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Hans Stern: Der reichste Mann Brasiliens
Tiffanys, Cartier und H. Stern gelten als die drei erfolgreichsten Schmuckmarken der Welt. Der Firmengründer Hans Stern war trotzdem stets bescheiden und zurückhaltend, besonders gegenüber Medien. Vor einiger Zeit starb der große kleine Mann (84). Disy-Chefredakteurin Anja K. Fließbach hatte er kurz zuvor noch in die Zentrale in Rio de Janeiro eingeladen und hatte sein Leben, seine Erfolge und seine Lieben ein letztes Mal Revue passieren lassen. Lesen Sie Anja K. Fließbachs Bericht über die letzte Begegnung mit Hans Stern und das letzte Interview.
„Im Gegensatz zu vielen anderen habe ich eine Chance bekommen und hatte ein erfolgreiches und zum Glück arbeitsreiches Leben. Ich habe nie vergessen, dafür dankbar zu sein.“
Langsam glitt der Fahrstuhl in die 12. Etage des Towers in Rios Nobelviertel Ipanema. Die Türen öffneten sich zum Imperium des reichsten Mannes Brasiliens. Weltzentrale. Millionenumsätze. Edelsteine. Wir mittendrin ... Doch statt rotem Teppich und Goldlüstern oder modernen Designermöbeln und elegantem Minimalismus betraten wir den schmalen Gang eines in die Jahre gekommenen Bürogebäudes mit dunklem Holz und grellem Licht. Ich war etwas enttäuscht vom ersten Eindruck. Nachdem wir von zwei Männern in einem Wagen mit dunklen Scheiben vom Schiff abgeholt worden waren, zwei Herren am Eingang mit einer kleinen Verbeugung die Türen unseres Autos geöffnet hatten und wir in einem modernen Eingangsbereich mit kleinen Drinks begrüßt worden waren, sah es hier, hinter den Kulissen, recht nüchtern aus. Auch das Büro von Hans Stern war äußerst bescheiden eingerichtet. Der Mann selbst in zerknittertem Anzug und derben Schuhen. Doch in seinen Augen blitzte ein gewisses Amüsement, als er uns begrüßte und meinen Blick beobachtete. Er war sich der Erwartungen und Ernüchterung seiner Besucher wohl bewusst, hatte es sicher oft erlebt. Der alte Herr ließ Espresso bringen und lächelte mich freundlich an. "Erzählen Sie mir etwas von Ihrer Zeitschrift Disy", begann er das Gespräch, in dem es eigentlich um seinen Weg und sein Leben gehen sollte. "H. Stern" ist eines der bekanntesten Schmuckimperien der Welt mit 160 eigenen Filialen, 3200 Mitarbeitern und einem Image, das Hollywoodgrößen (zu Sterns Verehrerinnen gehören Charlize Theron, Cameron Diaz oder Sharon Stone) und die Konkurrenz beeindruckt. Zu den Mitbewerbern von "H. Stern" zählt die Fachpresse gerade mal Tiffanys oder Cartier. Ich antwortete höflich. Doch statt zu erzählen, wollte ich etwas von ihm lernen. Das Schönste an meinem Beruf ist es, Menschen zu treffen, denen man sonst nie begegnet wäre, und ihre Geschichten zu hören. Bei Hans Stern lernte ich viel. Schon als er zu erzählen begann, war die nüchterne Umgebung und der unscheinbare Anzug vergessen. Es leuchteten eine Persönlichkeit und eine Aura auf, die nur von den großen Saphir-Manschettenknöpfen unterstrichen wurden, die ein winziges Stück hervorblitzten, wenn sich der Patriarch locker zurücklehnte. Hans Stern ließ aus seinem Tresor verschiedene Kästen bringen und zeigte uns die schönsten, reinsten und größten Edelsteine dieser Welt - bescheiden verpackt und die meisten ungeschliffen auf abgewetztem Samt. Zärtlich legte der alte Mann die Steine auf seine Hand und seine Augen funkelten scheinbar mehr als die Smaragde, Saphire und Rubine vor ihm. Dann lehnte er sich zurück und wir begannen das Interview.
Das letzte Interview mit Imperiumchef Hans Stern
Mit mehr als 3000 Mitarbeitern kann man bei H. Stern kaum mehr von einem Familienbetrieb sprechen, oder?
Stern: Nun, das Unternehmen trägt den Namen meiner Familie. Doch ab einer bestimmten Größenordnung muss man die Verantwortung auf viele Schultern verteilen.
Ihr Firmenimperium habe ich mir viel pompöser und luxuriöser vorgestellt... Stern: Nichts ist gefährlicher als Eifersucht und Neid. Das klingt, als hätten Sie negative Erfahrungen gemacht? Stern: Nein, meine Lebenserfahrungen sind sehr gut. Bestimmt liegt aber gerade das an meiner Art. Ich nehme sehr wenig am sozialen Leben teil, gehe nicht zu Veranstaltungen und Events. Ich schlafe, esse und arbeite. Das reicht mir.
