- Dezember 07, 2021
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Prof. Albrecht zu Corona: "Es ist noch nicht vorbei."
Prof. Dr. med. D. Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden und langjähriger erster Vorsitzender im Verband der Universitätsklinika Deutschlands, über die Chronologie der Pandemie, persönliche Corona-Erlebnisse und den aktuellsten Stand bei Mutationen, Therapie-Möglichkeiten und die Lage in den Kliniken.
„Die Krankenhäuser wurden zu Hotspots.“ - Chronologie der Pandemie
Wir befinden uns seit über einem Jahr in einer Pandemie. Wann hörten Sie das erste Mal von dem neuen Virus?
Albrecht: Ich weiß das noch sehr genau. Das war am 16. Januar letzten Jahres als die chinesischen Berichte sich gehäuft und wir darüber diskutiert haben. In unseren Kliniken gab es da schon zwei Meinungen aus zwei Lagern. Die eine Seite ging davon aus, dass sich das Virus nur in China ausbreitet, während andere voraussagten, dass es sich sicher nach Europa kommt und uns große Probleme bereiten wird. Aber niemand, ich eingeschlossen, hat vorausgesehen, was wirklich passieren würde.
Hatten Sie, wie wir ja auch, zu diesem Zeitpunkt schon die Daten aus China wie die Epidemie dort ablief? Verlauf, Schweregrad, Todeszahlen... Es gab doch schon relativ schnell exakte Beschreibungen?
Albrecht: Ja. Es war aber auch so, dass wir unterschiedliche Quellen hatten. Es gab auch Bildmaterial, zum Teil nicht offizielles, mit beispielsweise zahlreichen Leichensäcken. Wir hatten von chinesischen Medizinern Berichte, die schilderten, wie schwer vorhersehbar die Verläufe bei Patienten sind, dass es manchmal sehr schnell „abkippe“ und diese intensivpflichtig würden und es gab auch die ersten Engpässe und das Überrollen der Krankenhäuser durch sehr akut und schwer erkrankte Patienten. Schon früh gab es die ersten Spekulationen über Ursachen und Hintergrund des Verlaufes, sowie mögliche Therapien. Es war aber immer noch weit weg von uns.
Ich habe zu Beginn letzten Jahres jeden Tag auf die Zahlen geschaut und sie ins Verhältnis gesetzt: Wie viele Infizierte gab es gegenüber wie vielen Toten, um herauszufinden, womit wir es in China zu tun hatten und ob es wirklich ein Todesvirus war. Ging es Ihnen auch so?
Albrecht: Die Berichte von den Medizinern waren sehr ernsthaft und zum Teil sehr dringlich, so wie wir es dann auch bei den italienischen Kollegen gesehen haben. Da hatte man schon das Gefühl, das war nicht hochgespielt. Vor allem war da schon auffallend, dass alle schrieben, dass sie so etwas in der Art vorher noch nicht gesehen hatten. Sie kannten ja nun den SARS-Virus und die Epidemie, wie sie damals abgelaufen ist – auch mit sehr vielen schweren medizinischen Verläufen. Ich hatte früh medizinische Berichte, die sagten, das Virus sei nun weitaus schlimmer mit sehr viel mehr Patienten.
Ich hatte das Virus zu Beginn sogar noch schlimmer eingeschätzt und war froh, als ich hörte, dass die ersten Genesenen die Krankenhäuser in China wieder verlassen hatten. Also konnte man es überleben. Wann war Ihnen klar, dass wir in Deutschland davon betroffen werden? Als es die ersten Fälle in Bayern gab?
Albrecht: Da war dann klar, dass es nicht begrenzt bleiben würde. Aber es hat noch Keiner darauf geachtet, es gab ja keine Beschränkungen oder ähnliches. Aber in der bayerischen Firma in der die ersten Fälle auftraten, hat man gesehen, wie ein Kontakt zu einer schnellen Verbreitung führt. Als dann Ende Februar die Infektionswelle in den Skigebieten stattgefunden hat und die Rückkehrer in Baden-Württemberg und Bayern in kürzester Zeit die Kliniken überrollten, war es klar. Wir haben dorthin gute Kontakte, ich kenne persönlich viele Intensivmediziner, die zum Teil sehr entsetzt waren, dass die Intensivstationen wellenartig geflutet wurden. Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass das jetzt massiv losgehen würde. Auch, wenn wir damals noch sehr naiv angefangen hatten, war es logisch, dass wir mit einer Belastungssituation rechnen mussten.
