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19. Beitrag: "Leidenschaft in Buenos Aires" (16. Januar)

Mit Schwung nahm er mein Knie und zog mich dicht an sich heran. Sein Gesicht war nah an meinem, unsere Nasen berührten sich und er schaute mir tief in die Augen. Er hatte schöne Augen. Solche, die mein anderes Knie auch noch zum Wackeln brachten. Ja, dieser Augenblick war eine Weltreise wert...

Wir waren mit der "MS Amadea" in Buenos Aires gelandet, der Stadt des Tango und der Leidenschaft, der schönen Männer und eleganten Frauen, der breiten Avenidas und monumentalen Bauten. Ich hatte durch meinen Beruf schon viele interessante Orte gesehen, schöne Städte, imposante Landschaften. Doch es gab drei oder vier Highlights auf der Welt, die besonders waren. Buenos Aires war für mich ein solcher Höhepunkt. Die Stadt hatte Feuer, Leidenschaft, Energie, Rhythmus, so wie der Tanz.
Mehr als 13 Millionen Menschen wohnen im Großraum Buenos Aires. Direkt in der argentinischen Hauptstadt leben drei Millionen. Wir spazieren auf der breitesten Straße der Welt (breiter als ein Fußballfeld lang ist), der Avenida 9 de Julio, laufen über schattige Avenidas und durchs bunte Künstlerviertel La Boca. In dem alten Hafenviertel hatte einst der Maler Benito Quinquela Martin die Bewohner überzeugt, ihre grauen Häuser aus Schiffsblech mit farbigem Lack zu überziehen. Deshalb leuchten die Häuser heute knallig, steht ein rotes neben einem sonnengelben Haus, eine pinkfarbene Hütte neben einer smaragdgrünen. "Wie eine bunte Blumenwiese" meint meine Tochter.

Hier war es auch, wo mir Antonio begegnete. Jener schöne Mann, den es sonst nur in Filmen gab. Der einen ansieht und dahin schmelzen lässt. Obwohl es nur ein paar Minuten waren, ein kurzer angedeuteter Tanz – diese Nähe, diese Magie, diese Leidenschaft hatte ich schon damals bei den argentinischen Männern verspürt und dieses Mal wieder. Sie hatten nicht die Kühle der Deutschen oder das Aufdringliche der Brasilianer. Sie waren sanft, charmant, anerkennend, verehrend, stilvoll und unglaublich sinnlich. Natürlich gab es auch die entsprechenden Frauen in Buenos Aires in sexy Tango-Kleidern, mit hohen Schuhen und dunklem Haar. Louisa lacht: "Es sah aus, als wollte er dich küssen." Ich winke ab: "Das denkst du nur."

Eigentlich haben wir nicht mehr viel Zeit, weil unsere Freundin Anke heute nach Hause fliegen muss. Aber diese Stadt ist zu schön, um sich zu beeilen. Wir zeigen Anke unsere Lieblingsecken, sitzen in Straßencafés und schauen den Menschen  zu, die in bunten Kleidern auf der Straße Tango tanzen. Schwupp. Werden wir herumgewirbelt. Zack. Zack. Aus jedem Laden, aus jedem Restaurant, auf jeder Straße ertönt Musik.
In einem Hotel bitte ich den Concierge uns einen Fahrer zu organisieren, der Englisch spricht. Der Concierge ist ein schöner älterer Mann. Der Fahrer, der uns abholt, ist auch schön. Und jung. "Buenos Aires braucht bestimmt noch ein gutes Magazin", sage ich zu meiner Freundin Anke im Auto mit Blick auf den Fahrer. Anke lacht: "Stimmt." Und in unserer Redaktion würden wir nur Männer beschäftigen…