Sie gelten als der reichste Mann Brasiliens. Sind wenigstens in Ihrem Anwesen die Wände aus Gold, und die Diener wedeln mit Palmenblättern?
Stern: Nein, ich lebe mit meiner Frau sehr bescheiden in einem Appartement. Das gehört mir zwar, ist aber ganz klein. Wir sind zwei Personen, wir brauchen nicht viel. Ich glaube nicht an teuren Luxus und an Angeberei.
Und als Auto fahren Sie einen VW ...
Stern: Einen VW Golf, ja. Aus demselben Prinzip. Neid ...
Wenn Ihnen Luxus nichts bedeudet, was ist wichtig für Sie im Leben?
Stern: Ich bin über 80 Jahre alt, hatte viel Zeit, die Menschen, das Leben und mich selbst kennenzulernen. Wie Sie wissen, bin ich Jude und floh damals vor den Nazis nach Südamerika. Ich lernte Bescheidenheit und eine gewisse Demut vor dem Leben. Im Gegensatz zu anderen habe ich eine Chance bekommen und hatte ein erfolgreiches und zum Glück arbeitsreiches Leben. Ich habe nie vergessen, dafür dankbar zu sein.
Als Sie 1939 nach Brasilien kamen, waren Sie arm.
Stern: Als ich mit 17 Jahren hier ankam, hatte ich genau zehn Mark. Also brauchte ich schnell Arbeit. Ich begann als Stenotypist bei einer Steine- und Schmuckfirma. Das brachte mich auf meine Geschäftsidee. Ich fuhr ins Landesinnere zu den Schürfern der Steine und nahm, was sie fanden, in Kommission. Mit Zug und Pferd zog ich durch Brasilien zu Juwelieren und Schmuckfabrikanten, um die Steine zu verkaufen.
Das klingt wie ein Klischee aus dem Wilden Westen.
Stern: Genauso war es. Bis ich 1949 mein erstes Geschäft in Rio eröffnete, direkt an der Ankunftshalle für Touristen im Hafen. Und nun, fast 60 Jahre später, haben wir 160 Geschäfte und 45 Verkaufspunkte in 19 Ländern.
Was war das berühmte Geheimnis des Erfolges, und was können junge Leute von Ihnen lernen?
Stern: Ich war immer fest entschlossen, mir mein Leben zu verdienen. Das Unternehmen hat sich organisch entwickelt, was immer am besten ist. Ich habe hart gearbeitet und stets die Möglichkeiten gesehen, die sich geboten haben. Ich habe alle Menschen ethisch behandelt, egal ob sie Schürfer, Lieferanten oder Kunden waren.
Was Sie sagen, lässt viel auf Ihr Werteverständnis schließen. Was sind Ihre Werte?
Stern: Die Familie, Fleiß und Seriosität. Ich habe drei Söhne und sieben Enkel. Darüber freue ich mich jeden Tag. Ihre Söhne arbeiten zum Teil mit in Ihrem Imperium. Wenn Familienmitglieder zusammenarbeiten, kann es manchmal Streit geben.
Wie funktioniert das bei Ihnen?
Stern: Nun, es war eine Umstellung. Früher habe ich anders gearbeitet, alleine entschieden. Nun bin ich Board of Directions, mein Sohn Roberto ist für den kreativen Bereich und die Entwicklung der Marke zuständig, mein Sohn Ronaldo ist in Nordamerika CEO und neben anderen Direktoren auch Mitglied im Board of Directions.
Fällt es schwer, bei einem wachsenden Unternehmen, das man einst als Alleinkämpfer aufgebaut hat, Verantwortung abzugeben? Das ist bei Ihnen doch auch gerade der Fall, oder?
Stern: Richtig.
Aber wie war das bei Ihnen und wie ist es jetzt? Sie sind mit 84 Jahren immer noch täglich im Büro.
Stern: Mit einer neuen Generation hat man die Möglichkeit, weiter zu wachsen. Wenn man wachsen will, muss man zwangsläufig vertrauen, Man muss aber auch einplanen, dass dieses Vertrauen auch hin und wieder missbraucht wird oder Vertrauen auch mal nicht gerechtfertigt war.
Haben Sie das erfahren müssen?
Stern: Leider ja - mit ehemaligen Angestellten. Man hört und liest immer nur von Ihrer rasanten Karriere, und es scheint, als ginge es bei Stern immer nur bergauf.
Mussten Sie auch manchmal Läden schließen oder Krisensitzungen einberufen?
Stern: Wir sind ein internationales Unternehmen auf dem Markt mit hochkarätigen Mitbewerbern und bekommen die Auswirkungen der Entwicklung der Weltwirtschaft wie alle anderen regelmäßig zu spüren. Dann muss man sich neu orientieren, neue Wege gehen. Wir zum Beispiel orientieren uns nicht nur an der oberen Schicht der Millionäre und Milliardäre, sondern sind vor einiger Zeit schon mehr in die Breite gegangen, in die obere Mittelschicht und Mittelschicht.