Das war dann sicher der Zeitpunkt, als Sie mit gewissen Planungen begannen, oder?
Albrecht: Nach den Berichten aus den norditalienischen Kliniken, zeitgleich auch jenen aus Baden-Württemberg und aus anderen südlichen Bundesländern, da wusste ich, auf was wir uns einstellen mussten. Auch wenn wir zu dem Zeitpunkt nicht viel über das Virus wussten. Mein Hauptantrieb war: „Hier darf es kein Bergamo geben.“
Wie wollten Sie das verhindern?
Albrecht: Ich beschäftigte mich mit der Situation in Italien. Die schlimmen Bilder gab es nur von bestimmten Häusern. Ich kenne die Regionen, da gab es dann fünf Kilometer weiter weg eine Klinik, da war so gut wie nichts los. Also ist klassisch das passiert, was zu befürchten war. Die Akutpatienten kamen quasi als Wellen im Krankenhaus an und dort konnte man die Situation nicht beherrschen. So sind Notaufnahmen und Intensivstationsbetten vollgelaufen. Es gab teilweise ein Organisations-Durcheinander. Das haben meine Freunde und Kollegen geschildert. Die waren kopflos. Sie haben zum Beispiel ohne Schutzkleidung Patienten notfallmäßig behandelt und am Ende war es dann so, dass viele der Pflegekräfte und viele der ärztlichen Kollegen sich selbst dabei infizierten und eine riesige Personalmangel-Situation entstand. Bestimmte Krankenhäuser waren überflutet und wurden selbst zu Hotspots.
Es ist schon verrückt, wenn man überlegt, dass Krankenhäuser und Kliniken zum Verteiler einer Epidemie wurden. Also Sie wussten, was da passiert, was für ein Durcheinander herrschte und konnten sich gut darauf einstellen, um das hier zu vermeiden?
Albrecht: Deswegen habe ich gesagt, wir müssen ein System aufbauen, das verhindert, dass eine der Kliniken überflutet würde. In der Gegend um Zittau gibt es eine Menge Altenheime, wo viele Pflegekräfte über die Grenze pendeln. In dem Fall einer große Infektionswelle in Ebersbach, Zittau, Görlitz hätten die Krankenhäuser dort genauso schnell so da gestanden, wie die Kliniken in Bergamo.
Sie hatten da gleich eine großartige Idee.
Albrecht: Wir haben Cluster gebildet und eine eigene Leitstelle eingerichtet. Das war vollkommen neu, das gab es nirgends. Die Feuerwehr- und Rettungsleitstellen haben mitgespielt. Wir haben gesagt: „Ab jetzt sind wir verantwortlich für alle Patienten, die als Coronaverdachtsfälle gemeldet werden. Dann übernehmen wir die Verteilung dieser Patienten.“ Wir haben eingeführt, dass von da an tagesaktuell die freien Betten gemeldet wurden. Ich weiß seit einem Jahr, wie viele Betten es in den 36 Kliniken meines Clusters gibt, für das ich Verantwortung trage. Die Leitstelle ist 24 Stunden, sieben Tage die Woche besetzt. Da saßen zu Höchstzeiten sechs bis acht Leute vor Bildschirmen und wir hatten zum Teil 150 bis 200 Anrufe am Tag und verteilten die Patienten. Wenn es schwere Intensivfälle waren, haben wir die gleich nach Dresden übernommen. Das läuft so seit Ende März letzten Jahres.
„Zu spät, verzögert, halbherzig.“ - Die Rolle der Politik
Das klingt, als ob Sie die Dinge in Ihre Verantwortung genommen und geregelt haben. Sie wussten worum es geht. Haben Sie eine Idee, warum zu diesem Zeitpunkt die Gefahr sonst in Sachsen so verharmlost wurde? Es wurde ja immer gesagt, das Virus sei nicht schlimmer als eine Grippe.
Albrecht: Das ist eine allgemeine Gemengelage. Das ist jetzt auch immer noch nicht anders, muss man sagen. Wir leben da in Phasen.
Die sächsische Politik war selbst im Herbst noch sehr entspannt und nahm die Lage nicht ernst. Ministerpräsident Kretschmer warnte vor „übertriebener Hysterie“. Aber Sie wussten, was mit der zweiten Welle auf uns zu kam.