Daniel, der mit dem zweiten Namen ausgerechnet Juan heißt, fährt uns zum Stadion "Bonbonera" (übersetzt: Pralinenschachtel). "Hier hat Diego Maradona bei den Boca Juniors seine Weltkarriere begonnen“, so Daniel. Die Tribünen sind extrem steil und sehen wirklich aus wie eine Schachtel. Danach fährt Daniel mit uns durch die Stadtteile Recoleta und Palermo. "Als es im Süden der Stadt im 19. Jahrhundert eine Gelbfieber-Seuche gab, zogen die Reichen hier her nach Norden." Dort sind sie jetzt noch. Wir sehen teure Autos und Designer-Boutiquen. Wir halten beim "Cementerio de la Recoleta", dem Friedhof mit dem schlichten Grab von Evita Perón. Ich versuche zu verhindern, dass Louisas Blick auf die freizügigen Nachtlokale und Etablissements gleich neben dem Friedhof fällt und erzähle ihr Evitas Geschichte. "Sie war eine arme Tänzerin und verliebte sich in den späteren Chef des Landes, Juan Domingo Perón. Plötzlich war sie reich und tat mit dem Geld viel für arme Menschen. Bevor sie starb sagte sie zu ihrem Volk, dass es nicht um sie weinen soll." Prompt stimmt Daniel das Lied "Weine nicht um mich, Argentinien" an und schüttelt kaum merklich den Kopf.

Statt einer Erklärung fährt er uns zum berühmten Balkon von Evitas letzter Ansprache. Ein heruntergekommenes, graues Hochhaus mitten auf einer Hauptstraße. Kein Glanz. Kein Hauch von Nostalgie. "Wir hatten seit 1930 fünf Militär-Diktaturen", so Daniel leise. "Immer, auch unter Perón, wurden Kritiker unterdrückt und verschleppt." Noch heute demonstrieren die Menschen auf dem "Plaza de Mayo" jede Woche vor dem Präsidentenpalast, um etwas über die verschwundenen Angehörigen und Freunde zu erfahren. Seit 1983 hat Argentinien eine Demokratie. "Bei uns gibt es immer Krisen im Land. Wir haben gerade nur eine Ruhepause", so der Einheimische. "Habt ihr Hunger?", will Daniel wissen. Klar, wenn wir nur nicht Ankes Flugzeug verpassen würden. Noch von unserem letzten Besuch kennen wir das Restaurant "Caballeria" in Puerto Madero. Auf der Karte steht natürlich "Rind". In der Pampa von Argentinien weiden 50 Millionen Rinder. Deutschland ist der größte Absatzmarkt für argentinisches Rindfleisch in Europa.

"Es leben viele Deutsche bei uns", weiß der Fahrer. Rund eine Million Deutsche und Deutschstämmige sind in Argentinien gemeldet. Erst waren die Deutschen vor Bismarcks Gesetzen hier her geflohen, dann wegen der Wirtschaftskrise der 20er Jahre, später flohen Juden vor Hitler nach Argentinien und nach dem Krieg die Ex-Nazis und viele ihrer Anhänger.
Argentinien ist ein interessantes Land, Buenos Aires so eine schöne Stadt. Ich könnte Daniel noch lange zuhören, die Menschen beobachten, die Häuser bestaunen. Aber wir müssen zum Schiff, Ankes Gepäck holen und uns von ihr verabschieden.

Autorin: Anja Fließbach
(Geschrieben am Dienstag, dem 16. Januar 2007, 2:39 Uhr)

Kommentare zum 19. Beitrag

Hallo Frau Fließbach!
Als alter Seebär bin ich durch eine liebe Freundin auf diesen weblog aufmerksam geworden. Ihr Erzählstill gefällt mir deshalb so gut, weil ich mit dieser Dame vor vielen Jahren eine ähnliche Weltreise erleben durfte, die durch Ihre authentischen Darstellungen und Erzählungen wie ein Film an uns beiden noch einmal vorbei fahren darf. Bei Ihren natürlichen Beschreibungen ist Ihnen zwar beim letzten Artikel einwenig der argentinische Hengst durch gegangen aber sicherlich nicht das argentinische Lebensgefühl. Tango, Tango und nochmals Tango! Ihre klaren Beschreibungen und so manche emotionale Empfindung läst einen auf eine charmante und persönliche Art teilhaben. Ich freue mich schon auf Ihren nächsten Bericht. Liebe Grüße auch an ihre Tochter Louisa.

Kommentiert von: Jo | Freitag, 19 Januar 2007, 13:05 Uhr

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(Letzte Aktualisierung: 22.01.2007)