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Gebrauchsspuren, bitte!
Warum man Stilmöbeln die Spuren der Zeit ansehen darf - und sie gerade dadurch erst wertvoll sind
Antiquitäten erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Sie sind Wertanlage oder Ausdruck von Individualität. Doch was unterscheidet ein wertvolles Möbelstück von einem 08/15-Regal? Disy sprach mit Kunsthändler Frank Kühne.
Es sind die Details, die das Be-sondere vom Normalen unter-scheiden – das gilt für Kunstwerke genauso wie für Möbelstücke. Und um sie zu erkennen, braucht es ein geschultes Auge, eine Portion Neugierde und Entdeckergeist.
„Man sieht mit allen Sinnen und entdeckt jedes Stück wie ein kleines Kind“, beschreibt Frank Kühne das Vorgehen, wenn er sich ein Möbel anschaut. Der Dresdner Kunsthändler ist Experte, nicht nur für Kunstwerke aus dem Dresdner Raum des 20. Jahrhunderts, sondern auch für Mö-belstücke aus drei Epochen. Denn selbst von außen eher schlichte Möbelstücke können bei genauer Betrachtung ungeahnte Details offenbaren. Details, die sie einzigartig und somit wertvoll machen. Schaut man sich die Möbel von Richard Riemerschmid an, einem Künstler des Jugendstils, so zeugen sie bereits von schlichter Eleganz. Es gibt keine beson-deren Verzierungen, einzig die reliefartigen Quadrate in den Türen fallen auf. Öffnet man jedoch eine Schranktür und schaut sich die Schließmechanik genauer an, sieht man Präzisionsarbeit wie sonst bei Uhrmachern. Ein anderes Beispiel findet sich in einem Schrank aus der Ära der „Leipziger Meister-stücke“ von 1757. Erst beim zweiten Blick fällt die wellenförmige Maserung an der unteren Schrankseite auf, die sich um den ganzen Schrank zieht – ein Detail, das schon bei der Auswahl des Holzes beachtet und stringent geplant werden musste. Selbstverständlich spielt auch das verwendete Holz eine Rolle. Mahagoni und Palisander sind sehr beliebt und zeichnen sich neben ihrer Qualität auch durch ihre feine Maserung aus.
Doch nicht nur Details, Handarbeit und das Holz machen Möbel zu etwas Exklusivem – auch das Alter spielt eine Rolle. Doch ver-staubten sie lange in einer Ecke, wollen die Besitzer sie häufig restauriert sehen. Hier mahnt Kühne zur Vorsicht: „Restauratoren können die Substanz eines Stücks zerstören und ihm so ihrer Seele berauben.“ Einen Tisch oder eine Kommode wie neu aussehen zu lassen, sollte nicht das Ziel sein. Man darf gerade alten Stücken ihr Alter ansehen. Ge-brauchsspuren machen sie erst authentisch. Zudem verfälschen schon moderne Schrau-ben oder Leisten den Zustand enorm. Hier gilt es, behutsam vorzugehen und sich vor einer Restauration den Rat eines Experten einzuholen. Denn im schlimmsten Fall wird der Wert so sehr gemindert, dass man mehr Geld an den Restaurator bezahlt, als das Mö-belstück anschließend noch wert ist.
Tolle, alte Möbel liegen übrigens selten auf dem Dachboden der Großeltern, wie Kühne weiß. „Die meisten Stücke befinden sich be-reits in den Händen von Sammlern. Oft wis-sen die Besitzer um den Wert ihrer Stücke und vererben sie bewusst an ihre Nachfah-ren.“ Wer sich also spontan etwas Einzig-artiges in die Wohnung stellen will, kommt nicht um einen Besuch bei einem Kunsthänd-ler herum. Natürlich gibt es die Möglichkeit, sich ein Faksimile bauen zu lassen. „Doch das kostet oft mehr, als das Original und bleibt ein Faktotum. An das Original wird man jedoch nie herankom-men.“ Schließlich arbeitet und altert das Holz und wird von seiner Umwelt beeinflusst.
Einen Trend zu einer bestimmten Epoche kann Kühne zurzeit nicht ausmachen. Viele würden einen Stilmix bevorzugen. Gerade prunkvolle Stücke eignen sich zum Bei-spiel, um dem Raum etwas Märchenhaftes zu verleihen. „Sächsische Möbel aus der Barockzeit sind sehr beliebt. Gerade weil sie in ihrer Art auf das Wesentliche beschränkt sind, zählen sie zu den wertvollsten in Deutschland“, so Kühne.
Für welches man sich am Ende entscheidet, ist sowieso jedem selbst überlassen. Wichtig ist Kühne in jedem Fall, dass man das Werk zu schätzen weiß – schließlich ist jedes Stück einzigartig.