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„Einen Wachrüttler wie Professor Sinn braucht es immer.“

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer zur Verabschiedung des Präsidenten des ifo-Instituts, Prof. Dr. Dr. mult. Hans-Werner Sinn 

Seit 1999 war Professor Hans-Werner Sinn Präsident des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in München. Nun geht er in seinen wohl- verdienten Ruhestand. Grund genug für Bayerns Ministerpräsidenten Horst Seehofer, ihn mit den gebührenden Worten zu ehren. 

 

Von Horst Seehofer 

Der Professor Hans-Werner Sinn ist eine Marke, eine Type, an der sich die Styling-Berater die Zähne ausgebis-sen haben. Aber: Beim Barte des Propheten, diesen Ökonomen kennt jedes Kind! 

 

Leidenschaftlich in der Sache, messerscharf in der Analyse, immer der unbequemen Wahrheit verpflichtet – so habe ich ihn kennen und schätzen gelernt. Schuldenkrise, Eurokrise, Flüchtlingskrise – nichts liegt Hans-Werner Sinn ferner als eine falsch verstandene Political Correctness. Dieser eigene Weg außerhalb der medialen Meinungskohorte schafft Vertrauen und Glaubwürdigkeit. 

 

Er hat es in seiner Abschiedsvorlesung gesagt und ich musste es in der Publikation anlässlich seiner Pensionierung lesen: Eigentlich sei er ein Linker gewesen. Bei den Falken war er, SPD-Mitglied war er. Dann hat er die SPD verlassen - oder hat die SPD ihn verlassen?

 

Damit gilt auch für den werten Herrn Professor Sinn, erstens die Liberalitas Bavarica, zweitens der Minderheitenschutz und drittens Satz von Franz Josef Strauß: „Wer mit 20 nicht links ist, hat kein Herz. Wer mit 40 immer noch links ist, hat keinen Verstand.“ Wenn das seine Kritiker wüssten!

 

Dank seines Verstandes hat Professor Sinn sich schon weit vor dem 40. Lebensjahr nach Studien des real-existierenden Sozialismus in Jugoslawien dem Pragmatismus zugewandt. Das große Herz, welches kräftig für Deutschland, Europa und das Gemeinwohl schlägt, hat er sich dabei Gottseidank erhalten. 

 

Er ist ein Ordoliberaler im besten Sinne Ludwig Erhards und Walter Euckens. Solche würdigen und wortmächtigen Ludwig-Erhard-Preis- träger brauchen wir, wenn wir uns weiterhin auf dem Boden der Sozialen Marktwirtschaft bewegen wollen. Das ist eine Frage der geistigen und ethischen Grundlagen unseres Landes. Professor Sinn war nie ein schmalspuriger Neoliberaler oder einer von den Chicago-Boys. Er nannte sich selbst einen „Kathetersozialisten“, der Sozialreformen gedanklich vorbereitet. Kardinal Marx lobte ihn einst als Wegbereiter einer chancengerechten Gesellschaft. Über ein Vierteljahrhundert hinweg prägte er die wirtschaftspolitische Diskussion in Deutschland. Wenn wir uns heute über die Stärke der deutschen Wirtschaft und die Rolle unseres Landes als Stabilitätsanker in Europa freuen dürfen, dann zeigt das doch: Es war mühsam, aber es hat sich gelohnt. 

 

Die bayerische Staatsregierung wurde von Hans-Werner Sinn bei zahlreichen Gelegenheiten gut beraten: kompetent, praxisnah, preiswert – niemals billig. Die meisten Kabinettsmitglieder träumen bis heute von seinen Folien voller Power und Pointen. Ausgeträumt hat es sich dann in der Berliner Koalition – da geht es zu wie am Königlich Bayerischen Amtsgericht, da hat jeder ein bisschen Recht. An dieser Stelle danke ich ihm für seine Milde, auch wenn er selbst gesagt hat: „Für Milde gibt es keinen Anlass.“ 

 

