- 3504 Aufrufe
Editorial Herbst 2009
Auf wen können Sie sich denn richtig verlassen? Ganz ehrlich! Ich meine nicht nur die Familie, die in schlechten Zeiten für Sie da ist, die Sie auffängt, wenn Sie mal stolpern auf dem Lebensweg. Wenn Sie das haben – Glückwunsch! Doch eigentlich sollte das normal sein. Gerade jetzt, wo in turbulenten Zeiten alles „back to family“ geht, ist es Trend, Familie hoch zu halten.
Aber das meine ich nicht. Nicht nur. Sie kennen doch den Spruch: „Wenn du dich auf andere verlässt, bist du verlassen.“ So dramatisch würde ich es nicht formulieren. Aber diese vehemente Leichtigkeit, mit der fast alle heute ihre Zusagen nach dem eigenen Befinden, der Stimmung, dem Wetter oder der Weltlage nicht unbedingt nicht einhalten, aber ausdehnen in alle Richtungen, regt mich wirklich auf. Wer ruft denn heute noch um ein Uhr an, wenn er gesagt hat, er wird um ein Uhr anrufen? Ist es die zuverlässigste Person, die ich kenne, handelt es sich um eine maximale Toleranz von fünf bis zehn Minuten. Aber die meisten: halbe Stunde später, Stunde später, am nächsten Tag, überhaupt nicht. Ich verstehe es nicht. Die Ausreden sind meist nicht mal kreativ: Stress, viel los, anderer Anruf. Wenn wenigstens mal einer sagen würde: „Ich habe es vergessen.“ Oder: „Ich habe mich nicht getraut, weil ich noch keine Ergebnisse hatte.“ Oder: „Nur weil ich sage, ich rufe an, heißt das nicht, ich rufe an.“
Letzteres wird leider auf alle Lebens- und Geschäftsbereiche ausgedehnt. Zuspätkommen! Fast alle kommen zu spät – einige selten, andere immer. Sei es bei einigen Teil der Geschäftstaktik oder ein Klarstellen von Hierarchien, schlimm genug. Aber generell: Warum muss man denn zu spät kommen? Es ist unhöfl ich und unzuverlässig. Der andere hat doch nicht weniger Zeit- und Termindruck und hat sich den Zeitpunkt auch eingerichtet. Meiner Meinung nach hat das etwas mit Respekt zu tun.
Fast scheint es, als ob die für jeden erreichbare Freiheit, die Schnelllebigkeit, die Flexibilität und der rasant zunehmende Egoismus die Zuverlässigkeit verdrängt hat. Nur wenige denken daran, dass ihr Handeln einen oder meistens mehrere Menschen beeinfl usst und oft in ihrer Aktivität, ihrem Handeln, ihrem Leben einschränkt, bremst, behindert – auf jeden Fall für den anderen Unannehmlichkeiten oder Enttäuschungen bedeutet. Nicht gehaltenen Zusagen, gebrochenen Versprechen, verpasste Termine – mit Nonchalance und einem Lächeln wird das Handeln oder eben Nichthandeln abgetan als „Ich konnte doch nicht...“, „Wie sollte ich denn...“, „Ist doch normal…“ Nein, es ist eben nicht normal. Sonst hätte man es nicht zusagen sollen.
Wer nicht zuverlässig ist, der kann sich bald auf die anderen auch nicht mehr verlassen. Und: Schnell wird er nicht mehr ernst genommen.
Also, lassen Sie uns alle verbindlicher sein! Achten wir auf unsere Versprechen und zollen wir unseren Mitmenschen Respekt, indem sie sich auf uns und unsere Worte verlassen können.
Herzlichst
Ihre Anja K. Fließbach
PS: Nun halten Sie mir aber bitte nicht jedes Mal dieses Editorial unter die Nase, falls ich mal zu spät kommen sollte. Es könnte ja wirklich mal Stau sein …