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35. Beitrag: "Er wartete auf der Osterinsel" (5. Februar)
Er stand am Strand. Sein langes Haar wehte im Wind und sein Blick war ruhig und freundlich. Katipare hatte auf uns gewartet. Er konnte nicht wissen, dass wir kommen. Seit zwei Jahren hatte er nichts von uns gehört. Aber er wartete an der Stelle, an der er uns vor zwei Jahren von der Osterinsel verabschiedet hatte...
Schon bei unserem ersten Besuch gruselte es mich auf der Osterinsel etwas. Es war nicht unangenehm. Eher spannungsgeladen, eigenartig, mystisch. Diffuses Sonnenlicht, ein wenig Nebel und warmer Regen, der ohne Wolken auftaucht und wieder geht. Mal heult der Wind, dann spannende Stille. Die Osterinsel ist der Flecken Erde, der am weitesten von allen anderen bewohnten Orten entfernt ist. Wir sind von Chile (dort wird das Eiland verwaltet) 3765 km weit weg. Die Insel, die der Holländer Jacob van Roggeveen 1722 an einem Ostersonntag entdeckt hat, ist 166qkm groß und dreieckig. An jeder Ecke steht ein Vulkan. Bis heute ist vieles aus der Geschichte der Osterinsel ein Geheimnis. Die Figuren ("Das sind keine Steinfiguren, Oma. Das sind Moais", verbesserte Louisa ihre Oma am Telefon.) sind bis 20m hoch und bis zu 250 Tonnen schwer. Es gibt viele Erklärungen und Deutungen über die Entstehung, den Sinn und den plötzlichen Abbruch der Arbeiten an den Moais. Eben mystisch.
So wie Katipare bei unserer Ankunft vor uns stand. Nun, bei knapp 4000 Bewohnern auf der Insel konnte es auch Zufall sein. Aber es war kein Zufall. So wie es kein Zufall war, dass alle Verabredungen an diesem Tag mit Freunden zum Landgang nicht geklappt hatte. Louisa und ich haben einen nach dem anderen auf eigenartige Weise verfehlt. So dass wir erst viel später als alle anderen die "MS Amadea" verließen, um an Land zu gehen und genau dann den jungen Mann trafen, der auf der Osterinsel geboren wurde, in Deutschland gelernt hatte und sich freute, uns wieder zu sehen. Wie selbstverständlich nahmen wir uns ein Taxi und fuhren zu dritt zu den schönsten Plätzen der Insel. Es war eine entspannte Tour, denn wir hatten alles Wichtige schon vor zwei Jahren gesehen. Also saßen wir viel auf den Wiesen der Insel mit den schönsten Ausblicken und genossen eine sanfte Vertrautheit und das Gänsehautgefühl beim Anblick der Moais, des sich wandelnden Lichtes, der geheimnisvoll funkelnden Wellen, der plötzlich heranstürmenden wilden Pferde, der Hunde, die friedlich um uns herum liefen. Katipare erzählte Legenden von Rapa Nui, wie seine Vorfahren, die Ureinwohner, die Insel nannten. "Das bedeutet großer Flecken", erklärt Katipare. Man sagt auch Te Pito o te Henua – der Nabel der Welt. Polynesische Seefahrer sollen die ersten Menschen hier gewesen sein und waren dann Jahrhunderte lang isoliert.
"Unsere Ahnen beschützen uns noch heute", erklärt Katipare und deutet auf die Moais vor uns. "Jeder ist ein Portrait eines Stammeshäuptlings, der gestorben ist und nun wachsam die Insel im Blick hat." Meine Gänsehaut verstärkt sich. Stimmt, alle Moais schauen zur Inselmitte. Insgesamt gibt es rund 600 Steinfiguren auf der Insel, 400 liegen noch unfertig im Steinbruch am Hang des Vulkankraters Rano Raraku. "Warum haben die Menschen plötzlich aufgehört, die Moais weiter zu bauen?", frage ich Katipare nach der Version der Ureinwohner selbst. Vor ein paar Jahren hatte ich mich einmal mit Erich von Däniken bei seinem Besuch in Dresden über die Osterinsel unterhalten. Er spekuliert, dass Außerirdische die Moais gebaut haben könnten und plötzlich abreisen mussten.
