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Das Kutscherhaus - Architekt Gerd Priebe im Interview
In den letzten dreieinhalb Jahren hat Architekt Gerd Priebe das Kutscherhaus von einer nahezu abbruchreifen Ruine zu einem Gebäude gewandelt, welches im Inneren der Umfassungswände eine ganz neue Welt eröffnet, die von außen nur bedingt erkennbar ist. Das innere Gebäude hat er vollständig aus Holz gebaut. Er hat auf eine klassische Heizung und Wärmedämmung verzichtet, betreibt das Haus nur mit Strom. Die Struktur, die Klarheit und Offenheit der Räume erinnert im ersten Blick an traditionelle japanische Architektur. Das regt viele Fragen an.
Wie kamen Sie auf diese Gedanken?
Priebe: Das Kutscherhaus ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Entwicklungsprojekt, welches über viele Wege, Gespräche und Studienreisen, z.B. nach Südtirol und in die Schweiz, entstanden ist. Ich hatte eine Vorstellung, jedoch war mir noch nicht klar, wie ich diese umsetzen kann. Ich wollte etwas Schönes, Einzigartiges und Zukunftsorientiertes entwickeln und dabei die ökologische Vergangenheit des Kutscherhauses aufgreifen. Ich hatte den Gedanken, ein Haus mit nur einer Energieform – und zwar Strom – zu betreiben, diesen habe ich aus Norwegen von einer Wettbewerbsteilnahme mitgebracht. Die Energie der Sonne ist die einzige Ressource, die wir von außerhalb unseres Planeten beziehen können. Ich wollte eine Konstruktion verwenden, die möglichst schlank, elegant und mit sehr geringen Ressourcen zu realisieren ist, und das vor dem Hintergrund einer wachsenden Weltbevölkerung mit einem steigenden Bedürfnis nach Rohstoffen und der Folge zunehmender Kosten. Ich wollte ein Haus aus Holz. Ein Werkstoff der nachwachsend, gesund und ökologisch ist, der lebt und erzählt..., der unsere Sinne anspricht. Alle drei Kriterien haben Einzug in das Konzept Haus-im-Haus gehalten.
Was hat Sie zu dem Konzept Haus-im-Haus veranlasst?
Priebe: Ich finde es wichtig, dass wir Zeugnisse unserer Zeit schaffen und das Original der Vergangenheit achten und respektieren. Mein Ansinnen ist es, zukunftsorientierte Lebensräume zu schaffen. Ich habe die historische Bausubstanz der Umfassungswände praktisch als Gefäß für das Neue - die Holzbaukörper - genutzt und diese über die Attikahöhen des alten Gemäuers hinauswachsen lassen, um deutlich zu machen, dass das Künftige stets aus dem Vergangenen hervorgeht. So gesehen lag es für mich nahe, ein Haus im Haus zu integrieren. Beides bleibt somit eigenständig, ehrlich und die Zeitepochen ablesbar. Erst vor diesem Hintergrund ist eine Symbiose zwischen dem Historischen und dem Gegenwärtigen möglich.
Das Haus-im-Haus-Konzept eröffnete neue Gestaltungsräume in Konstruktion, Struktur, Ober ächen und Raumproportionen und eine Vielfältigkeit im Mikrokosmos zwischen Wohnen, Arbeiten, Veranstalten, Zusammentreffen und Austauschen.
Ein weiterer Aspekt dieses Konzeptes ist, dass die Nutz ächen und das Raumprogramm gegenüber der historischen Gebäudegröße vergrößert werden konnte und durch die hohe Nutzungsvariabilität ein Mehrwert für die Investition entstand.
Das klingt danach, dass Sie tiefergehende Gedanken haben?