Albrecht: Wenn wir gut sein wollen, müssen wir den Leuten Sicherheit geben können, was in den nächsten Wochen passiert. Wir müssen eine Prognose daraus erstellen können. Deswegen haben wir ein Berechnungswerkzeug entwickelt. Jeden Tag lagen mir die neuen Daten der Gesundheitsämter vor. Damit wussten wir tagesaktuell, wie viele positive Fälle es gab, wie viele in den Krankenhäusern angekommen sind und daraus haben wir einen Rechenalgorithmus erstellt: Wenn die Infektionsgeschwindigkeit so bleibt, wird es in ein oder zwei Wochen so und so viele Patienten auf den Stationen geben. Ja, wir wussten was da kommt. So konnten wir die Behandlungsbedürftigen einigermaßen gleichmäßig über das gesamte Bundesland verteilen - konnten Betten frei halten oder Kliniken steuern. Denn wir waren im Dezember vor dem Kollaps und hätten es ohne dieses System sicher nicht geschafft. Die sächsischen Krankenhäuser hätten das einzeln so nicht hinbekommen können.
Eine dramatische Situation. Zu diesem Zeitpunkt gab es in Sachsen noch die Schulpflicht. Man war gezwungen, seine Kinder in Schulen mit vollen Klassen, ohne Abstand und Masken zu schicken. Hätte man die Bevölkerung nicht mehr aufklären müssen und nicht Bilder erzeugen, wo Politiker selbst ohne Masken herum liefen?
Albrecht: Innerhalb der Krankenhäuser und zwischen Experten waren sich die Akteure der Lage bewusst. Über die Bürger stürmten dagegen undifferenzierte Nachrichten ein - etwa in Form nicht exakter Inzidenzienwerte. Wer mathematisch gut drauf ist, sagt dann, gut 100 positive Fälle auf 100.000 und dies auf mein Dorf heruntergerechnet, das sind zwei Personen. Er sieht weder die schwer Erkrankten, noch sieht er die Probleme in den Krankenhäusern, noch kennt er die Krankheit als solches. Die Medien haben sich schon bemüht. Es wurden viele Berichte geschrieben und Filme auf den Stationen gedreht. Aber viele Jüngere holen sich ihre Informationen von zum Beispiel Social Media, wo wirklich jeder User Quatsch verbreiten kann.
Auch an den Diskussionen in den sozialen Medien waren teilweise Politiker beteiligt und haben nicht zur Aufklärung beigetragen. Im Gegenteil... Viele öffentlichen Debatten wurden erst durch eine Aussage von einem Ministerpräsidenten oder von einem Bild, das erzeugt wurde, angestoßen. Und da ging es manchmal in die falsche Richtung. Hätten die alle gemeinsam gewarnt, wäre das eindeutig gewesen.
Albrecht: Ich habe auch immer vertreten, dass wir das Geschehen nicht hinter den Krankenhausmauern verbergen darf. Wir müssen das nach außen vertreten. Wir müssen die Krankheit zeigen. Wir haben Fälle bei uns in die Zeitung gebracht: zum Beispiel eine 50-jährige Krankenschwester, die wir mit Mühe und Not am Leben gehalten haben. Wir haben auch Journalisten direkt auf die Intensivstation geholt. Das war notwendig. Ich habe aber auch erlebt, in Krankenhäusern in Sachsen, dass Leute eingedrungen sind, um zu schauen, ob da wirklich Corona-Patienten liegen.
Wirklich? Das gibt es doch nicht!
Albrecht: Ja, das ist passiert. Daran merkt man, was es für eine öffentliche Meinung gibt. Da fällt es Leuten natürlich leicht, Falschmeldungen zu verteilen. Das gleiche passiert ja jetzt auch mit den Impfungen.
Wie war das? Sind Sie bei der Politik offene Türen eingelaufen oder sind Sie auch mal verzweifelt, da Sie eine andere Auffassung hatten und da Sie Dinge anders gesehen haben, als die, die es letztlich zu entscheiden hatten. Sind Sie da auch manchmal mit dem Kopf durch die Wand oder war das nicht nötig?