„Es geht uns so gut, dass Professor Sinn schon vor dem ‚Rausch des Erfolges‘ warnt. Und da stimme ich ihm zu: Die größte Gefahr für den Erfolg der Zukunft liegt immer im Erfolg der Gegenwart.“ 

 

Professor Sinn hat in München eine Plattform für ökonomische Forschung und Debatten aufgebaut, die in Europa ihresgleichen sucht. Er hat das ifo-Institut aus der Bezirksliga in die Champions League geführt. Nichts weniger ist der bayerische Anspruch. Erfüllen konnte ihn nur ein Pep Guardiola des Wissenschaftsbetriebs. Völlig zu Recht trägt er den Bayerischen Maximiliansorden und die Staatsmedaille für be- sondere Verdienste um die bayerische Wirtschaft. Viele internationalen Spitzen seiner Zunft fühlen sich ihm nicht nur fachlich, sondern auch freundschaftlich verbunden. 

 

Der zugereiste Hans-Werner Sinn ist übrigens ein Musterbeispiel für gelungene Integration. Er achtet Recht und Ordnung, verdient seinen Lebensunterhalt, ist der deutschen Sprache mächtig und redet sogar mit den Einheimischen. Nur sein Verein ist noch immer Arminia Bielefeld. Wir drücken da ein Auge zu. Die Vereinsfarben Schwarz, Weiß und Blau sind grundsätzlich in Ordnung. 

 

Seit der Wiedervereinigung sind über 2 Millionen Menschen dem Westfalen Hans-Werner Sinn ins gelobte Bayern gefolgt. Das halten wir aus! Menschen aus ganz Deutschland und allen Teilen der Welt – damit ist Bayern das Land der gelingenden Integration. Wir wissen um die Bedeutung eines guten Miteinanders für eine erfolgreiche Zukunft. Bayern geht auch jetzt bei der Integration voran: Wir investieren 4,5 Mrd. Euro in zwei Jahren für diese Zukunftsaufgabe. Wir schaffen 5500 neue Stellen, davon 1800 Lehrer vor allem an Mittelschulen und Berufsschulen. Wir stellen 2,6 Milliarden Euro für einen großen Wohnungspakt zur Verfügung. Damit stärken wir den sozialen Wohnungsbau – auch für die einheimische Bevölkerung. Integration durch Arbeit, Bildung, Sprache – das ist der bayerische Weg. 

 

Eine grenzenlose und regellose Zuwanderung ist nicht im Interesse unseres Landes. Wir sind vierfach überfordert – bei Sicherheit, Integration, Verwaltung oder Finanzen. Deshalb kämpfe ich für eine Abkehr von der chaotischen Einladungspolitik und für eine Rückkehr zu Recht und Ordnung. Politik muss Seismograph der Lebenswirklichkeit sein. Nur so schaffen wir das. 

 

Unser Herz schlägt für die wirklich Schutzbedürftigen, aber auch für die hart arbeitenden Familien in Bayern. Eltern und Kinder bilden das Fundament unserer Gesellschaft – diese Wertvorstellung teile ich aus tiefstem Herzen mit Hans-Werner Sinn. Die kapitalgedeckte Zusatzrente, die längere Lebensarbeitszeit, die Mütterrente stehen heute im Gesetz. Gerade weil Generationengerechtigkeit eine Daueraufgabe bleibt, sollte man seiner Idee der Kinderrente näher treten. Schnüren wir dem Klapperstorch also ein Anreizpaket, zu dem er nicht Nein sagen kann. Und weil Kinderlärm Zukunftsmusik ist, denke ich, damit ist Deutschland durchaus noch zu retten! Die Arbeiten von Professor Sinn zeigen eindringlich, dass wir uns wieder mehr auf unser Erfolgsmodell Soziale Marktwirtschaft besinnen müssen. Die Grundlagen für den einzigartigen Aufstieg unseres Landes wurden durch Ludwig Erhard im Freistaat gelegt. Damit bleibt Bayern Gralshüter der Sozialen Marktwirtschaft. 

