• 3193 Aufrufe

108. Beitrag: "Ein Blick in die Zukunft" (30. April)

Ich habe einen Blick in die Zukunft erhascht. Eigentlich wollte ich nur Christian und Dwayne, die sich mit Freunden treffen wollten, eine DVD zurück bringen. Davon abgesehen, dass sich in der Atlantik-Lounge zur selben Zeit fünf verschiedene Christians der Amadea aufhielten, fand auch eine Party statt. Ohne mich. Dabei bin ich noch hier – aber die, die bleiben, haben sich schon neu orientiert. Es geht weiter. Nach uns...
Es war ein eigenartiges Bild und es war sehr lehrreich. Die Atlantik - Showlounge besteht aus zwei Etagen. Unten ist die Bühne und Tanzfläche, oben die Empore. Ich  war über Deck 7 herein gekommen, stand unbeobachtet auf der Empore und konnte aus dem Dunkel heraus das Geschehen unten beobachten. Es hatte etwas Makaberes. Als wäre ich tot und würde vom Himmel auf die Erde blicken. Ihr Lieben, macht euch keine Illusionen. Es geht einfach weiter, wenn man weg ist. Trauer bei wenigen Menschen, Bedauern bei einigen, Gleichgültigkeit bei den meisten, Routine bei vielen, Selbstschutz bei den einen und Erfahrung bei den anderen, bei manchen Leuten auch Erleichterung. Das ist die Quintessenz aus viereinhalb Monaten Interaktion mit Menschen, denen man 24 Stunden täglich nahe ist. Es bleibt nicht viel nach einem. Es geht weiter.
Ich muss dazu sagen, Künstlerchef Steven hatte die Party für seine Leute und Freunde organisiert, die alle zur Crew oder zum Staff gehörten. Klar waren das da unten meine Kumpels, Freunde und Bekannten - aber ich gehörte nicht wirklich dazu. Ich war ein Passagier! Ich hatte immer auf die andere Seite gehört, so wie ich im Leben oft gerade auf die andere Seite gehörte. Die Passagiere sahen das übrigens ähnlich. In meinem Alter, befreundet mit der Crew, den Offizieren und Köchen, allein mit Kind - ich gehörte auch nicht wirklich in ihre Reihen. Nun, das war ein Dilemma an das ich mich mehr oder weniger gewöhnt hatte. Der Optimist würde behaupten, ich hätte großes Glück gehabt, weil ich ein bisschen auch auf beide Seiten gehörte. Aber manchmal hatte ich mich auch ein wenig einsam gefühlt. Offensichtlich hatte aber auch das Schiffsleben als solches trotz der ständigen Nähe zu vielen Menschen, trotz der vielen Gespräche, dem ständig "präsent sein müssen", dem Programm und der Aktion und bei den Crewmitgliedern des hohen Arbeitspensums diese gewisse Komponente der Einsamkeit. Warum sonst, außer den bekannten menschlichen Bedürfnissen, gingen die Menschen auf Schiffen Beziehungen ein, die nur einem Zweck dienten: Nicht allein zu sein. Beziehung führen mit dem Wissen, dass es nur dem Augenblick dient und mit dem Urlaub des Einen oder dem Ende des Vertrages des anderen zu Ende ist? Ich war halt doch eine "Landratte" und würde mich an diese Denk- und Handlungsweise nie gewöhnen. Und ich war froh, dass ich keinem der Menschen da unten beziehungstechnisch so nah war, dass es mich sehr verletzen konnte. Wenngleich ich auch meine Freunde ungern mit meinen "Nachfolgern" sah.
Ich hätte da auch nicht stehen bleiben sollen, da auf der Empore. Ein bisschen war es, als würde ich etwas Verbotenes tun. Was Quatsch war, denn es war ein öffentlicher Bereich für die Passagiere.
Aber was ist schon so eine Party. Ich habe sie um ein Uhr nachts beobachtet und es wurde noch nicht mal getanzt. Während ich das schreibe relativiert sich das Bild auch schon wieder, weil ich lachen muss. Manchmal bin ich wirklich wie ein kleines Kind. Oder wie die dreizehnte Fee. Die Amadea als verwunschenes Schloss - aber wer ist die schlafende Prinzessin und wer der rettende Königsohn? Die zuverlässigen Helden sind rar. Der Pessimist würde sagen: "Es gibt sie nicht mehr." Der Optimist: "Irgendwo wird schon einer hocken." Auf einem Schiff sind sie nicht und die mit dem Pferd, die vorbei kommen, das Schiff bzw.Schloss aufwecken und die Prinzessin mit sich nehmen, die gab es wohl noch nicht einmal früher.
Aber zurück zu dem Bild von der Empore. Da waren sie nun - meine... Tja was? Ich schreibe es trotzdem noch mal wie oben: Kumpels, Freunde und Bekannten. Bekannte ist ein weiter Begriff. Sandra war da, Sous - Chef Christian, zwei Kreuzfahrtleiter, zwei Offiziere, die Künstler, die Mädels vom Beautysalon, die von der Boutique, die Reiseleiter, ein paar Headwaiter...
Und ich beobachtete still. So wie ich auf dieser Reise eigentlich immer nur ein Beobachter gewesen war. Das Schiffsleben war eine besondere Welt. Es war ihre Welt. Nicht meine. Und dieses Bild heute Nacht hat mir das noch einmal vor Augen geführt. Mein bester Freund auf dem Schiff hatte mich oft mit erhobenem Zeigefinger erinnert, dass ich nicht wirklich dazu gehörte. Er war schon zu lange von Bord und ich hatte es nicht vergessen, aber ein bisschen verdrängt. Ich musste immer noch viel lernen.
Jedenfalls hatte ich von der Empore aus die neuen Gruppierungen sehen können, die neuen Verbindungen und voraussagbaren Beziehungen, die neuen Freundschaften und vielleicht auch die zukünftig unterkühlten Verhältnisse. Ich sah bei wem für wen die Sympathien lagen, wer von den Reiseleitern sich - ob aus Überlegung oder Sympathie kann ich nicht sagen - mehr beim neuen Kreuzfahrtleiter aufhielt und wer noch loyal beim "alten" saß. Wie die Männer die verbleibenden Mädels taxierten und im Stillen schon aufteilten (wehe, ihr redet morgen nicht mehr mit mir!!!). Ich sah auch, wie die Künstlerchefs ihre neuen Mitarbeiter versuchten zu motivieren und wie ein oder zwei der Künstler, die von Bord gehen (bis auf einen geht das ganze Ensemble) - ähnlich wie ich vielleicht - sich wunderten über die Schnelllebigkeit oder soll ich besser sagen die Schnell´über´lebigkeit auf dem Schiff. Aber Künstler sind das wohl eher gewohnt. Der Vorhang fällt und ein neues Ensemble spielt auf der gleichen Bühne ein neues Stück. Da sehe ich gerade die alte Katze aus dem Musical "Cats" vor mir, die von Katrin Wiedmann hier auf der Amadea wunderbar interpretiert wurde und die immer den Mond anjammert. Da fällt mir doch glatt ein, dass ich meinen Rundgang auf Deck 11 noch nicht gemacht habe. Es ist drei Uhr, eine gute Zeit. Und einen Mond werde ich ja wohl finden...

Anja Fließbach: Montag, 30 April 2007, 19:14 Uhr