Albrecht: Ich bin im Prinzip ein ungeduldiger Mensch. Wenn ich denke, etwas ist notwendig und sinnvoll, dann will ich es auch gleich machen. Die Politik ist aber natürlich anders. Da gibt es eine Menge an Zwängen, die ich in der Zeit auch tiefer kennengelernt habe. Das ist dann nicht so einfach, sich durch die verschiedenen Gemengelagen hindurch einigermaßen mit einem Kompromiss sauber darzustellen. Das ist mal mehr und mal weniger gut gelungen. Was mir schwer gefallen ist, war die endlos lange Zeit, die verloren wurde. Beispielweise hatte ich vor Ostern für einen harten Lockdown plädiert, weil ich gesagt habe, durch unsere Berechnungen werden wir eine ordentliche dritte Welle erleben und da sollten wir die Zeit um Ostern nutzen.
Also fanden Sie die Osterruhe gut?
Albrecht: Die Idee vom Kanzleramt war okay, aber vollkommen naiv gemacht. So einen Begriff der Osterruhe kann man nicht verkaufen. Ich war für einen harten Lockdown. Es waren Schulferien, das Wetter war scheußlich, alle Leute hätten sich nochmal zwei bis drei Wochen gequält und dann wären wir durch gewesen. Aber dann haben wir von der Woche vor Ostern bis drei Wochen danach immer noch darüber geredet, ob es denn nun einen Lockdown geben soll oder nicht und im Prinzip war es dann schon um die Ecke. Wir hatten nichts gelernt. Ich habe geschimpft, dass wir die gleichen Fehler immer wieder machen, weil wir immer zu spät, verzögert, halbherzig und nicht richtig reagieren.
Lange hat Ministerpräsident Kretschmer die Lage nicht ernst genommen. Aber dann hat er sich im November doch noch gewandelt. Haben Sie einen Anteil daran? Haben Sie ihn überzeugen können und wenn ja, wie?
Albrecht: Das ist keine Leistung von mir. Er hat sich ja, wie alle Politiker, eine Menge an Meinungen von Experten eingeholt. Da gibt es viele. Es finden regelmäßige Beratungen mit Experten statt. Es gibt eine eigene sächsische Impfkommission. Es gibt eine Runde der Mikrobiologen in Sachsen, die da eine Beratungsfunktion haben und klar, ich war dann auch oft mit dabei. Aber es ist schon eine Gruppe gewesen und man konnte sehen, dass das Wissen um das, was wirklich passiert, schon dazu führte, dass man das ernster annimmt. Allgemein war das Zusammenspiel in Sachsen ganz gut, da kenne ich schlechtere Beispiele.
„Sie brauchten keine Angst zu haben.“ - Klinikalltag in der Pandemie
Wie war das mit Ihren Mitarbeitern? Haben Sie die durchweg motivieren können?
Albrecht: Wir haben uns um eine Verstärkung der Kommunikation mit den Mitarbeitern gekümmert. Ich habe regelmäßig einen Videopodcast gesendet. Wir haben dort Mitarbeiter aus erster Hand informiert, was passiert, politische Entscheidungen kommentiert und über die aktuelle Lage geredet. Darauf hatten wir zum Teil 6.000 Klicks, fast jeder Mitarbeiter hat sich diese Sendungen angeschaut.
Das habe ich aus vielen Unternehmen gehört. Auch solche, wo die Mitarbeiter in Kurzarbeit waren. Werden Sie das beibehalten?
Albrecht: Nach Corona werden wir das weiterhin als Kommunikationsmittel nutzen. Wir haben über 6.000 Mitarbeitende, denen ich nicht täglich auf dem Gang begegne. Während der Pandemie hat es dazu geführt, dass wir die ganze Zeit eine gute Stimmung hatten. Ähnlich wie damals beim Hochwasser gab es eine Welle von Loyalität unter den Mitarbeitern. Wir waren gut gerüstet. Die Mitarbeitenden brauchten keine Angst zu haben.
Was heißt, gut gerüstet?
Albrecht: Wir waren so gut aufgestellt, dass die Fallzahl in der ersten Welle gar nicht so hoch wurden. Wir hatten Tage mit insgesamt zwei Intensivpatienten und hatten die Kapazität für 30, während in Bayern schon alles aus dem Ruder gelaufen ist. Wir haben auch Patienten von dort angenommen, auch aus Frankreich und Italien. Für uns war das sehr gut, weil wir mit der neuen Situation den Umgang auf unseren Stationen mit Covid 19 gelernt haben: Hygiene, das Umziehen, einfach alles. Damit das zur Routine wird, muss man das oft machen.
