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Dr. Gisbert Porstmann: Wir sind Seele und Emotionen

Das Gedächtnis unserer Gesellschaft

Interview mit Dr. Gisbert Porstmann, Direktor der Museen der Stadt Dresden und Direktor der Städtischen Galerie Dresden

Warum sind Museen so wichtig?
Porstmann:
Museen übernehmen einen umfassenden Bildungsauftrag. Menschen können in Museen Dinge erleben, die sie vorher noch nicht erlebt und gedacht haben. Mitunter gibt es zunächst eine gewisse Irritation. Wenn unsere Besucher dann merken, es steckt etwas dahinter, beginnt ein spannender Prozess. Die Person stellt für sich fest, dass das kein grundsätzlicher Unfug ist, nur weil es für sie unbekannt und anders ist als erwartet. Dieses Erlebnis ist elementar - die
Geburt der Toleranz.


Sind diese Grundwerte bei den Dresdnern nicht verankert?
Porstmann:
Grundwerte sind nicht einfach da, sie müssen stetig vorgelebt und eingeübt werden. Das Faszinierende an Museen ist, dass man dort Dinge kennenlernt, mit denen man nicht vertraut ist. Wenn dann ein Museumspädagoge zur Seite steht, der meine Neugier weiter befördert und die Gedanken ein wenig leitet, entdeckt man etwas, was man vorher noch nie gesehen oder gehört hat. Das ist Teil unseres Auftrages, den Besuchern die Möglichkeit zu geben, die Erfahrung der Andershaftigkeit zu erleben.


Was bedeutet das?
Porstmann:
Das bedeutet, dass ich die Erfahrung mache, dass es etwas Anderes in der Welt gibt als in meiner gewohnten Widerspieglung. Diese Toleranz brauchen wir in unserer Gesellschaft. Jemand hat eine andere Meinung, versteht das Kunstwerk oder eine Installation nicht. Das ist nicht zwangsläufig schlecht.


Ein guter Ausgangspunkt für eine Diskussion...
Porstmann:
Richtig! Man schaut, was die Kunst mit einem macht. Die besten Bildungserlebnisse, die ich hatte, waren Dinge, die ich zunächst überhaupt nicht verstanden habe bis zum Austausch mit anderen ...


Gibt es genug Museumspädagogen, um diesen Dialog zu ermöglichen?
Porstmann:
Wir kämpfen immer darum, Mitarbeiter zu bekommen. Drei Stellen haben wir bekommen. Notwendig sind acht. Eine solche Besetzung wäre toll. Damit könnten wir unterschiedliche Programme parallel aufbauen.


Viele Menschen denken, Museum ist langweilig...
Porstmann:
Das stimmt leider, aber wenn sie einmal da sind, merken sie, dass es auch Spaß macht. Wenn man frontal mit einer komplizierten Bildanalyse konfrontiert wird, hat man schnell keine Lust mehr. Hier ist es die Aufgabe, komplizierte Sachverhalte anschaulich und im besten Sinne des Wortes populär zu erklären.


Wer ist Ihre Klientel neben Kindern und Jugendlichen?
Porstmann:
Museen sind Orte für alle Generationen! Eine wichtige Besucherklientel sind die gut ausgebildeten Rentner. Sie haben mehr Zeit als Menschen in den 30ern, die mitten im Arbeits- und Familienleben stehen. Es ist mein Anliegen alle Generationen anzusprechen.

 

Wie schaffen Sie es, generationsübergreifende Angebote zu
bieten?
Porstmann:
Wir leben in einer schnellen, technikaffi nen Zeit. Heute erlebt die junge Generation eine völlig andere Umgebung als ihre Eltern. Deshalb finde ich es so schön, wenn die Großeltern mit ihren Enkelkindern in unsere Museen kommen. Museen sind Orte, in denen gemeinsame Erlebnisse über die Generationsgrenze hinweg stattfinden können.


Hat sich das klassische Museum verändert?
Porstmann:
Definitiv hat sich der Begriff Museum gewandelt. Es sind heute Orte, in denen man sich einfach nur aufhalten kann oder, wenn man sich öffnet, unterschiedliche Erfahrungen macht – ästhetische, historische, künstlerische, technische. Deshalb sind die Museen der Stadt Dresden so beliebt, weil wir eine große Vielfalt bieten. Zuallererst haben wir interessante analoge Schätze, und weil wir eng mit unseren Besuchern zusammenarbeiten, werden es auch Orte, die in Bewegung sind und reagieren.


