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Corona-Gesetz: Ist der Vermieter rechtlos gestellt? Disy fragte nach...
Das neue Mietrecht ist ein Thema, das viele bewegt. Wir haben mit Rechtsanwalt Andrew Seidl über einige Besonderheiten der neuen Mietrechtsnorm gesprochen.
Ist der Vermieter rechtlos gestellt?
In den sozialen Medien und in Teilen der Politik sind die Vermieter immer die Bösen. Deshalb war die Befürchtung groß, dass die Vermieter die durch die Corona-Krise verursachte wirtschaftliche Not der Mieter ausnutzen. Durch die staatlich angeordneten Betriebsstilllegungen erleiden ein Großteil der Gewerbetreibenden, Selbständigen und Arbeitnehmer erhebliche Einnahmeverluste. Neben der Angst um den Arbeitsplatz, kommt noch die Sorge um den Verlust der Wohnung oder der Gewerbefläche hinzu.
Gerät der Mieter mit zwei Mieten in Verzug, kann der Vermieter grundsätzlich kündigen.
Um dieser Gefahr zu begegnen, hat der Gesetzgeber am 27.03.2020 ein neues Gesetz verabschiedet.
Viele Vermieter bangen jetzt selber um ihre Existenz. Der Gesetzgeber hat völlig außer Acht gelassen, dass der überwiegende Anteil der vermieteten Flächen nicht im Eigentum finanzstarker Konzerne steht, sondern in privater Hand. Viele Verbände befürchten deshalb einen Dominoeffekt, sofern den Vermietern die Einnahmen fehlen.
Bei nüchterner Betrachtung ist das Gesetz kein Freibrief für die Mieter.
Der neu eingeführte Artikel 240 § 2 EGBGB untersagt dem Vermieter den Ausspruch einer Kündigung, wenn der Mieter seine Miete im Zeitraum vom 01.04.2020 bis 30.06.2020 nicht zahlt. Das Recht des Vermieters zur Kündigung des Mietverhältnisses (fristlos außerordentlich oder ordentlich) ist wegen des Zahlungsverzuges bzgl. der Mieten für die Monate April, Mai und Juni 2020 suspendiert.
Die Suspendierung des Kündigungsrechtes wird sogar noch bis zum 30.06.2022 festgeschrieben (Artikel 240 § 2 Absatz 4 EGBGB). Dem Vermieter wird damit sein wichtigstes Druckmittel genommen, um den Mieter zur Zahlung zu veranlassen.
Es ist zu erwarten, dass der Zeitraum der Aussetzung der Kündigungsmöglichkeit um weitere drei Monate, sprich bis zum 30.09.2020, verlängert wird. Die entsprechende Ermächtigung ist bereits in Artikel 240 § 4 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB enthalten.
Hohe Anforderungen für die Kündigungssperre stellt das Gesetz nicht.
Es genügt bereits ein kausaler Zusammenhang zwischen der COVID-19-Pandemie und der Einstellung der Mietzahlungen.
Die Beweislast für die Kausalität trägt der Mieter, der diese aber nur glaubhaft machen muss (Artikel 240 § 2 Absatz 1 Satz 2 EGBGB).
Bei gewerblichen Mietern, deren Betrieb aufgrund einer Allgemeinverfügung geschlossen wurde, reicht bereits der Verweis auf die Allgemeinverfügung. Bei dem privaten Mieter dürfte eine Arbeitgeberbescheinigung bzw. der KuG-Bescheid ausreichen.
Nach dem Wortlaut des Gesetzes kommt es nicht darauf an, ob der Mieter durch die Zahlung der Miete in seiner Existenzgrundlage gefährdet wird. Deshalb schützt die Norm auch Mieter, die zwar von der Pandemie betroffenen sind, aber über Rücklagen oder Eigenkapital verfügen, aus denen sie die Mieten ohne Gefährdung der eigenen Existenz aufbringen können. Ob diese Rechtsfolge tatsächlich vom Gesetzgeber gewollt war oder das Gesetz einschränkend auszulegen ist, ist eine der vielen ungeklärten Fragen.
Das Gesetz ist handwerklich schlecht gemacht und wird deshalb sicherlich viele Rechtsstreite verursachen. Nachfolgend gehe ich kurz auf Fragen ein, die ich wiederholt von Vermietern oder Mietern gestellt bekommen habe. (Das neue Gesetz ist noch druckfrisch. Deshalb gibt es zu den vielen Rechtsfragen, die das Gesetz aufwirft, keine Rechtssicherheit. Die nachfolgenden Ausführungen dokumentieren meine Rechtsansicht, für deren Richtigkeit ich keine Gewähr übernehmen kann. Es wird den Gerichten vorbehalten bleiben, in den Streitfällen Rechtssicherheit zu schaffen.)