Katipare erzählt von Überbevölkerung, ausgehenden Naturressourcen und Kriegen. Apokalypse auf Rapa Nui. Die Lebensbedingungen schwanden und jeder kämpfte um sein Überleben. "Ein Stamm kippte die Moais des anderen Stammes um und zerstörte sie", so Katipare. "Als James Cook 1774 hier ankam, stand kein Moai mehr aufrecht an seinem Platz."
Louisa sitzt neben uns im Gras und lauscht Katipares Geschichten, die er mit einem harten Akzent, aber in gutem Deutsch erzählt.
Die Seefahrer brachten Viren und Keime auf die Insel, die die Bewohner nicht kannten. Viele starben an Schnupfen und anderen Krankheiten. Gab es 1722 noch etwa 20.000 Menschen auf Rapa Nui, war die Insel 150 Jahre später bis auf 100 Einwohner fast ausgestorben. Das lag auch an Sklavenhändlern und Seeleuten aus Amerika und Europa, die die Insulaner ermordeten oder verschleppten. Eine schlimme Geschichte. Vielleicht ist es auch ein Hauch des Leidens, der über der Insel liegt. Vermischt mit Hoffnung und Frieden.
"Habt ihr heute chilenische Pässe?", frage ich Katipare. Seit 1888 gehört die Osterinsel zu dem südamerikanischen Staat, aus dem wir mit der "MS Amadea" gerade kommen. Der schöne Mann erzählt, dass die Einwohner erst seit 40 Jahren eigene Ausweise haben und die Insel verlassen dürfen. "Drei Mal im Jahr fliege ich in den Urlaub. Auf andere Inseln oder nach Chile", verrät er. Die Landebahn des Flughafens auf Rapa Nui übrigens ist ungewöhnlich lang, weil sie als Ausweichbahn für das Space Shuttle umgebaut wurde. Offensichtlich haben die Amerikaner die gleichen logistischen Überlegungen angestellt wie Erich von Dänikens Außerirdische.
Auf dem Rückweg zeigt uns Katipare die Vorbereitungen für die morgigen Feierlichkeiten. Das Tapati-Fest beginnt jedes Jahr am 1. Februar mit Tänzen, Wettkämpfen und der Krönung einer Königin in einer Mondscheinzeremonie unter der Beobachtung der Moais. "Bleibt doch da", schlägt Katipare vor und weiß, dass die "MS Amadea" in einer Stunde ausläuft. Ich liebe dieses Schiff. So sicher und ruhig. Nein, vom Gänsehautfeeling habe ich genug.
Katipare küsst uns herzlich zum Abschied. "Bis in zwei Jahren spätestens", scherze ich. "Zeit spielt keine Rolle", sagt er und steht wieder an der Stelle, wo er uns entgegensah. An der Stelle, wo er uns damals verabschiedete. An der Stelle, wo er beim nächsten Mal auf uns warten wird. Er wird wissen, wann wir kommen. Als das Tenderboot mit uns ablegt sehen wir ihn stehen und seine langen Haare wehen im Wind.
Musik für die Stimmung: Chris de Burgh, Album: "The Road to Freedom", Titel: "When Winter Comes"
Anja Fließbach: Montag, 5 Februar 2007, 23:52 Uhr
Kommentare zum 35. Beitrag
Der Typ mit der Keule und dem Zopf ist ja heiß. Wie immer tolle Fotos, Anja. Das Gänsehautgefühl kann man direkt nachvollziehen. Die Kommentare auf deine Artikel "Meine vielen Männer" nicht. Mensch Mädels, seid doch nicht so frustriert. Anja selbst ist es nicht. Also was regt ihr euch über die bösen Menschen auf? Anja nimmt es auch mit Humor. Habt ihr den nicht? Sascha
Kommentiert von: Sascha | Dienstag, 6 Februar 2007, 6:37 Uhr
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(Letzte Aktualisierung: 18.02.2007)