Wie wird die Zukunft aussehen auf der musealen Schiene?
Porstmann:
Auf jeden Fall positiv. Meine Vision ist, dass Museen zunehmend wichtiger werden in einer technisierten Welt. Wir sind alle in Lebenswelten unterwegs, in denen es um Selbstoptimierung im Minutentakt geht. Wir sind aber keine Uhren. Wir haben eine Seele und Emotionen und die lassen sich nicht takten. Museen sind die Orte, in denen die Menschen einen Ausgleich finden.


Sehen das die Menschen auch so?
Porstmann:
Ja. Viele Besucher kommen wegen der Exponate, aber eigentlich sind sie auf der Suche nach einem kollektiven Erlebnis, es ist die Suche nach dem Gespräch über einen gemeinsamen Gegenstand. Für dieses Bedürfnis bieten wir eine Fülle von Themen und die Orte an. Museen sind Foren wo Menschen miteinander sprechen können. Das wird zunehmend wichtiger. Die unmittelbare Kommunikation mit echten Menschen und nicht nur über Social Media. Plötzlich im Museumzu stehen und mit fünf Leuten gemeinsam über ein Bild oder die Geschichte der Stadt zu diskutieren, ist eine Erfahrung, deren Gewicht wieder erkannt wird.


Was ist das Schönste an Ihrem Beruf?
Porstmann:
Das Schönste ist zugleich auch das Schwerste. In meinem Job kommt man nie in eingefahrene Gleise. Es gibt immer die Konfrontation mit Künstlerinnen und Künstlern, Historikerinnenund Historikern, es gibt die verschiedenen Konzepte für die Museen im Verbund. Wir sind am Nerv der Zeit und versuchen, unsere Welt zu verstehen und zu interpretieren. Man begibt sich auf den Weg in Neuland ohne das Alte sein zu lassen. Das fordert uns heraus, ist anstrengend, aber auch unglaublich inspirieren. Das beflügelt einen.


Wollten Sie diesen Job schon immer machen?
Porstmann:
Ja. Einfach war es nicht, dahin zu kommen. Ich durfte in der DDR nicht studieren, habe mich aber immer wieder beworben. In der Zwischenzeit war ich in den Staatlichen Kunstsammlungen als Aufsicht und Garderobier tätig. Dann wurde ich Ausstellungstechniker, später durfte ich in Pillnitz durch die Ausstellungen im Bergschloss führen und irgendwann durfte ich endlich auch Kunstgeschichte, Klassische Archäologie und Literatur studieren. 1991 war ich mit dem Studium fertig und die DDR war verschwunden, und plötzlich war ich in einem neuen System freischaffend. Das war eine wilde Zeit! Später konnte ich nach Leipzig ins Bildermuseum gehen. Seit 2002 bin ich Gründungsdirektor der StädtischenGalerie Dresden und leite seit 2008 den gesamten Museumsverbund.


Warum sind Museen so wichtig?
Porstmann:
Museen sind das soziale Gedächtnis der  Kommune. Im persönlichen Bereich beschreibt man den Verlust des Gedächtnisses als absolute Katastrophe – Alzheimer. Ähnlich ist es mit dem Gedächtnis der Kommune. Außerdem hat man nicht alle Erinnerungen, die im Unterbewusstsein gespeichert sind, parat. Wir stoßen mit den Ausstellungen, mit unserer Arbeit auch die Erinnerungen an.


Wozu brauchen wir diese Erinnerungen?
Porstmann:
Wir brauchen sie, um zu leben. Die Gesellschaft muss sich erinnern, ansonsten geht es nicht gut aus.


Hat unsere Gesellschaft viel gelernt?
Porstmann:
Ja, aber es ist offensichtlich trotzdem einiges schiefgelaufen. Es bringt nichts, nur zu sagen, wann der Krieg begonnen hat usw. Wir müssen auch die Emotionen der Menschen dieser Zeit erforschen. Das ist eine ganz andere Geschichtsschreibung. Man muss ein froher Mensch bleiben, aber sich trotzdem mit den Gräueltaten der Menschen auseinandersetzen.


Sie meinen, man muss die Emotionen transportieren?
Porstmann:
Genau, in Ausstellungen geht es nicht nur um ein tolles, intellektuelles Konzept, sondern es geht auch immer um Emotionen und unser Herz. Teilweise kommen Fans von Künstlern in Ausstellungen und sind völlig gerührt.  Emotionen zuzulassen ist zunehmend verschwunden.Denn in diesem Moment ist man angreifbar, aber das gehört dazu. Zum Glück gibt es die Museen.


Das Interview führte Louisa Fließbach