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111. Beitrag: "Die Rückkehr" (4. Mai)

Sie winkten mit ihren großen Panamahüten. Louisa und ich saßen schon im Doppelstockbus ganz vorn. Ich deutete auf meine Uhr, malte mit dem Zeigefinger schnelle Kreise darauf und hob theatralisch die Schultern. Wo war sie hin - die Zeit? Ilona und Rainer Wälde hoben auch die Schultern und wir winkten so lange wir uns noch sehen konnten...

Louisa und ich saßen still nebeneinander. Wie betäubt. Müde, geschafft, kaputt und traurig. Aus dem Wirbel des Abschieds und der Hektik des Gepäcktransportes heraus überkam uns die Ruhe wie ein Hammer. Das mit den Koffern war noch ein mächtiger Akt gewesen. Wir schickten unsere sechs Gepäckstücke zwar mit Tefra, einer Firma, die uns die Koffer von der Haustür bis zur Haustür brachten, aber Haustür hieß in unserem Fall offensichtlich Hafenterminal - Ausgang. Die Leute vom Schiff hatten die Koffer in der Nacht in eine große Halle bringen lassen, wo wir sie identifizieren sollten und durch den Zoll bringen. Zwar hatte ich unser Gepäck gefunden, aber ich konnte nicht allein unser Handgepäck, mein Kind und sechs große Koffer bzw. Kisten transportieren. Kein Mensch war weit und breit und die Busabfahrtszeit stand fest. Endlich kam Künstlerchef Steven mit einem Techniker vorbei . Sie waren nicht gerade begeistert als sie unser Gepäck sahen – aber sie packten mit an. Kurz vorm Ausgang trafen wir dann endlich einen von den Reiseleitern - Serdal. Doch statt mit anzupacken, hatte er nur für den Helfer Steven einen dummen Spruch: "Na, bist du jetzt zum Partner geworden?" Was war nur los mit diesen Reiseleitern? Außer Manuela und Jean - Jacques hatte keiner von ihnen den Service - Gedanken verstanden. Wenn Phoenix das noch in den Griff bekommen würde, dann standen der "Amadea" alle Sphären des Kreuzfahrthimmels offen. Es war so ein schönes Schiff.
Ein Schiff, von dem wir jetzt Abschied nehmen mussten. Es war schön, dass wir Ilona und Rainer Wälde noch am Bus getroffen hatten und dass sie uns zum Abschied winkten. Wir winkten den beiden Freunden und danach unserer Amadea. Ein letzter Blick, eine Kurve und vor uns lag die Autobahn.
Bis Österreich saß ich wie betäubt da, unfähig Musik zu hören. Dann ging nur etwas Hartes und ich wählte die Toten Hosen. Doch als die dann "Ich bin zu alt für Popmusik" sangen, bezog ich alles auf mein Leben und fühlte mich ein wenig elend (Textauszug unten). Schiff Adé? Schulalltag mit Kind, morgens ins Büro, Brote schmieren am Abend, Bügeln vor dem Fernseher - statt Aufstehen mit Blick auf die Skyline von Shanghai, Zähneputzen auf dem Balkon in Singapur, Lieder singen am Strand von Saipan, Kirchenbesuch am Sonntag auf Tahiti, Champagnertrinken im Regen auf Bora Bora oder mit dem Porsche durch Dubai brausen? So sollte es wohl sein!