Hatten Sie genug Kleidung und Schutzmasken?
Albrecht: Ja. Dadurch, dass wir ein großer Betrieb sind und ich mich immer gekümmert habe. Wir hatten wirklich nie einen Engpass an Schutzkleidung. Im Gegenteil. Wir haben dann auch angefangen, dass an andere auszugeben, weil klar erkennbar war, die Altenheime hatten fast gar nichts, keine Schutzkittel, keinen Mundschutz. Wir wurden auch zum Verteilzentrum für Hilfsgüter.
„Wir haben das Netzwerk der Universitätsmedizin gegründet.“ - 350 Klinische Corona-Studien
Sie haben zum Thema Corona viele Studien durchgeführt. Was sagen Sie zu den vielen Experten in den Medien?
Albrecht: Jeden Tag machen sich im TV irgendwelche zusammengewürfelten Runden wilde Gedanken über Corona und erzählen von Fakten, die es nicht immer so gibt. Es gibt wahnsinnig viele virologische Experten und mich besorgt die Frage, woher kommt diese Expertise? Es werden viele Dinge behauptet und die Unterscheidung, was Meinung und was nachgewiesene Fakten sind, ist immer noch relativ schwierig. Schnell wurden Dinge verbreitet, die eben nur halbwahr oder nicht nachgewiesen waren. Wenn dann Handlungen daran geknüpft werden, ist es natürlich schwierig, weil man immer vor und zurück geht.
Entstand daher der Unmut in der Bevölkerung?
Albrecht: Ja. Weil man sagt, erst haben sie gesagt, Masken helfen nicht, dann muss man eine Maske tragen, dann sind es nur die FFP2 Masken - manchmal hatte man dann den Eindruck, das war eher getrieben, von dem, was man gerade noch hatte, aber nicht davon, was notwendig war. Man wollte das aber nicht zugeben.
Aber man hätte es sagen müssen und nicht so ein Durcheinander in den Köpfen der Menschen erzeugen. Wenn sich Informationen einmal festgesetzt haben, bekommt man das durch neue Argumente nicht mehr raus. Umso wichtiger waren die wissenschaftlichen Erkenntnisse. Dazu haben Sie mit Ihren Studien beigetragen...
Albrecht: Man braucht viele Patienten, um große Studien zu machen. Ich wollte ein Netzwerk der Universitätsklinika bilden, denn das kann man nicht alleine an einem Standort machen, da muss man sich die Arbeit teilen. So haben wir mit dem BMBF, zusammen mit dem Bund, alles sehr rasch umgesetzt. Wir haben unter Koordination der Charité das NUM, das Netzwerk der Universitätsmedizin, gegründet. Dafür haben wir vom Bund 150 Millionen bekommen. Es wurde also richtig investiert, um Studien aufzulegen.
Sie koordinieren das in Dresden?
Albrecht: Wir haben aufgeteilte Problemfelder. Es gibt zum Beispiel grundlagenorientierte Sachen, wie zum Beispiel die Sequenzierung. Man kann die Sequenzierung dafür nutzen, um Muster im Corona-Virus zu erkennen. Wir haben ja nicht erst seit gestern Mutationen, die gab es schon immer. Es gab im letzten Frühjahr und Sommer schon neun verschiedene Corona-Stämme. Es war klar, dass irgendwann welche kommen, die schlimmer sind, ansteckender oder schwerere Krankheitsverläufe auslösen. Das ist auch etwas, das uns immer noch droht.
Also haben Sie eine Sequenzier-Gruppe?
Albrecht: Das kann nicht einer machen, da muss man riesige Labore zusammenschalten. Wir haben auch eine Gruppe gebildet, die sich mit Therapieverfahren beschäftigt, also welche Medikamente, sich in welcher Phase anbieten. Wir haben uns auch internationale Studien angeschaut.
Um wieviele Studien geht es denn insgesamt?
Albrecht: Wir haben jetzt weit über 100 Studien gestartet. Ein Großteil läuft noch. Und wir haben ein besonderes Problemfeld aufgegriffen, das habe ich selber gemacht, das Pandemiemanagement. Unser Hauptpartner ist Frankfurt. Hessen war sehr schnell bereit, unser Modell zumindestens in Teilen zu übernehmen. Und da sitzen wir immer noch jede Woche und werten die Dinge aus, wir vergleichen Prognose-Tools, die entwickelt worden sind und versuchen, das jetzt in die Fläche zu geben.
