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Von Höhen und Tiefen
Er schrieb „eruptive“ Lyrik, promovierte in Wahrscheinlichkeitstheorie, lernte Schauspielerei im Selbststudium, brachte verschiedenste Stücke auf die Bühne, dreht Filme mit einem Freund, war Leiter des „theater 50“ und der privatbühne „bebe“ und machte sich um die nachwuchsförderung verdient. Den meisten Dresdnern ist er als „Betrunkener sachse“ bekannt und ist doch sehr viel mehr. Dieses Mal ging Disy mit Olaf Böhme spazieren und startete in der elbterrasse Wachwitz.
Weißes Hemd, leger aus der Hose hängend, der Schlips baumelt lose um den Hals, leicht schwankend und mit schwerer Zunge – so kennen ihn die meisten von der Bühne. Der „Betrunkene Sachse“ ist so was wie sein Marken- zeichen. Im täglichen Leben ist er meist in bequemeren Jeans unterwegs. So auch bei unserem Spaziergang.
Das Wetter macht es uns nicht leicht. Der Tag beginnt mit Nieselregen und Wind. Nicht unbedingt einladend für einen Spaziergang durch die Elbauen. Bis zum Nachmittag hellt es dann doch noch ein wenig auf, der Regen legt eine Pause ein, nur noch feiner Nebel hängt über den Wiesen - Glück gehabt. Wir treffen uns in der „Elbterrasse Wachwitz“ und beschließen, uns als Erstes auf der Freiterrasse einen wärmenden Kräutertee zu gönnen, bevor wir loslaufen. „Das fänd ich schick“, sagt er mit einem Lächeln. Nachdem er geklärt hat, inwieweit sein Wunsch erfüllt wurde, das Ge- spräch mit jemandem führen zu können, der ein Gespür für die Sache hat, wenden wir uns seinem nicht unbedingt typischen Entwicklungsweg zu. In Dresden geboren und aufgewachsen, machte er Abitur und studierte Mathematik an der TU Dresden. Anschließend sollte eine dreijährige Aspirantur in Kiew folgen, die jedoch bereits nach einem Jahr ein Ende fand. Er geriet unvermutet in eine Lebenskrise, die nicht mit drei Worten beschrieben ist, über die er heute sagt: „Ich konnte nichts mehr machen, nicht mehr arbeiten, ich dachte, mein Leben ist zu Ende.“ Er suchte sich psychotherapeutische Hilfe, und im Laufe dieser Zeit tauchte der Gedanke auf, dass das, was ihm da widerfuhr, ein Zeichen dafür war, dass nicht alles so werden sollte wie bisher, sondern dass vielleicht alles falsch war. Konzentriert gesagt: „Ich bin eigentlich ein ganz anderer, als ich all die Jahre gewesen war.“ An diesem Punkt begann für ihn ein Weg, den er, auch auf die Gefahr hin, etwas zu klischeehaft zu klingen, als Suche nach sich selbst bezeichnet.
Da er kein Instrument spielte, blieb ihm zur Krisenbewältigung nur der Umgang mit Worten, um die Dinge, die ihn bewegten, auszudrücken. „Ich war wie ein Dampfkessel, und da öffnete sich ein Ventil, und dann kam ein Gedicht raus.“ Etwas, was er mit einem Lächeln als „eruptives Schrei- ben“ bezeichnet, was in dieser Zeit aber „lebensrettend“ für ihn war. Diese Lebenskrise war auch die Ursache, die Olaf Böhme auf die Bühne führte. Ihm wurde klar: Wenn er nicht die Möglichkeit findet, sich als Ganzes zu zeigen und zu produzieren und sich dabei Leuten auszusetzen, durch deren Reaktionen er über sich etwas erfährt, würde das alles nichts. Zu dieser Zeit (1985) befand sich die Amateurtheatergruppe „Spielbrett“ in der Gründung, und er stieg mit ein. Hauptberuflich arbeitete er noch immer als Mathematiker, hatte 1983 auf dem Gebiet der Wahrscheinlichkeitstheorie promoviert. Als 1987 ein Leiter für das „theater 50“ gebraucht wurde, griff er begeistert zu.
