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Weg mit den Blockaden

Die Energie soll fließen, bestehende Blockaden sollen gelöst werden, die Selbstheilungskräfte angeregt - das und noch viel mehr soll die Cranio Sacral-Therapie können. Die alternative Heilmethode ist wie so viel anderes nicht wissenschaftlich belegt. Deshalb wird sie von einigen geschätzt und von anderen bezweifelt. Disy-Redakteure haben den Selbstversuch gewagt und sich einer Cranio Sacral Therapie bei Dresdner Therapeuten unterzogen. Lesen Sie hier ihre Berichte...

Schwer wie Blei

Hell und freundlich mit Blick auf das Schwimmbad - so sieht der Behandlungsraum von Silke Ander aus. Die Physiotherapeutin mit der Zusatzausbildung Cranio Sacrale Osteopathie empfängt mich ruhig, zurückhaltend, aber mit einem warmen Lächeln und einem warmen Händedruck. Sie möchte nicht reden. "Hinlegen und genießen", sagt sie und ich mach es genau so. Sie sitzt hinter mir und beginnt mit beiden Händen unter meinem Kopf zu "arbeiten". Ihre sanften Bewegungen im Nacken erzeugen bei mir ein lautes Klopfen im linken Ohr. Ich sage ihr das flüsternd und sie meint, sie habe das schon gespürt. Dann bin ich ja beruhigt. Sie bearbeitet meinen Kopf sanft weiter, benutzt kräftige Griffe, die sich zum Teil wie ein Schraubstock anfühlen. Es ähnelt einer Massage und ich freue mich, dass ich ordentlich etwas spüre - nicht wie das Klischee der Cranio Sacral - Behandlung, man liegt da und nichts passiert. Silke Ander kümmert sich lange um meine Kopf. Sie redet nicht. Ich bin tiefenentspannt. Dann kümmert sie sich kurz um das Kreuzbein, schiebt die flache Hand unter den unteren Rücken und die Arme auf die Hüften. Doch recht bald ist sie wieder beim Kopf. Als sie fertig ist, will sie mir ein Kissen unter den Kopf schieben, aber ich bin nicht in der Lage, meinen Kopf anzuheben. Er fühlt sich wie Blei an. Ich muss mit meiner rechten Hand meinen Kopf hochziehen. Silke Ander verordnet mir Nachruhezeit, obwohl ich schnell zurück in die Redaktion möchte. "Nix da", erklärt die Therapeutin. "Sonst bekommen Sie ihren Kopf gar nicht mehr hoch."Im anschließenden Gespräch erklärt sie mir, dass mein Cranio-Sacral-System gestört sei. Entweder habe ich zuviel Stress oder meine Abwehrkräfte hätten gerade mit einem Infekt oder ähnlichem zu kämpfen. Ich solle einen schönen Urlaub machen. Ich frage, was sie jetzt gemacht hat. Sie meint, sie habe das gesamte System entspannt und die Selbstheilungskräfte angeregt. "Ich schaue mit den Händen, wohin mich das Gewebe zieht", erklärt sie. Wo mehr Spannung ist, muss etwas getan werden. Mit der Cranio Sacralen Osteopathie, die sie vor allem bei Kindern und Säuglingen einsetzt, könne sie Haltungsprobleme beeinflussen, Asymmetrien aufhalten und bei Nervosität Entspannung bringen. Erwachsene kämen oft zu ihr, wenn sie Befindlichkeiten hätten, die der Arzt nicht einordnen kann. Für mich hat es auf jeden Fall eine tiefe Entspannung gebracht. Ich fühle mich wie nach einem langen Schlaf, bin ausgeruht und ausgeglichen. Toll!

Silke Ander, Friedrichstraße 40, Dresden 35 Euro/45 Minuten Tel.: 0351/2139409, www.pt-ander.de