Über 100 Studien und wahrscheinlich noch lange kein Ende in Sicht, oder?
Albrecht: Ich halte das für ein tolles Projekt. Wir haben jetzt eine Verlängerung bekommen. Das läuft nochmal für über zwei Jahre mit insgesamt über 350 Millionen Euro, weil es immer weiter neue Projekte gibt. Zum Beispiel, was soll mit den chronisch Geschädigten, die es jetzt nach den Infektionen gibt, passieren.
Welche Ergebnisse des Studienprojektes haben Sie überrascht?
Albrecht: Es gibt schon interessante Ergebnisse zum Beispiel in Bezug auf die Antikörpertherapie. Als US-Präsident Trump damals diese Antikörpermischung, also aus dem Blut Infizierter gewonnene Antikörper, verabreicht wurde, sahen einige das als das Allheilmittel. Es wurden dazu viele Studien gemacht und man hat gesehen, dem ist nicht so. Diese Therapie ist nicht für eine breite Anwendung geeignet, dafür muss man zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt aktiv werden und sehr aufpassen.
„Den einen trifft es, den anderen nicht - bei gleichen Voraussetzungen.“ - Welche Corona-Therapien gibt es aktuell?
Die Antikörpermischung klang immer vielversprechend. Schade! Was gibt es noch Neues?
Albrecht: In der Forschung gab es bereits Untersuchungen darüber, warum es gewisse Leute trifft. Man muss sagen, dass 20 Prozent der Infizierten einen wirklich schweren Verlauf haben und das sind nicht immer alte oder sehr vorerkrankte Patienten.
Aber das ist doch genau das, was man uns immer gesagt hat. Je älter die Infizierten sind, desto schlimmer sind sie betroffen. Vorerkrankungen spielen eine große Rolle. Ist das nicht so?
Albrecht: Klar sind Ältere häufiger betroffen. Aber das ist immer so. Das ist nicht coronaspezifisch. Bei jeder Erkrankung, sind die, die alt sind und viele Vorerkrankungen haben, auch häufiger vertreten. Aber, wir sehen auch, dass 30- oder 40-Jährige sehr rasch ein Multiorganversagen entwickeln können. Deshalb haben wir uns der Frage gewidmet, was da eigentlich bei den Patienten passiert. Wir konnten beobachten, dass die Patienten häufig schwere Thrombenbildung in der Lunge haben, sie erleiden Lungenembolien oder Lebergefäßembolien und daraus folgt dann ein Nierenversagen aufgrund dieser Embolien... Also die Gerinnung ist ein Faktor, der bei den Patienten frühzeitig aus dem Ruder gerät. Aber eben auch nur bei bestimmten Menschen...
Weiß man den jetzt, warum es bei fast identischen Voraussetzungen den einen trifft und den anderen nicht?
Albrecht: Warum trifft es gerade die? Dazu müssen wir Daten vieler Patienten sammeln. Da sind wir immer noch dabei. Wir haben zeigen können, dass die frühzeitig eingesetzte Kortisontherapie einen Effekt hat. Da haben wir nicht lange diskutiert, sondern diese Therapie bei allen angewandt. So haben wir in der Phase im Herbst, als es wieder los ging, viele schwere Verläufe verhindern können, weil wir frühzeitig Kortison gegeben haben.
Gibt es auch andere Mittel und Ergebnisse zu anderen Therapien?
Albrecht: Es gab eine Menge Dinge, die einen großen Einfluss hatten. Wir haben auch zeigen können, dass die Überbrückung des Lungenversagens über eine extrakorporale Zirkulation, eine Herz-Lungen-Maschine, am Intensivbett, hilft. Weil man mit dem Zeitgewinn, keinen Patienten in Saustoffmangel kommen lassen muss. So kann sich die Lunge wieder regenerieren. Das ist schon High-End, also die höchste Stufe von intensivmedizinischer Versorgung.
Ihre Forschungen sind sehr wichtig und ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg!
Albrecht: Es ist eine echte Erfolgsgeschichte. Wir machen das in allen Uniklinika streng wissenschaftlich, die Daten werden ausgewertet und von anderen geprüft, sie werden auch international publiziert. So haben die Ergebnisse wirklich eine harte Evaluierung durchlaufen.
