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Editorial Herbst 2016

Sind Sie glücklich? Ich habe mich ertappt, in letzter Zeit schon oftlamentiert zu haben, dass ich recht unglücklich wäre. Dass ich keineVerwandten mehr habe, die sich um mich kümmern. Dass ich offensichtlichzu erwachsen bin, dass sich überhaupt einer um mich kümmert.Dass ich mich dafür aber um alle anderen und um alles kümmern muss.

 

Jeder will für sich das Beste und möglichst soll ich das bieten. Mache ich normalerweisegern, aber wenn die Wünsche der vielen Wünscher zu konträr werden,sich gar gegenseitig ausschließen – wem gebe ich den Vortritt? Ich bin in derLage, viel zu geben und zu bieten: Meinen drei Kindern, Freunden, Bekannten,Geschäftspartnern, vor allen den Mitarbeitern. Aber irgendwann schlaucht das.Wenn ich jeden Morgen zu Fuß in der Redaktion gehetzt von der Schule meinesSohnes ankomme und unser Marketing-Chef gerade mit dem von mir gekauftenRedaktions-Auto gemütlich einparkt, denke ich jeden Morgen, dass etwas falschist. „Such den Fehler!“ Wenn ich seit Jahren mit Leidenschaft und viel Aufwandein ganzes Sonderheft zum Oktoberfest produziere und es nie schaffe, auch nureinmal selbst hinzugehen, ist das ärgerlich. Dafür feiern die Jungs aus meiner Redaktion.Mit der Produktion der vielen Disys habe ich generell so viel zu tun, dassich selten abends bereit bin, eine der vielen Einladungen anzunehmen. Die Einladungengebe ich weiter, die Arbeit erledige ich. Und so lamentiere ich innerlichweiter und weiter.

Bis ich mal wieder Reinhard K. Sprenger gelesen habe: „Wenn Sie aber mal mitdem Ernst des Lebens einen trinken gehen und dabei ganz ehrlich zu sich selbstsind, dann müssen Sie anerkennen, Sie haben es sich ausgesucht! Sie haben dieSituation in der Sie sich jetzt befi nden, anderen vorgezogen – wie immer Sie esdrehen und wenden, sie haben gewählt.“ Dass meine Eltern gestorben sind, dafürkann ich natürlich nichts. Aber alles was sonst passiert? Klar! Dass mein Schiffmorgen zu einer herrlichen Kanada- , USA-Reise ausläuft und ich hier in Dresdenbestimmt zwölf Stunden Schlusskorrektur für die Herbstausgabe der Disy Dresdenhaben werde und gar nicht mitbekommen werde, dass der Abfahrtstermin leise vorüberstreicht– ist meine Wahl. Dass meine Knie nach herausgesprungener Kniescheibeschmerzhaft vor sich hin schlackert, weil ich nicht zur Physiotherapie gehe– ist meine Wahl. Wie sagt Sprenger: „Wer keine Zeit hat, will nicht.“ Und dass ichals leidenschaftliche Autofahrerin es nicht übers Herz bringe, meinen Leuten dasDisy-Auto abzunehmen, dass ich selbst fahren kann – ist meine Wahl.

 

Es sind nicht die anderen oder die Umstände. Meinem Glück stehe im Zweifel nurich selbst im Weg.Und wer steht Ihrem Glück im Weg?

 

Herzlichst!

Anja K. Fließbach