Total verschobebn

Ulrike Pohl empfängt mich in ihrem hellen Behandlungsraum in einer Praxis in der zweiten Etage eines Wohnhauses. Hier teilt sie sich die Räume mit einer Heilpraktikerin. Ich lege mich entspannt in legerer Alltagsbekleidung auf eine Liege. Sie umfasst mit beiden Händen meine Füße. Stille. Ich überlege, was sie jetzt tut, ob sie überhaupt etwas tut. Dann bemerke ich, dass sie langsame, kreisende Bewegungen macht. Ganz flach, ganz leicht. Ein wenig zieht sie, ein wenig dehnt sie. "Aha", sagt sie dann und fragt mich, was ich fühle. Ich überlege kurz und antworte, dass ich mich ab der Hüfte aufwärts sehr steif fühle. Sie lacht und freut sich, dass ich angeblich so eine gute Körperwahrnehmung hätte. "Ihre untere und obere Hälfte harmonieren nicht und Sie sind auch vertikal nicht im Gleichgewicht." Innerlich muss ich lachen - also doch total verschoben. Von rechts schiebt sie ihre flache Hand unter der Decke auf der ich liege durch und legt sie unter mein Kreuzbein. Mit dem ganzen Arm drückt und schiebt sie in kaum merklichen Bewegungen hier etwas herum und da etwas hin. Dann fragt sie wieder: "Was fühlen Sie?" Ich gebe zu, dass ich angespannt bin. Ihre unterschiedlichen Fragen führen zur Erklärung: Es ist Wut. Woher die Wut kommt, will sie wissen. Na, dass die anderen immer fordern, dass ich mich um sie kümmere und sich keiner um mich kümmert. Ich höre mich wie im Trance reden. Ruhig, unartikuliert, als ob es gar nicht ich bin, der da spricht. Mit hoher Stimme sagt Frau Pohl: "Was fühlt den die kleine Katrin in diesem Moment?", so als ob man mit einem Kind redet. Jetzt hat sie mich rausgebracht. Ich muss innerlich so laut lachen und spanne meinen Körper an, damit ich nicht unhöflich erscheine und lospruste. Auf dieser Kinderschiene geht es weiter. Ich bin ja hier, um mich darauf einzulassen und versuche, mich wieder zu entspannen. Okay, dann gehe ich eben gedanklich in meine Kindheit und ja, sie hat Recht, dass ich damals meine Wut nicht so recht rauslassen durfte. Ob ich das jetzt tun möchte - aufstehen und laut schreien? Ne, ne - das möchte ich nicht. Während sie lange mit mir über Wut redet, bearbeitet sie meine Hüfte weiter. Sie meint, dass sie sich merklich entspannt. Danach ist noch kurz das Zwerchfell dran. Dazu legt sie eine Handfläche wieder unter die Unterlage auf der ich liege und unter meinen Rücken, die andere auf meinen oberen Bauch. Es wird schön warm und ich bin froh, dass endlich nicht mehr gesprochen wird. Dann meint sie doch noch, dass ich mir am Ende etwas Nettes sagen soll. Ich mach das lieber im Stillen und sage mir etwas regelrecht Liebevolles. Wenn es schon kein anderer tut. Das breite Grinsen in meinem Gesicht verrät mich. Wie sich mein Herz jetzt anfühle, fragt sie. "Es saugt das auf wie ein Schwamm", antworte ich und Ulrike Pohl lacht laut. Ich bin wohl kein typischer Kunde. Dann ist es auch schon vorbei. Ich bin weder entspannt noch angespannt. Neutrale Gemütsstimmung. Wir unterhalten uns noch etwas."Ich habe geschaut, wo sie Unterstützung brauchen", erklärt Ulrike Pohl. Sie hätte Spannungen im Becken und Hüftbereich gespürt und im Zwerchfell. "Mich führt ihr Körper", meint sie. Im Cranio gebe es Techniken, aber es wären auch energetische Behandlungen. Ich will wissen, ob immer so viel gesprochen wird. Frau Pohl erklärt, dass sie die Behandlung mit Prozessarbeit verbunden hat. Innere, unbewusste Prozesse bringe sie hervor. Diese Prozesse würden sich auch im Körper zum Beispiel in Form von Verspannungen widerspiegeln. Angst und Wut sammeln sich zum Beispiel in der Leber und meine Leber hätte sie rufen gehört. Aber das käme Stück für Stück in den Folgesitzungen dran. Denn jede Sitzung sei anders.

Ulrike Pohl, Haydnstraße 21, Dresden
60 Euro/Stunde
Tel.: 0351/3117704, www.ulrikepohl.de

Was ist Cranio Sacral?

Die Cranio Sacral-Therapie wurde 1970 von dem amerikanischen Arzt John E. Upledger entwickelt. Die Behandlung konzentriert sich vor allem auf Massagen im Kopf-, Wirbelsäulen- und Kreuzbein-Bereich. Daher stammt auch der Name: Cranium ist lateinisch für Schädel, Sacrum bedeutet Kreuzbein. Ziel der Behandlung ist vorrangig, den Energiefluss im Körper wieder herzustellen und bestehende Blockaden zu lösen. Um das zu erreichen, massiert der Therapeut an bestimmten Punkten Muskeln und Knochen mit speziellen Handgriffen. Die Technik beruht auf der Annahme, dass die Flüssigkeit im Gehirn und im Rückenmark rhythmisch pulsiert. Werden diese sogenannten Pulsationen durch winzige Verschiebungen in der Schädelplatte gestört, verhindert das den Energiefluss - eine Pulsationsblockade entsteht. Die Cranio Sacral-Therapie soll bei Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, Tinnitus oder Entzündungen helfen, aber vor allem kann sie die Selbstheilungskräfte des Patienten unterstützen. Auch bei posttraumatischen Belastungsstörungen oder bei Depressionen kommt die alternative Heilmethode zum Einsatz. Ob die Therapie allerdings wirksam ist, konnte bislang noch nicht wissenschaftlich nachgewiesen werden.