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Stuhlinkontinenz bei Kindern durch Fehlbildungen des Darmes

Stuhlinkontinenz ist auch im Kindesalter ein Tabuthema: Anorektale Fehlbildungen treten in Deutschland mit einer Häufigkeit von 1:3000 bis 1:5000 bei Neugeborenen auf. Dabei handelt es sich umeine Fehlbildung des unteren Darmabschnitts, sodass entweder kein Anus angelegt wurde oder der Enddarm in einer sehr dünnen Fistel ausläuft, die dann entweder am Damm mündet oder im Bereich der inneren Harnwegs- oder Geschlechtsorgane.

 

Beim Mädchen mündet die Fistel dann meist hinter der Scheidenöffnung oder seltener im Bereich der häufig doppelt angelegten Scheiden- oder Gebärmutteranlage. Bei den Jungen mündet die Fistel ebenfalls im Dammbereich oder in die hintere Harnröhre. Die Mündung kann im unteren Abschnitt der Harnröhre münden, aber auch weiter oberhalb im Bereich der Prostata bis in den Blasenhals oder in die Blase. Die Ausbildung der Fehlbildung bietet eine ganze Bandbreite an Fehlbildungsformen,die von milden über mittlere bis hin zu schweren Malformationen reicht. Je nach Ausprägung der Fehlbildung sind auch der Beckenboden und die Schließmuskulatur gut oder eher verkümmert angelegt. Bei bis zu 50 Prozent der Patienten kommt es zu weiteren Begleit-fehlbildungen, die die Stuhlregulierung zusätzlich ungünstig beeinträchtigen, wie zum Beispiel Fehlbildungen der unteren Wirbelsäule/des Rückenmarks und damit auch fehlende oder gestörte nervale Innervation von Blase und Mastdarm. Aber auch Nieren-/ Harnleiteranomalien sowie Fehlbildungen an Herz und Speiseröhre sind häufig vertreten. Auch mit der bestmöglichen Operation werden die Patienten nur zu 75 Prozent kontinent.

 

Rund 25 Prozent der Patienten haben aufgrund ihrer angeborenen Fehlbildung keine Möglichkeit, eine vollständige Kontinenz zu erreichen.In vielen Fällen kann direkt nach der Geburt operativ ein Neo-Anus gebildet werden, bei einem Teil der Patienten ist es kurz nach der Geburt notwendig, einen Anus praeter (künstlichen Darmausgang) anzulegen und erst nach einigen Wochen die eigentliche Durchzugsoperation durchzuführen. Je nach Ausbildung der Fehlbildung liegt eine eher verstopfende Komponente bei den niedrigen und mittleren Fehlbildungsformen vor, das heißt, die Patienten spüren ihren Defäkationsdrang spät und gehen nicht rechtzeitig und regelmäßig zur Toilette.Dabei sammelt sich meist fester Stuhl im unteren Enddarmabschnitt,sodass es zu einer Überlaufenkopresis kommt, das heißt, die Patientenentleeren täglich Stuhl, aber meist nur kleine Portionen und der Rest verbleibt im Enddarm und sammelt sich an. In Stresssituationen oder bei Überlastung des Enddarms werden dann kleinere oder größere Portionen Stuhl unwillkürlich abgesetzt, so dass es zu einem Überlaufschmieren kommt. Der Patient trägt ständig verschmutzte Unterwäsche oder Einlagen, beziehungsweise Windeln sind notwendig.Bei den höheren Fehlbildungsformen liegt aufgrund der anatomischen Gegebenheiten keine willkürliche Kontrolle des Enddarms vor. Bei exakter Diagnose, dem Wissen um den intraoperativen Befund (Vorhandensein von Schließmuskel, Beckenboden, Höhe der Fistel) und der vorliegenden Begleitfehlbildungen kann bereits frühzeitig ein Rückschluss auf die Kontinenzprognose gezogen werden.

 

Dementsprechend sollte nach einer erfolgreichen Operation die postoperative Versorgung und Nachsorge als wichtiger Parameter auf dem Weg zum Sauberkeitstraining gesehen und als therapeutischer Ansatzgenutzt werden, um die Patienten frühzeitig zur sozialen Kontinenz zu bewegen. Das vermeidet große Enttäuschungen bei den Eltern und nimmt dem Patienten den Druck, der auf ihm lastet, wenn alle um ihnherum sauber sind und es bei ihm einfach nicht klappen will. Neben Stuhlweichmachern, Abführmitteln und Klistieren, Physiotherapie oder einem von einigen Krankenhäusern angebotenen interdisziplinären Stuhltraining, gibt es die Möglichkeit eines retrograden Spültrainings,um den unteren Enddarm oder den gesamten Dickdarm des Patienten zu reinigen. Dies geschieht individuell für jeden Patienten und wird zunächst von den Eltern durchgeführt. Mit etwa acht Jahren kann der Patient eigenständig zu einem bestimmten Zeitpunkt seinen Darm auf der Toilette spülen und bleibt anschließend für 24 bis 28 Stunden sauber. So wird eine soziale Kontinenz erreicht und das Tragen von Windeln oder Einlagen ist nicht mehr notwendig. Der Patient kann am Schulsport oder Freizeitangebot teilnehmen und ein „normales“Leben führen. In Zusammenarbeit mit der Selbsthilfegruppe SoMA e.V. (Selbsthilfeorganisation für Menschen mit anorektalen Fehlbildungen),einem in Deutschland gegründeten Register für Fehlbildungen(CUREnet) und einem europaweiten Register (ARMnet) werden überregional viele Patienten aus Deutschland und Europa zur individuellen Darm-Therapie erreicht, die über einen langen Zeitraum, nämlich bis zum Eintreten ins Erwachsenenalter, von Kinderchirurgen betreut werden. Ein geplantes Neugeborenregister soll helfen, eine bessere Übersicht über die vorhandene Anzahl an angeborenen anorektalen Fehlbildungen zu bekommen und in Follow-up Untersuchungen den tatsächlichen Therapieerfolg aufzuzeigen.