Hat der Vermieter im Zeitraum vom 01.04.2020 – 30.06.2020 Anspruch auf die Miete?
Das Gesetz gibt dem Mieter nicht das Recht, die Mietzahlungen auszusetzen. Das wird häufig in den Medien falsch dargestellt. Die Miete ist nicht gestundet, und dem Mieter steht auch kein Zurückbehaltungsrecht zu.
Der Mieter ist also verpflichtet, seiner vertraglichen Verpflichtung nachzukommen, sprich die Miete auch bei Fälligkeit zu bezahlen. Verletzt er diese Verpflichtung, dann kommt er in Verzug. Er schuldet dann neben der Miete auch die (gesetzlichen oder vertraglich vereinbarten) Verzugszinsen sowie die möglicherweise anfallenden weiteren Kosten des Verzugs.
Suspendiert ist nur das Recht des Vermieters, wegen der Nichtzahlung der Mieten für die Monate April, Mai und Juni 2020, die Kündigung des Mietverhältnisses auszusprechen.
Alle sonstigen Rechte bleiben dem Vermieter erhalten. So kann der Vermieter aus anderen Gründen, z.B. wegen wiederholter Störung des Hausfriedens, die Kündigung aussprechen.
Kann der Vermieter kündigen, wenn der Mieter bereits vorher im Verzug war?
Hat der Mieter z.B. für die Monate Februar und März 2020 die Miete nicht gezahlt, so steht dem Vermieter weiterhin das Recht zur Kündigung des Mietverhältnisses wegen dieser beiden offenen Mieten zu.
Kniffliger wird es, wenn der Mieter z.B. mit der Miete für März 2020 im Verzug ist und nunmehr auch die Mieten für April, Mai und Juni 2020 schuldig bleibt. Aber auch für diesen Fall wird wohl gelten: Der Verzug mit den Mieten für April bis Juni 2020 ist nicht kündigungsrelevant. Deshalb könnten die nicht gezahlten Mieten der Monate April, Mai und Juni 2020 der offenen Miete für März 2020 nicht als Kündigungsgrund hinzugerechnet werden.
Bleibt der Vermieter auf den Nebenkosten sitzen?
Mit „Miete“ meint das Gesetz beides: Kaltmiete und Nebenkostenvorauszahlung. Auch die Nebenkostenvorauszahlungen für April bis Juni 2020 kann der Mieter zunächst zurückhalten, ohne eine Kündigung befürchten zu müssen. Der Vermieter kann das aber bei der Nebenkostenabrechnung berücksichtigen, hier entsprechend geringere Vorauszahlungen einstellen und dann vom Mieter via Nebenkostenabrechnung die tatsächlich verbrauchten Nebenkosten fordern.
Darf der Vermieter Strom und Wasser abstellen, wenn er keine Nebenkostenvorauszahlung erhält?
Die Rechtslage dazu (im ungekündigten Mietverhältnis) ist ungeklärt, so dass ich dem Vermieter davon abraten würde, zu diesem drastischen Mittel zu greifen. Der Mieter kann sich hier wohl mit einer einstweiligen Verfügung wehren und den Vermieter zur Wiederherstellung der Versorgung zwingen.
Kann der Vermieter die Mietkaution in Anspruch nehmen?
Da mit dem neuen Gesetz lediglich das Recht zur Kündigung suspendiert wird, gerät der Mieter mit den nicht gezahlten Mieten in Verzug. Deshalb kann der Vermieter auf die Kaution zurückgreifen und diese Sicherheit verwerten.
Der Vermieter hat dann auch einen Anspruch gegen den Mieter auf Zurverfügungstellung einer neuen Sicherheit.
Kommt der Mieter diesem Verlangen nicht nach (und ist die Auffüllung allein wegen einem Zahlungsrückstand aus dem Zeitraum April bis Juni 2020 geschuldet), ist m.E. eine Kündigung möglich. Sicherlich wird man dies auch anders sehen können. Also handelt es sich um eine Rechtsfrage, die irgendwann gerichtlich geklärt werden müsste.
Was ist mit der Kündigungssperre bis zum 30.06.2022 gemeint?
Der Gesetzgeber wollte den Mieter weitergehend schützen. Die Kündigungssperre wegen des Mietrückstandes April – Juni 2020 endet nicht mit Ablauf des 30.06.2020. Der Vermieter kann deshalb z.B. nicht im Juli 2020 die Kündigung wegen den offenen Mieten (April – Juni) aussprechen. Die Kündigung wegen dieser Mieten ist bis zum 30.06.2022 ausgesetzt. Damit räumt der Gesetzgeber dem Mieter eine zweijährige Schonfrist ein.