Könnte es sein, dass die Millionäre und Milliardäre heute lieber auf Luxus verzichten ...
Stern: Sehr gut! Aber das stimmt schon. Viele leben so wie ich eher bescheiden. In der oberen Mittelschicht, wo Repräsentieren sehr wichtig ist, sitzt das Geld noch lockerer.
Was ist mit den Hollywood-Stars, die Ihren Schmuck regelmäßig bei Veranstaltungen wie der Oscarverleihung tragen?
Stern: Die bekommen den Schmuck von uns kostenlos zur Verfügung gestellt und tragen ihn für uns als PR.
Bezahlen Sie Stars wie Angelina Jolie und Liv Tyler dafür, dass sie Ihren Schmuck tragen?
Stern: Dazu sage ich nichts. Aber sagen Sie etwas dazu, dass ich gehört habe, dass Sie schon Shops schließen mussten! Stern: Natürlich reguliert der Markt oder unsere Strategie die Standortwahl. Da kann es auch vorkommen, dass man den einen oder anderen Shop schließt. Es gibt gut laufende und weniger ertragsstarke Standorte.
„Ich lernte Demut vor dem Leben.“
Wo läuft`s für Stern richtig gut?
Stern: Sehr lukrative Standorte sind Frankreich, Deutschland, Mexiko und Portugal.
Gibt es auch Läden, die nichts bringen und die Sie nur aus Imagegründen behalten?
Stern: Sie kennen sich gut aus. Das ist zum Beispiel im Departement in Paris so und im Harrod´s in London. Den größten Teil, 80 Prozent des Umsatzes, machen wir mit Brasilianern. Wir haben hier einen sehr hohen Bekanntheitsgrad.
In Deutschland sind Sie in Ihrer Zielgruppe noch nicht überall bekannt. Ist Deutschland ein Stiefkind?
Stern: Ich habe ein gutes Gefühl für Deutschland. Wir sollten alle immer versuchen, aus der Vergangenheit zu lernen. Heute sollten alle Deutschen mit Freude sagen: "Wir Deutschen."
Wie oft besuchen Sie Ihre alte Heimat?
Stern: Einmal im Jahr fliege ich nach Frankfurt, Hamburg, Essen oder München. München ist eine sehr schöne Stadt.
Was machen Sie in Ihrer Freizeit noch außer reisen?
Stern: Arbeiten! Der größte Teil meines Lebens besteht aus Arbeit. Auch jetzt im Alter. Es macht mir Spaß und tut mir gut. Außerdem habe ich ein kleines Boot, sammele Briefmarken, nicht nach Wert, sondern nach der Schönheit der Marken. Ich spiele Schach, Orgel und lese Bücher.
Die Karriere
1922 Hans Stern wird in Essen, in Deutschland geboren
1939 Mit 17 Jahren kommt er nach Brasilien
1945 Hans Stern gründet H. Stern – ein Büro für wertvolle
Edelsteine
1949 Eröffnung des ersten Geschäfts im Hafen von Rio
1952 Die ersten Führungen durch die Werkstätten beginnen
1958 Einrichtung eines Edelsteinlabors
1960 Das Unternehmen expandiert in die USA, eröffnet ersten Shop in New
York
1964 Das erste Geschäft in Europa wird eröffnet (in Frankfurt)
1975 Eine Show wird entwickelt, „Diamonds Today Award –
De Beers“, die in den Folgejahren jährlich stattfindet. Es folgen Preise, Ehrungen,
Awards, neue Kollektionen und Designs
1984EinführungderberühmtenCathérine-Deneuve-Kollektion(Markenzeichen
CD)
2001 Das Unternehmen legt sein altes Logo ab und wechselt zu einem modernen
neuen Design
2001 Schauspielerin Catherine Zeta-Jonesträgtbei der Oscarverleihung einen
50-Karat-Aquamarin aus der privaten Sammlung von Hans Stern, was einen
Trend bei den Hollywoodstars setzt
2005DasUnternehmenverfügtzumerstenMalüberPräsenzeninderSchweiz,
in Dubai, Bahrain, Schottland, Griechenland, Spanien, der Türkei und Großbritannien.
EröffnungneuerFlagshipstoresinHamburg, CannesundMexikoStadt
2006 Stern beschäftigt mehr als 3000 Mitarbeiter, betreibt 160 eigene Geschäfte
und 45 Verkaufspunkte in 19 Ländern
2007 Besuch der Dresdner Zeitschrift Disy im Tower der Weltzentrale in Rio de
Janeiro bei Unternehmensgründer Hans Stern
2007 Im Oktober stirbt Hans Stern in Rio
Die große Liebe
An Hans Sterns Seite stand fast 50 Jahre Ruth Stern. Seine Eltern waren mit Ruths Eltern in Essen befreundet. "Wir waren vier Monate verliebt und 48 Jahre verheiratet", erinnert sich Hans Stern an seinen schnellen Entschluss. Zur Hochzeit gab es dunkle Aquamarinringe. Stern sagte immer: "Meine Familie ist das Wichtigste."