Inzwischen wird es frisch auf der Terrasse, der Tee ist ausgetrunken, sodass wir nun ein Stück elbaufwärts laufen. Die Wiesen sind aufgeweicht und morastig. Nach der Enstehungsgeschichte des „bebe“ gefragt, erzählt Olaf Böhme vom Umzug des „theater 50“. Die Räume in Löbtau wurden dadurch frei. Der Gedanke ließ ihn nicht mehr los, sich einen sicheren Ort zu schaffen, wo die Leute zu ihm kommen müssen, was ganz seins ist. Im „bebe“ fühlte er sich so sicher, dass er dort auch Programme auf die Bühne brachte, die „nicht nur lustig“ waren. 2001 musste er aus baulichen Gründen das „bebe“ aufgeben. „Der betrunkene Sachse“ wurde seine bekannteste Rolle: „Es gab eine ganze Reihe von Problemen gerade in der Wendezeit. Und da Kinder und Betrunkene die Wahrheit sagen, hat es mir die Figur leicht gemacht, Sachen zu sagen, über die sich die Leute zereimern, wovon vieles aber sehr, sehr bitter ist.“ Später gab es eine Zeit Ende der 90er-Jahre, da wollte er es schon lassen mit der Figur, die Programme zermürbten ihn zusehends, bis er merkte, es lag nicht an der Figur, sondern an seinem Verhältnis zur Bühne und zum Publikum. Die Angst vor den Auftritten, der Druck, unter dem er stand („wenn die jetzt nicht lachen ...“), und die allabendlichen Wiederholungen machten ihm das Spielen schwer. Sein ursprüngliches Anliegen war ja, sich nicht verstellen zu müssen und rauszufinden, wer er wirklich ist. Als er begann, seine Programme nach Tagesform zu spielen, war das Publikum begeistert. Seine Erkenntnis: „Wenn Dinge authentisch sind, merkt das das Publikum, es ist dann voller Drive und Lebendigkeit.“ Jetzt konnte er auch wieder locker den „Betrunkenen Sachsen“ spielen. Die Figur ist jedoch mit seinen Veränderungen mitgegangen, ist intensiver, vielleicht auch schärfer geworden, aber immer noch unverkennbar.
Um uns herum wird es langsam dunkel, kühler und nebliger. Wir beschließen also, das Gespräch in die kuschelige Wärme der „Elbterrasse Wachwitz“ zu verlegen. Außerdem plagen uns Hunger und vor allem Durst vom vielen Reden. Während wir auf die Getränke warten, berichtet Olaf Böhme von einem Projekt, auf das er „ein bissel stolz ist“, obwohl er das Wort sonst nicht leiden kann, ein Projekt, das mit „sein Kind“ gewesen ist – die „Feldschlößchen-Kleinkunstparty“ (kurz FKK-Party genannt). Da selbst ein Quereinsteiger, lag es ihm am Herzen, anderen ein Podium zu bieten, „wo die Leute sich mal ausprobieren können und nicht mehr nur im Wohnzimmer vor der Tante singen müssen.“ - ein Satz, den er unter herzlichem Gelächter als so unbedingt druckfähig bezeichnet.
Von zwölf Jahren voller Höhen und Tiefen sind aus dieser Zeit zwei Bände „Herrn Pichmanns Gedichte“ und viele Erinnerungen geblieben. Während des Essens streifen wir noch seine anderen Hobbys. Seine „Malerei“, seine Arbeiten mit Holz, Dinge, bei denen der Vorgang des Produzierens für ihn wichtiger ist als das Ergebnis. „Ich tue was und quatsche nicht nur, ich muss nicht den Maßstäben anderer Leute folgen, sondern nur meinen eigenen.“ Seit 2001 wohnt er außerhalb der Stadt im Grünen, ein Weggang nicht nur von der Stadt, sondern auch von der üblichen Zivilisation an sich. Er teilt sein Haus mit einer weitverzweigten Katzenfamilie, ein Thema, bei dem er ins Schwärmen und Erzählen kommt. Vielleicht sollte er diese Geschichten in einem Buch festhalten, genug spannendes und lustiges Material hätte er allemal. Sehr wichtig für ihn war 2006 die Mitwirkung im „Beckett-Projekt“ des Staatsschauspiels Dresden – ein Angebot, worüber er sich „gebauchmiezelt“ gefühlt hat. Bescheiden fügt er an:„Das gibt ein gewisses Urteil ab, dass man nicht nur der Spaßmacher ist, sondern auch bissel was kann.“ Eine Aufgabe, die ihn sehr forderte und in seelische Anspannung versetzte, aber auch die schöne Erfahrung mitbrachte, sich bewiesen zu haben. Er hatte die ganze Bühne für sich und freute sich, „dass ich es hinkriege, als einzelnes Männel, einfach dadurch, wie ich bin, das zu füllen“ – und lacht verlegen.
Zu seinen Zukunftsplänen befragt, sagt Olaf Böhme: „Es muss nicht sein, dass ich das ein Leben lang mache. Es ist nicht so, dass ich sage, ich hab jetzt hier meine Berufung gefunden. Gerade jetzt ist so eine Phase, in der dieser Prozess, über das Spiel auf der Bühne und die Konfrontation mit den Leuten etwas über mich zu erfahren und mich zu finden, einen gewissen Abschluss gefunden hat. Deswegen brauch ich dafür die Bühne nicht mehr, ich freu mich nach längerer Spielpause aber wieder drauf. Es ist jetzt alles viel weniger angstbeladen. Ich gucke einfach, wie mir‘s weiter geht und was ich weiter will. Das Leben ist, obwohl ich nun auch schon etwas in den Jahren bin, viel offener geworden, und es ist auch möglich, dass ich mich anderen Din- gen zuwende.“
Damit hat er den perfekten Abschluss geliefert, obwohl es über Olaf Böhme noch viel zu erzählen gäbe. Die Zeit verging wie im Flug. Draußen ist es inzwischen dunkel, und sein nächster Termin rückt heran. Wir brechen mit der Erinnerung an einen lustigen Spaziergang und einen gemütlichen Nachmittag auf. Kerstin Fiedler