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Also wie jetzt, geerntet oder gelesen? Eine Kolumne von Hartmut Richter

Mit der Sonne im Herbst ist es so: Je weniger man von ihr sieht, desto besser kann man sie schmecken.Denn Traubenzucker ist Sonnenlicht, das die Natur in Geschmack verzaubert hat. Und der Mensch mit seiner Neugier und Kreativität hat gelernt, daraus wundervolle Sinnesfreuden zu schaffen. Den Wein.

 

Wein wird schon seit ein paar Tausend Jahren hergestellt. Schon vor 8000 Jahren wurde Wein in Mesopotamien gepresst, um ihn aus dem Most zu bereiten.Nach Deutschland kam der Weinbau im Wesentlichen vor über 2000 Jahren. Die Römer brachten Reben und ihr Wissen über Weinbau und Weinbereitung mit. Sie hatten wohl keine Lust mehr auf das Geschleppe von Amphoren voller Wein.Vermutlich dürfte auf dem Transportweg auch immer wieder so einiges verdunstet und die ein oder andere Amphore vom Karren gekullert sein. Im 8. Jahrhundert wurde durch Karl den Großen dann erstmals ernsthaft der Anbau von Wein, Weinbereitung und Verkauf geregelt.

Auch und gerade heute sind Anbau und Weinbereitung in ganz Europa stark geregelt, was natürlich zur Qualität beiträgt. Dass Regelungen auch hinderliche Stilblüten treiben, dürfte allerdings ebenfalls hinlänglich bekannt sein.Beispiel gefällig?„No Name“, ein wunderschöner Rotwein, eigentlich ein Barolo,denn die Trauben für diesen wunderschönen Wein stammen aus drei hochwertigen Lagen des Anbaugebietes Barolo nicht weit entfernt von dem Ort Barolo. Der Winzer Giacomo Borgogno hatte aber einfach keine Lust mehr darauf, seinen Wein bei 10 verschiedenen Behörden anmelden zu müssen,bevor er die Zulassung zum Verkauf bekommt. Also hat er ihn formal deklassiert und bietet eine wunderschönen, duftigen und würzigen Wein mit Eleganz und Tiefe unter dem Namen „No Name“ an. Gut gemacht!

 

Zurück zur Lese nach diesem kleinen Ausflug ins schwer Verständliche. Beginn der Weinlese ist in der Regel so Mitte September und zieht sich je nach Reife und Rebsorte, denn die einzelnen Sorten reifen unterschiedlich schnell, bis in den November. Eiswein, dieser rare edle Nektar, wird auch durchaus erst im Dezember geerntet. Martin Schwarz begann mit seiner Weinlese dieses Jahr im September mit Chardonnay, Pinot Noir und Müller Thurgau in Radebeul und Meißen.Also wie jetzt, geerntet oder gelesen? Bei Eiswein und andere Trauben für hochwertige Weinqualitäten werden die Trauben „gelesen“ und nach diesem Anschauen, dem optischen Lesen der Qualität dann geerntet. Wichtig ist nämlich z.B. ob die Beeren Fäulnis oder Schimmel aufweisen, weil die Zeit der Ernte zu feucht ist, kein Wind die Trauben am Stock trocknet, Insekten sich an die Trauben rangemacht haben und die Beerenhaut beschädigt ist. Zuviel Feuchtigkeit so kurz vor der Lese ist eine pure Katastrophe für den Winzer, genauso schlimm wie Spätfröste zum Beginn der Blüte oder Hagelschlag, der schon mal ganze Ernten vernichten kann in den Weinbergen, die es mit voller Wucht trifft. Dort wo Flächenanbau stattfindet, der Weinberg keine Steillage ist und keiner der besonders guten Topweine von dessen Trauben produziert werden soll, wird maschinell geerntet. Hier kommen sogenannte Vollernter zum Einsatz. Das geht schnell und effizient. Romantik hat da keinen Platz.

Hier wird dann umgangsprachlich eher nur geerntet.Wann aber wird denn überhaupt gelesen? Klar, wenn die Trauben reif sind. Und das stellt man dann sowohl optisch und physisch fest, aber vor allem eben analytisch/technisch.Technisch analysiert werden Eigenschaften wie z.B. Säure, Zucker,Phenole.Den Geschmack kann man leicht überprüfen, einfach essen, um das Verhältnis von Süße und Säure und Aroma zu beurteilen. Aber auch die Festigkeit der Beere und des Fruchtfleisches ist wichtig.

Um aber den genauen Zuckergehalt der Beeren zu bestimmen, die Traube ist das ganze Gehänge mit Beeren,Stilen, Stängeln, benutzt man Messgeräte wie den Refraktometer. Dieses wundersame „Fernrohr“,das natürlich keines ist, funktioniert denkbar einfach. Ein paar Tropfen werden auf die schräge Glasfläche gegeben, die nichts anderes ist als ein Prisma, die obere transparente Klappe geschlossen, so verteilt sich die Flüssigkeit gleichmäßig.Jetzt hält man das schräge Prisma ins Licht und kann beim Schauen durch das Okular an einer im Refraktometer befindlichen Skala den Zuckergehalt ablesen, gemessen wird dabei die Lichtbrechung der Flüssigkeit,der Winkel der Lichtbrechung ändert sich nämlich mit der Veränderung der Flüssigkeit. Das kann man auch mit nahezu allen anderen Flüssigkeiten machen, vom Honig bis zum Kfz-Schmiermittel.Angefangen wird die Lese nach einer durchschnittlichen Reifezeit von ca. 90 bis 120 Tagen i.d.R. mit dem früher reifen Müller-Thurgau, dann folgen Reben wie Weißburgunder und Grauburgunder, später dann der Spätburgunder, vorher allerdings noch der Frühburgunder. Der Riesling ist eine der später reifenden Rebsorten.

 

Viele Winzer freuen sich Übrigens über fleißige Helferhände in der Lesezeit. Und man bekommt ein gutes Gefühl für die wirklich anstrengende Arbeit im Weinberg. Einfach mal nachfragen.Spaß macht diese harte Arbeit nämlich auch.Wer mal bei einer Eisweinlese bei Frost vor Sonnenaufgang mitgemacht hat, kann übrigens die Erfahrung machen, daß die Natur das beste Sorbet der Welt herstellt. Aber es ist natürlich nicht gern gesehen, dieses rare Lesegut wegzunaschen. Aber so ein zwei Beerchen...

 

Aber zurück zur spätsommerlichen Herbststimmung. Die Beeren für höchstwertige Weine werden im Weingut nochmal auf einen Sortiertisch gelegt und die Beeren einzeln per Hand aussortiert,die Guten ins Töpfchen. Hiermit wird ausgeschlossen, dass auch nur ein kleiner Anteil z.B. durch Insektenfraß beschädigter und schon aromatisch negativ veränderter Beeren in den Herstellungsprozess gelangt. Und das kostet nun mal Geld. Danach geht’s in die Weinpresse,die Lese ist Geschichte für dieses Jahr und jetzt beginnt die spannendste Zeit des Kellermeisters.Und das Ende vom Lied? Genuss im Glas.

 

Und wen die Lust jetzt gepackt hat, der kann sich ja mal mit einem frühherbstlichen Weinausflug ein Super Wochenende bereiten. Manche Weingüter bieten eigene Zimmer an, aber kein Weindorf ohne Pension oder hübsches Hotel. Und ein Spaziergang durch Weinberge hat schon seine eigene Romantik.