiden.

Wie wollen Sie auf die veränderten Marktbedingungen im Bereich der Kunst reagieren?

Ich beobachte ein zunehmendes Interesse am Erwerb von Kunst. Das hängt sicher mit dem größeren Wohlstand zusammen, der ja leider nicht für alle gleichmäßig zu erreichen ist. Auch schaffen sich immer mehr Menschen bewusst Gegenpole zur Informations-und Bilderflut der modernen Mediengesellschaft und nutzen dabei das Internet. Dieser Entwicklung entspricht meine neu gestaltete Webpräsenz. Außerdem sollte man nicht vergessen, dass Kunstliebhaber ihre Stücke gern selbst suchen. Sie wollen etwas finden, dafür brauchen sie eine kompetente Adresse. Kunst kann man nicht wie Autos anbieten. Unverzichtbar bleibt deshalb für mich die persönliche, permanente und individuelle Betreuung, die Vertrauen durch gute Beratung schafft. Des Weiteren sind Messeteilnahmen wichtig, wenn man für seine Künstler auch überregionale Aufmerksamkeit erreichen möchte. Ich beabsichtige, die Kunstausstellung Kühl auch auf Messen in den Altbundesländern vorzustellen. Leider konnte sich auf regionaler Ebene der „Dresdner Kunstmarkt“ nicht dauerhaft etablieren. Grundpfeiler meiner Arbeit bleiben aber gute Ausstellungen in meinen eigenen Galerieräumen.

Ihre beiden Vorgänger waren Männer. Seit zwölf Jahren führen Sie als Frau mit drei Kindern die Kunstausstellung Kühl weiter. Wie gelingt es Ihnen, Beruf und Familie zu vereinbaren?

Mein Vater hat sich als Galerist ausschließlich dem Beruf widmen können. Erziehung, Haushalt und dergleichen übernahm die Familie. Dieses Modell ist veraltet. Mein Mann und ich teilen uns in die familiären Pflichten. Vereinfacht wird das dadurch, dass mein Mann als Freier Architekt auch hier im Haus sein Büro hat. So können wir sehr flexibel reagieren. Im Vergleich zu meinem Vater muss ich allerdings meine Energie auf Familie und Beruf aufteilen. Die damit verbundenen Einschränkungen werden durch das Glück, auch Mutter und Ehefrau zu sein, jedoch mehr als aufgewogen.

Interview: Iris Häckel
Fotos: Katalog „Informelle Malerei in der DDR“, hg. von Sigrid Hofer, Marburg 2006 (S. 140)/ Kunstausstellung Kühl