Es war eine schöne Fahrt mit dem Bus, herrlicher Sonnenschein, blauer Himmel und ein gemütlicher Platz. Ich erfuhr, dass wir in München übernachten würden und besann mich auf einen alten Freund von unserer ersten Weltreise auf der Astor. Ich rief Stefan vom Handy an (das zeigte übrigens noch den 1. Januar an und brauchte eine Weile nach vier Monaten Pause bis es sich an seine Funktionen erinnerte) und wir verabredeten uns spontan zum Essen. Und so war unser erster Gesprächspartner in Deutschland ein  alter Kreuzfahrtprofi, der sich meine Geschichten gern anhörte und nachvollziehen konnte. Es war ein Freund von der ersten Weltreise, der spontan für uns da war. Würde es vielleicht mit den Freunden dieser Weltreise auch so werden?
Den ersten Tag im Bus hatte ich viel zurück auf die Reise gesehen, den zweiten Tag richtete ich meinen Blick nach vorn und machte Pläne. Es war wieder ein sonniger Tag, wir fuhren durch die schöne bayrische Landschaft und ich war guter Stimmung. Louisa auch. Wieder spontan rief ich meine Freundin Doreen in Leipzig an. "Wir sind in zwei Stunden in eurer Stadt, hast du Zeit?" Und obwohl ich mich während der ganzen Weltreise nicht ein einziges Mal bei ihr gemeldet hatte, war das Wiedersehen am Busbahnhof in Leipzig herzlich. Es war schön, dass uns Jemand abholte. Auch die Kinder hüpften aufgeregt herum und lagen sich immer wieder in den Armen. "Ich dachte mir, dass du abgeschaltet hast", sagte Doreen und hatte volles Verständnis, dass ich viereinhalb Monate nichts hatte von mir hören lassen.
Als die Kinder sich auf dem Spielplatz austobten, erfuhr ich, dass das Leben hier ohne mich sehr wohl weiter gegangen war. "Ich habe jetzt einen Mann", erklärte Doreen, die mit mir über Jahre hinweg das Single - Dasein zelebriert hatte. "Unsere Wohnung ist gekündigt, wir ziehen in sein Haus, ich habe noch zwei Kinder dazu bekommen und esse jetzt regelmäßig fünf Mahlzeiten am Tag." Ich bat sie, auf "Reset" zu drücken, und alles noch mal langsam zu erzählen. Allerdings brachte meine Methode nichts, die Tatsachen blieben auch in der Wiederholung die selben. Und ich hatte gedacht, ich hätte viel erlebt und mich verändert...
Irgendwie musste ich noch von Leipzig nach Dresden kommen und wieder rief ich spontan einen Freund an. Es war ein wirklich schönes Gefühl, zu spüren, dass hier auch Leute waren, die mich gern hatten. Irgendwie hatte ich das aus der Selbstverständlichkeit heraus vor der Reise nicht so bewusst geschätzt. Der Freund holte uns wirklich  in Leipzig ab (70 km etnfernt) gab uns im Auto ein Update über Dresden, sein Leben und das Leben gemeinsamer Bekannter. Wahnsinn! Da waren ja Dinge passiert. Ähnlich wie bei Doreen hatte es bei mehreren gravierende Veränderungen gegeben. Das Leben an Land war offensichtlich doch nicht so langweilig wie ich es mir manchmal schwarz malte.
Als ich dann in meiner Wohnung stand und anfing, die Koffer auszupacken, überfiel mich ein Gefühl der Einsamkeit. Diese Ruhe machte mich kirre. Kein Meeresrauschen, kein Summen der Klimaanlagen, keine Schiffsbewegungen oder Lautsprecherdurchsagen. Doch was das Schlimmste war: Keinen Plan. Unter meiner Tür hatte keiner einen Tagesplan durchgeschoben, wo drauf stand, wo wir wann sein sollten und wann es Abendessen gab. Abendessen. Ähm, tja. Der Kühlschrank war zwar blütenweiss und sauber. Ein schöner Kühlschrank. Und wie er da so leer vor mir stand, sah ich das erste Mal wie groß er eigentlich war. Groß und leer.
Also klingelte ich an der Tür meiner Mutti, wo mein Kind schon mit dem kleinen Hund Dana spielte, den sie so vermisst hatte. Und was so eine richtige Oma ist, hatte sie eine Lösung gegen den Hunger und vorerst auch gegen die Einsamkeit.

Titel: "Popmusik", Die Toten Hosen, Album "Nur zu Besuch - unplugged."
Zitat:
"Es musste ja mal irgendwann so komm´, heut ist der Tag, es ist so weit. Nimm´s nicht so schwer, auch wenn´s weh tut. Alles hat seine Zeit. Es ist vorbei, du musst erkennen, es ist vorbei, mach dich nicht verrückt. Sieh der Tatsache ins Auge, du bist zu alt für Pomusik."
Zu alt für das freie Leben. Alt genug für Alltag und Schulkind? .

Anja Fließbach: Freitag, 4 Mai 2007, 22:57 Uhr