 

„Unser Herz schlägt für die wirklich Schutzbedürftigen, aber auch für die hart arbeitenden Familien in Bayern. Eltern und Kinder bilden das Fundament unserer Gesellschaft - diese Wertvorstellung teile ich aus tiefstem Herzen mit Hans-Werner Sinn.“

 

Damals wie heute gilt, dass nicht die Politik für Sozialuntertanen von Vater Staat das Fundament für wirtschaftlichen Erfolg und soziale Sicherheit sind, sondern Freiheit, Eigentum und Wettbewerb. Dazu gehört auch die Untrennbarkeit von Verantwortung und Haftung. Nur dort wo Wohlstand auf Eigentum und Leistung gründet, ist gerechte Teilhabe möglich. Wachstum auf Pump ist kein tragfähiges Wirtschaftsmodell. 

 

Der wirtschaftliche Aufschwung der letzten Jahre ist „made in Germany“. Unsere Unternehmen, deutscher Erfindergeist, die soziale Mobilität, die berufliche Bildung – all das hat Vorbildcharakter. Gerade uns in Bayern geht es gut, weil so viele in Lohn und Brot stehen wie noch nie. Es geht uns gut, weil das gesellschaftliche Klima stimmt. Es geht uns so gut, dass Professor Sinn schon vor dem „Rausch des Erfolges“ warnt. Und da stimme ich ihm zu: Die größte Gefahr für den Erfolg der Zukunft liegt immer im Erfolg der Gegenwart. Jetzt gilt es, das Erreichte nicht zu verspielen! Verantwortliche Politik muss sich am Machbaren, nicht am Wünschbaren orientieren! 

 

„Wirklich Neues schaffen nur mutige Menschen.“ 

 

Hans-Werner Sinn hat stets vor der Entkoppelung von politischer Entscheidungsfreiheit und finanzieller Verantwortung gewarnt, wie sie durch die Vergemeinschaftung von Staatsschulden entsteht. Wir sagen: Gesunde Finanzen in Nord und Süd sind die Basis für ein partnerschaftliches Miteinander in Europa. 

 

Eigenverantwortung, Leistungswille und Pioniergeist haben unser Land stark und sozial gemacht. Wirklich Neues schaffen nur mutige Menschen. Lust auf Entdecken, Spaß am Wettbewerb, die Sehnsucht nach einem erfüllten Leben, das auf eigener Leistung gründet – wer die Zukunft mitgestalten will, der braucht diese positive Einstellung. Aber wir brauchen immer mehr Kreativität, mehr Risikofreude, mehr Gründergeist. Die Staatsregierung wird in großem Stile Programmierunterricht an die Schulen bringen. 

 

Praktiker und Existenzgründer sollen in der Schule Vorbild sein. Bits, Bytes, Bayern – das ist ein Dreiklang der Zukunft.

Mit der Pensionierung von Professor Sinn ergeht meine Bitte an alle jungen Ökonomen, sich ordentlich ranzuhalten – da hat einer vorgelegt, da hat einer Maßstäbe gesetzt, da liegt die Latte hoch. Nach über 40 Jahren in der Politik kann ich sagen, dass es so einen Wachrüttler immer braucht, gerade in Zeiten, in denen man glaubt, man könne sich alles leisten. Ohne Ökonomen dieses Formats macht die Politik künftig vielleicht noch mehr Un-Sinn... Es gilt also, möglichst rasch und entschieden große Fußstapfen zu füllen. Wir zählen auf Euch, Bayern baut auf Euch. Die Champions League bleibt der weiß-blaue Anspruch! Ich wünsche Professor Sinn den verdienten Unruhestand, viel Zeit für die Enkel und all das, was bisher zu kurz gekommen ist. Und vielleicht hören wir doch wieder einmal von ihm. 

 

Dem neuen Präsidenten wünsche ich eine glückliche Hand und Gottes Segen! 

 

Glück auf und alles Gute!