• November 01, 2022
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Zwischen ausgiebigen Feierlichkeiten, dem Leben und Lieben der Pariser und Gewehrschüssen, entführt der Cast der Semperoper Dresden die Zuschauer in das Jahr 1572. Die Oper in fünf Akten von Giacomo Meyerbeer feierte in Dresden im Juni 2019 Premiere und nun eine erfolgreiche Wiederaufnahme. Zentrum der Geschehnisse ist der beständige Konflikt zwischen Katholiken und Hugenotten, der in den Schrecken der Bartholomäusnacht gipfelte – Chor, Komparsen, Kinder, keiner kann den Schüssen im letzten Akt entkommen. Ein schreckliches Massaker, welches damals wie heute Entsetzen fühlen lässt.

Besonders verdeutlicht wird das Spannungsverhältnis der zwei Lager durch die Liebesgeschichte zwischen der Katholikin Valentine und dem Hugenotten Raoul. Es erinnert an die Geschichte Romeos und Julias – eine Liebe die gefährlich, verboten und zum Scheitern verurteilt ist. Gekonnt gelingt es Regisseur Peter Konwitschny Bilder zu malen, die Dramatik, Leid und gleichzeitig das überschwängliche Leben der Katholiken und die prüde Einfachheit der Hugenotten in einer leichten Satire und dennoch mit Nachdruck darstellt.

So beginnt jeder Teil mit dem bekannten Bild des letzten Abendmals. Im ersten Teil sitzen die Katholiken an jenem Tisch und feiern das Leben, die Frauen, den Alkohol und den Papst. Beendet wird ebenfalls mit dem Bild der Tafel – Marguerite de Valois thronend in der Mitte, wie Jesus auf da Vincis Gemälde, zu ihren Seiten die Hugenotten und Katholiken. Das Brot wird miteinander gebrochen.

Auch im zweiten Teil wird an dem Bild festgehalten, eine Koexistenz beider Lager versucht zu halten, doch durch Glaubenskrieg, Königstreue, Intrigen und Hinterhalte endet das Stück im dramatischen Abschlachten der Hugenotten. Auch hier zieht Regisseur Peter Konwitschny eine Parallele zum letzten Abendmahl, dem Verrat Judas und Jesus´ Tod.

Auch Kostüme und Bühnenbild (Johannes Leiacker) zeigen, an ein Schachbrett erinnernd, sowohl eine räumliche als auch eine farbliche Abgrenzung zwischen Katholiken und Hugenotten. In pompösem Rot flanieren die katholischen Damen in prächtigen Kleidern und die Männer in roter Rüstung. Einfaches Schwarz ziert die Kostüme der Hugenotten.

Dirigent Stefan Soltész und die Staatskapelle Dresden vereinen sich in Symbiose und schaffen durch ihre hervorragende Leistung, die Stimmung bis in den obersten Rang zu transportieren. Besonders beeindruckend – Elena Gorshunova in der Rolle der Marguerite de Valois. Die Sopranistin, welche in Moskau an der Gnessin Musikakademie Gesang studierte, fasziniert mit ihrer klaren, kräftigen Stimme und ihrem Schauspieltalent.Für sie gab es Zwischenapplaus und Bravo-Rufe.

Versteckter, tragischer Held der Oper, ist Graf de Nevers, gespielt von Dimitris Tiliakos. Als Frauenheld gefeiert vollzieht der Protagonist während der Oper eine derart starke charakterliche Veränderung, die erwähnenswert ist. Anfängliche Prahlerei und abfällige Bemerkungen über Frauen weichen der wahrhaftigen Trauer über den Verlust Valentines als Verlobte. Der traurige Liebende wird nach gescheiterter Hochzeit von Valentine und Raoul doch noch ihr Ehemann, jedoch nur als zweite Wahl.

Als die Katholiken, angeführt von Graf de Saint-Bris, Valentines Vater, animiert und auf das Massaker vorbereitet werden, legt Graf de Nevers sein Schwert nieder mit den Worten „Ich bin Soldat und kein Mörder“. Daraufhin wird er von Valentines Vater erdolcht – das Bild der bekannten Dolchstoßlegende. Ein Dolch im Rücken, geführt von der Hand eines Freundes. Bis zur Schlussszene bleibt Graf de Nevers tot auf dem Bühnenboden liegen bis er am Ende nicht mehr allein ist, sondern sich alle Hugenotten, Valentine, Raoul und dessen Diener Marcel zu ihm niedersinken. Graf de Nevers sieht als einziger vorrausschauend über den Tellerrand und erkennt, dass ein Glaubenskrieg nicht rechtens sein kann, wenn unschuldige Menschen sterben. Die Dramatik wird perfekt abgerundet, als sich zwischen den Leichen ein Mann stellt und beginnt, … zu spielen – der Totengräber.

Die Semperoper Dresden übertrifft sich mit der Inszenierung und Aufführung der Oper „Les Hugenottes“ einmal mehr. Tragischer, dramatischer Stoff wird gerade richtig verarbeitet – Leid und Emotionen kommen bei den Zuschauern an. Die Inszenierung zeigt brutale Geschehnisse, die vor 450 Jahren stattfanden und nach wie vor aktuell und wichtig sind. Es gelingt, durch die großartige Leistung des Chores, der Solisten, des Orchesters und der gebauten Atmosphäre einen Spannungsbogen aufzubauen. In den ersten beiden Teilen ist eine scheinbare Leichtigkeit zu spüren. Die beiden Lager scheinen sich zu belächeln, aber nicht zu bekriegen. Durch zunehmende Konflikte wird die Stimmung ernsthafter bis sie im dritten Teil ihren dramatischen Höhepunkt erreicht. Regisseur Peter Konwitschny ist dabei nicht belehrend, sondern entlässt das Publikum nachdenklich.

Text: Louisa Fließbach