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121. Beitrag: "Dessous in Abu Dhabi" (15. Mai)

Wir trafen Hilde im Hafen von Abu Dhabi. Hilde lebte seit ihrer Hochzeit vor 40 Jahren in der "Gartenstadt am Golf". Sie hatte einen Araber geheiratet, hatte zwei Kinder von ihm bekommen und hatte nach der Hochzeit keine Wahl mehr gehabt...

Weder den Wohnort betreffend, noch das eigene Leben. "Der Mann bestimmt über das Leben der Frau", erklärte Hilde und lachte über die Einwände und alles, was wir über die modernen Frauen in arabischen Ländern gehört hatten. "In Dubai vielleicht", sagte sie. "Dubai gilt auch als die Sündenstadt Arabiens." Die Männer wären die Autoritäten. Sie bestimmen den Grad der Verschleierung der Frau, die Schulbildung der Kinder, die Lebensweise der Familie. Für Hilde war das besonders am Anfang  sehr schwer. "In den ersten Jahren am Golf habe ich gelitten wie ein Tier", sagte sie frei heraus. "Auch diese Hitze im Sommer mit über 50 Grad konnte ich nicht ertragen. Wir hatten keine Klimaanlage. Es war furchtbar."
Heute geht es Hilde gut und sie lebt inzwischen im reichsten Land der Vereinigten Arabischen Emirate, das mit 73.000 qkm und mit 86 Prozent der Gesamtfläche das größte des Landes ist. Seit den Ölfunden entwickelte sich das Dorf zu einer Wirtschaftsmetropole, deren Skyline mich an Shanghai oder Tokio erinnerte. Wieder viele Baustellen, wieder imposante Wolkenkratzer aus Glas und Stahl, wieder künstliche Inseln auf denen moderne Shoppingcenter entstehen und Freizeitanlagen. „Die Inseln werden aus dem Schutt abgerissener Häuser angelegt“, erklärt Hilde und erzählt von einem Gesetz, das alle Häuser, die älter als 30 Jahre sind und eine gewisses Höhenmaß unterschreiten, abgerissen werden müssen. Abu Dhabi will neu und modern in den Himmel wachsen.
Mitten im Hochhausdschungel zeigt uns Hilde den ehemaligen Herrschersitz der regierenden Al-Nahyan-Familie, ein Fort, das den Ursprung des Landes darstellt. Abu Dhabi heißt übersetzt "Vater der Gazelle" und die Legende erzählt, das Jäger aus Liwa eine Gazelle jagten, diese bis zum Meer floh und genau hier ein Wasserloch mit einer Süßwasserquelle fand, um das die Menschen eine Siedlung errichteten - heute Abu Dhabi.
Wir fahren an der sechs Kilometer langen Uferpromenade, der Corniche entlang, und Hilde zeigt uns Luxushotels wie das Sheraton und das Hilton, weist uns auf die 20 Gärten und Parks der Stadt hin, von denen einer nur für Familien geöffnet ist und einer nur für Frauen und Kinder, sie zeigt uns die Dhau - Werft (Dhaus sind arabische Boote) und den Fischmarkt. "Bitte nicht!", ruft mein Kind aus, hält sich demonstrativ die Nase zu und verdreht die Augen. Mit den Fischmärkten haben wir es wohl auf dieser Weltreise etwas übertrieben.
Hilde erzählt uns vom Öl. Nicht Oman, Dubai oder Qatar sind die wirklichen Öl-Nutznießer. Abu Dhabi führt die Rangliste an. Seit in den 60er-Jahren Erdöl entdeckt wurde, stieg die Zahl der Einwohner von 5000 auf heute eine Million. Trotz des Reichtums, der modernen Glaspaläste und der City, die an die amerikanischen oder asiatischen Metropolen erinnert, ist Abu Dhabi eines der traditionellsten der sieben Emirate. "Der Tourismus entwickelt sich hier langsamer, Ausländer haben es nicht leicht", so Hilde. Im Gegensatz zu den Einheimischen, die auch hier Häuser geschenkt bekommen, bei Krankheit kostenlos mit der Verwandtschaft zur Behandlung ins Ausland geschickt werden oder bei Problemen auf Hilfe und Geschenke vom Sheikh vertrauen können, müssen Ausländer hart für das teuer gewordene Leben arbeiten. "So viele Menschen denken, die Golfstaaten wären ein finanzielles Schlaraffenland", so Hilde. "Das ist gilt nur für die, die hier geboren sind." Es geht bei der teuren medizinischen Versorgung los und endet damit, dass Ausländer das Land verlassen müssen, wenn sie keine Arbeit mehr haben, eine (auch kleine) Straftat begehen oder wenn sie 65 Jahre alt werden. Alt und arm wird nicht akzeptiert in Abu Dhabi. "Den Einheimischen wird in solchen Fällen immer mit Geschenken geholfen", beschwert sich Hilde ein wenig. "Wir haben unser ganzes Leben hier verbracht und wenn wir alt sind, müssen wir gehen." Eine Lösung gibt es inzwischen: Wenn die Ausländer Immobilienbesitz erwerben, dürfen sie auch im Alter bleiben. "Aber das gilt nur, wenn man bei bestimmten Firmen kauft", meint Hilde, hebt die Schultern und ihr Blick drückt aus: "Was soll man dazu sagen."
Die Worte fehlen mir auch, als sie uns zu Abu Dhabis neuestem Hotel- und Kongresscenter bringt, dem Emirates Palace. "Hier treffen sich die Herrscher der Emirate zu ihren Meetings", erklärt die Deutsche. Auf 100 Hektar wurde das 800 Meter lange Bauwerk errichtet und mit 114 Mosaikkuppeln verziert (die größte hat einen Durchmesser von 42 Metern). Drinnen sollen goldene Decken und über 100 Kronenleuchter aus Kristall die Marmorhallen, prächtigen Suiten und Restaurants schmücken.
Angeblich soll man doch in den Emiraten gut shoppen können. Wir fahren zur Abu Dhabi Mall, mit 250 Geschäften, Kino und 40 Restaurants das größte Einkaufszentrum der Stadt. Wir sehen tief verschleierte Frauen, die sich in den Nobelgeschäften teure Markenuhren und Taschen kaufen. Wir sehen aber auch zwei Dessous-Geschäfte, die zwar verhalten, aber doch offensichtlich mit ihren Produkten im Schaufenster werben. Ein Geschäft interessiert mich besonders: Auf langen Regalen hängen die schwarzen Kleider und Tücher für die arabischen Frauen und ich bin erstaunt, mit wie vielen Stickereien, Glitzersteinen und unauffälligen Applikationen die auf den ersten Blick gleich erscheinenden Schleier verziert sind.
Hilde ist wirklich traurig, als wir uns von ihr verabschieden. "Ich würde gern noch so viel erzählen", sagt sie. Die Zeit war zu kurz und Internet oder Handy für eine Fortführung der interessanten Gespräche hat sie nicht. "Mein Mann ist traditionell. Du kannst ihm ein Fax schicken und er gibt es mir dann", schlägt sie vor. Wir umarmen sie zum Abschied und gehen über die Gangway zur "MS Amadea" hinauf wie über eine Brücke zwischen verschiedenen Welten.
Morgen: Mein Essen mit den Kapitän; Übermorgen: Salalah, das Land des Weihrauchs
Spruch des Tages: Was hilft mir die Weite des Weltalls, wenn meine Schuhe zu klein sind.

Musiktipp zur Stimmung: Norah Jones, "Don´t know why"
Anja Fließbach: Dienstag, 15 Mai 2007, 23:29 Uhr