Priebe: Wir leben in einer Zeit schneller Umbrüche, alles scheint auswechselbar, gar beliebig zu sein. Vieles entzieht sich uns, weil wir es nicht mehr verstehen. Das verunsichert Viele. Sie halten dann an Altem fest, auch wenn es ihnen nicht gut tut und sind nicht offen, Gegenwärtiges zu hinterfragen. Leben bedeutet für mich Achtsamkeit und Veränderung, mich immer wieder selbst zu re ektieren und neu auszurichten. Das ist zugegebenermaßen hin und wieder anstrengend, wenn ich jedoch damit meine Herzensanliegen verwirklichen kann, nehme ich die Anstrengung gern in Kauf. Architektur, und nicht nur Architektur, braucht Haltung, Klarheit und Auseinandersetzung. Architektur ist Teil unserer Kultur und ist Baukultur. Das Kutscherhaus wurde mit dem Grundsatz DENK-MAL ANDERS verwirklicht. Ich habe hier bewusst einen neuen Weg bei der Entwicklung, Planung, Herstellung und Realisierung gewählt. Das Kutscherhaus ist ein Demonstrator für ein verän- dertes Verständnis im Umgang mit unseren Ressourcen, nach der Denkschule – Cradle to Cradle und für einen holistischen Ansatz von der Entwicklung bis zur Herstellung.
Weshalb gehen Sie neue Wege?
Piebe: Architektur begeistert mich. Das Schaffen von inspirierenden Lebensräumen fasziniert mich. Neues zu probieren, reizt mich. Mit Menschen etwas Schönes zu schaffen, erfreut mich. Herausforderungen motivieren mich. Demgegenüber verhindern festgefahrene Strukturen, nicht mehr beherrschbare Schnittstellen und inefziente Bauprozesse jede Entwicklung. Mit einem ganzheitlichen Ansatz, neuen Methoden und leistungsfähigen integrativen Herstellungsprozessen habe ich einen neuen Weg beschritten.
Worum geht es Ihnen bei Ihrer Architektur?
Priebe: Architektur soll begeistern, inspirieren und überraschen. Einen stimmigen Lebensraum zu erschaffen, ist eine immense Heraus- forderung. Räume zu gestalten, die Bewegungsraum und Entfaltung ermöglichen, ist die Essenz meines Tuns. Es geht mir dabei um Offenheit und Ehrlichkeit. Das Einfache und Verständliche klar werden zu lassen, ist ein kontinuierlicher Prozess. Architektur spricht auf vielfältiger Weise unsere Sinne an. Dies gezielt herauszuarbeiten und die beabsichtigte Wirkung zu erzeugen, ist Teil meiner Arbeit. Architektur ist unsere dritte Haut und Spiegelbild unseres Selbst. Bedürfnisse einzufangen und diesen Gestalt und Form zu verleihen, ist das Fundament in meiner Architektur.
Sie wohnen jetzt seit diesem Frühjahr im Kutscherhaus. Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen?
Priebe: Noch ist nicht alles fertig und wir benötigen einen vollen Jahreszyklus, um ein Gesamtbild zu erhalten. Doch so viel kann ich sagen: Es ist ein Lebensraum entstanden, der begeistert, ein Reich der Sinne. Das Haus lebt durch Enge und Weite, durch verschiedene Raumgeometrien, Lichteinfälle, Farben und Ausblicke. Der Duft des Buchenholzes durchströmt die Räume und holt die Natur herein. Die Luft erscheint klar, frisch und energiereich. Die frühmorgendliche kurze Kaltdusche bis der Durchlauferhitzer warmes Wasser liefert, ist erfrischend. Das Kutscherhaus strahlt Wohlbe nden und Ruhe aus. Wir leben gerne hier.
Sie sprechen vom Kutscherhaus als einem Demonstrator. Bedeutet das, dass das Haus auch von Interessierten und Bauwilligen besucht werden kann?
Priebe: Ja, das ist die Absicht. Der Besucherkreis wächst beständig und immer mehr Menschen sprechen uns an. Im September wurde das Kutscherhaus z.B. mit dem sächsischen Energieef zienzpreis ELISA ausgezeichnet. Der MDR war zu Besuch und strahlte einen kurzen Beitrag über das Kutscherhaus aus. Wir erhalten Anfragen für unterschiedlichste Veranstaltungen. Diese Entwicklungen stimmen uns positiv und ermutigen, dem eingeschlagenen Weg konsequent weiter zu folgen, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen, gemeinsam Dresden, die Region, die Welt mit schönen Gebäuden und inspirierenden Lebensräumen zu bereichern.