Ungeklärt ist, ob diese Kündigungssperre auch andere Rechte des Vermieters bis zum 30.06.2022, z.B. die offenen Forderungen klageweise geltend zu machen, einschränkt. Dem Wortlaut des Gesetzes und den Motiven des Gesetzgebers nach nicht. Ob dies im Streitfall von einem Gericht anders gesehen wird, bleibt abzuwarten.
Ab wann kann ich wieder wegen Zahlungsverzug kündigen?
Die Suspendierung der Kündigung läuft am 30.06.2020 ab. Der Mieter ist deshalb ab Juli 2020 vor einer Kündigung wegen Zahlungsverzuges nicht mehr geschützt. Dies bezieht sich aber nur auf einen zukünftigen Zahlungsverzug. Kommt der Mieter mit den Mieten, die ab dem 01.07.2020 fällig werden, in Rückstand, so kann der Vermieter wie gewohnt kündigen, wenn zwei Mieten (z.B. Juli und August) offen sind.
Kann der Vermieter die ausstehende Miete einklagen?
Wie bereits oben gesagt, ist die Rechtslage ungeklärt. Das neue Gesetz suspendiert lediglich das Kündigungsrecht, nicht aber die sonstigen Rechte des Vermieters.
Meines Erachtens kann der Vermieter den Rechtsweg beschreiten, wenn die ausstehende Miete (April – Juni) nicht gezahlt wird und sich Vermieter und Mieter auf keine Rückzahlungsvereinbarung verständigen können. Dies kann für den Mieter teuer werden.
Betreibt der Vermieter den Rechtsstreit zudem im Urkundenverfahren, hat der Mieter letztlich wenig Chancen, einen vollstreckbaren Titel gegen sich zu verhindern. Mit allen Konsequenzen: Kontenpfändung, Gerichtsvollzieherbesuch und Schufa-Eintrag.
Erhält der Mieter staatliche Zuschüsse oder Darlehen aus den diversen Hilfsprogrammen oder hat er andere Rücklagen – kann ihn der Vermieter trotzdem kündigen, wenn der Mieter die Mieten für April, Mai und/oder Juni nicht zahlt?
Die Frage wird man zurzeit nicht abschließend beantworten können. Dem Wortlaut nach kommt es nicht darauf an, ob der Mieter durch die Zahlung der Miete in seiner Existenz bedroht ist.
Aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes wird man ggf. die „Existenzgefährdung“ als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ableiten müssen. Bei dieser Auslegung der Norm wird der potente Mieter zahlen müssen, sofern er die Kündigung des Mietverhältnisses verhindern will.
Zwingend ist diese ergänzende Auslegung nicht. Artikel 240 EGBGB besitzt nur drei Paragrafen. In § 1 (Moratorium) und in § 3 (Darlehen) ist das Merkmal der „Existenzgefährdung“ ausdrücklich erwähnt. Daraus kann auch der Schluss gezogen werden, dass der Gesetzgeber dieses Merkmal in § 2 (Mieten) bewusst nicht aufgenommen hat.
Ein Mieter von Wohnraum, der ohne Schwierigkeiten zahlen kann, wird es wohl kaum auf eine gerichtliche Auseinandersetzung ankommen lassen und damit die Kündigung der Wohnung riskieren.
Was passiert, wenn der Vermieter aufgrund der nicht gezahlten Mieten selber in Schwierigkeiten gerät?
Schauen wir uns folgenden Fall an: Der Vermieter hat eine Eigentumswohnung gekauft und über die Bank finanziert. Sein Mieter kann nicht zahlen, damit kann der Vermieter seinen Kapitaldienst auch nicht mehr erbringen.
Falls der Vermieter Verbraucher ist, hilft ihm zunächst Artikel 240 § 3 EGBGB. Danach sind die Zins- und Tilgungsleistungen von Verbraucherdarlehen kraft Gesetzes für drei Monate gestundet.
Ansonsten bleibt ihm nur die Möglichkeit, die Kaution des Mieters zu verwerten, sich selber Liquidität aus den Hilfsprogrammen zu besorgen und/oder mit seiner eigenen Bank zu sprechen.
Fazit:
Leider wirft das Gesetz mehr Fragen auf als es beantwortet. Ein bisschen mehr Sorgfalt bei der Formulierung hätten sich wohl alle gewünscht. Bis zu den ersten höchstrichterlichen Urteilen, die Rechtssicherheit schaffen, werden noch Jahre vergehen.
Der beste Weg Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden, ist es, das Gespräch mit dem Mieter zu suchen und eine konsensuale Lösung zu finden. Was hier ausgewogen und angemessen für beide Seiten sein kann, kann nicht pauschal beantwortet werden, da es immer von den Umständen des Einzelfalls abhängt. In jedem Fall sollte eine getroffene Vereinbarung schriftlich fixiert werden.