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Editorial Winter 2013
Wenn ein Mensch stirbt, würde ich mir wünschen, dass alle, denen er so nah war, dass sie zur Trauerfeier kommen, vier Wochen offiziell frei haben. In den vier Wochen sollten sich die Verwandten und Freunde, Kollegen und Mitstreiter mit dem verstorbenem Menschen beschäftigen, seine Fotos betrachten, die Videos ansehen, seine Lieblingsmusik hören und sich intensiv mit seinem Leben befassen. Die Freunde und die Familie sollten sich treffen, Anekdoten erzählen, sich erinnern und Gespräche und Zitate rekapitulieren. Wer war er eigentlich? Mein Vater.
Was liebte der Mensch? Was dachte er? Was wollte er und was hat er erreicht? Mir geht das alles viel zu schnell vorbei.
Weil ich mich auf dem Friedhof nach der Beerdigung so lange nicht von seinem Sarg, also von ihm, trennen konnte, kam ich zuletzt zur anschließenden "Feier". Das war wie ein Film. Die vielen Leute saßen da, schwatzten, scherzten, waren laut, tranken, aßen und sprachen über alles, außer... So schnell geht es weiter. Einfach so. Als ob nichts gewesen wäre.
Schon der Sonnenaufgang am Tag nach seinem Tod war gemein herrlich gewesen - wunderschön, friedlich. So ungerecht! Wenigstens war der Himmel bei der Beerdigung grau und trüb und es fing kurz an zu regnen an seinem Grab.
Der Tod gehört zum Leben dazu, hat mein Vater immer gesagt. Was blieb ihm auch anderes übrig? Aber der Tod gehört nicht dazu! Er ist extra! Etwas ganz anderes! Etwas ganz Furchtbares! Etwas unfassbar Gemeines und Böses! Alles andere sind beschönigende Worte. Und schön ist da gar nichts. Absolut nichts! Ich war so sicher, er schafft es. Er hatte doch immer alles geschafft...
Als ich im Blumenladen das Gebinde für die Beerdigung aussuchen musste, konnte ich es nicht fassen. Eben hatte ich hier 60 Rosen für seinen 60. Geburtstag gekauft und jetzt, vier Jahre später, die gleichen roten Rosen für... Auf die Schleife schrieb ich: "Du bist nicht mehr dort, wo du warst, aber du bist dort, wo wir sind." Einen besseren Spruch habe ich nicht gefunden. Aber ganz richtig ist es nicht. Klar lebt viel in mir und seinen drei Enkeln weiter. Er und ich waren uns sehr ähnlich. "Waren" - wie das klingt. Aber ihn gibt es nicht mehr. Überhaupt nicht mehr. Nie mehr! Und das ist...
Jep, Papi! Ich hab dich lieb!
Deine Disy
PS: Vielen Dank an Professor Manfred Wirth, Direktor der Klinik und Poliklinik für Urologie, und sein Ärzte- und Schwesternteam, die ihn und uns in den sechs Jahren des zunehmenden Leidens, des Auf- und Ab zwischen Hoffnung und Verzweiflung, unterstützt haben. Die vor jeder finalen Wand doch noch eine Nebentür für ihn gefunden hatten - nur nicht am Schluss, da gab es wohl nichts mehr.