Dauert das nicht viel zu lange?
Albrecht: Na ja, schon. Aber was ist die Alternative? Es gibt Fake-Wissenschaftsgeschichten zum Beispiel mit Trump und den Antikörper. Die haben ihm aber nicht nur das gegeben, sondern mindestens zehn verschiedene andere Sachen, also polypragmatisch irgendetwas. Keiner weiß, ob und warum das dann gewirkt hat. Eine typische Reaktion ist in diesem Fall die Forderung nach Geld für die Produktion von Antikörper-Produkten gewesen. Allerdings stellte sich schnell heraus, dass sie eine Menge Nebenwirkungen hervorrufen, die die Primärwirkung überbieten.
Zumal das Virus in seiner Wirkung sehr komplex ist, oder?
Albrecht: Was wir inzwischen wissen, ist, dass die Erkrankung nicht
so verläuft, dass das Virus kommt, die Lunge befällt und eine Lungenentzündung verursacht wie ein Grippevirus. Sondern, das Virus kommt, provoziert eine Lungenentzündung, macht aber noch was anderes: eine Immunreaktion im Körper bei bestimmten Patienten, lange nicht bei allen, auch altersunabhängig und die bekommen dann eine Ganzkörperreaktion als Immunantwort auf dieses Virus. Dann folgt eine Gerinnungsstörung, ein Nierenversagen, ein Leberversagen und mehr. Bei diesen Patienten liegt also eine richtige Multiorganbeteiligung vor.
Bei vielen Infizierten soll auch das Gehirn in Mitleidenschaft gezogen werden. Stimmt das?
Albrecht: Zum großen Teil. Rund 30 bis 40 Prozent haben eine Hirn- oder Nervenbeteiligung. Das, was wir als Frühsymptome sehen, sind Geschmacks- und Geruchsstörung. Was wir auch bei den Patienten gesehen haben sind schwerste Hirnveränderungen auch als Folge-Erkrankung. Bis hin zur Querschnittslähmung. Das gab es sogar in meiner eigenen Familie. Diese Reaktionen auf das Virus ist die eigentlich schwierige Geschichte. Eine Infektion, eine Lungenentzündung zu behandeln, das ist wie bei jedem anderen Virus auch. Aber ein Grippevirus hat nicht diese Ganzkörper-Immunreaktion.
Also der ganze Körper ist betroffen. Sind es alle Organe oder gibt es da Ausnahmen?
Albrecht: Wenn man sich das jetzt so anschaut, sieht man, dass es fast kein Organsystem gibt, das nicht beteiligt sein kann. Da sieht man immer mehr Daten. Es gibt auch schwere Herzmuskelbeteiligung bei ansonsten jungen, gesunden Leuten. So wird klar, es gibt nicht die eine Tablette die die Erkrankung stoppt, sondern Covid 19 läuft in Phasen ab. Ich muss zur richtigen Phase das richtige Mittel und die Therapie geben. Am Ende wird es ein Behandlungs-Cocktail. Man muss zu bestimmten Phasen die Immun-Reaktionen unterdrücken, dann muss man wieder bestimmte Organ-Funktionen behandeln und dann gibt es ganz, ganz viele verschiedene Ansätze. Aber ich bin sicher, dass wir nicht in Wochen oder Monaten oder Jahren irgendeine Tablette haben und dann erkrankt man nicht an Covid.
Wenn ich Sie richtig verstehe, braucht es fast einen Fahrplan während der Erkrankung. Und der ist dann wahrscheinlich bei jedem Menschen unterschiedlich, oder? Das klingt fast aussichtslos.
Albrecht: Exakt. Es gibt Reaktionsmuster. Jetzt kann man auch verstehen, was passiert wenn jemand eine Vorschädigung hat am Herzmuskel, an der Niere, der Leber oder der Lunge. Dann wird er im Rahmen dieser Erkrankung gerade dort schwer reagieren. Und das sehen wir, genauso wie Sie sagen, am Ende läuft es in Stufen ab und wir Ärzte müssen immer genau wissen, wo wir bei der Therapie des jeweiligen Patienten stehen Es geht um eine Intensivbehandlung der höchsten Form.
Gut, dass es diese moderne Medizin gibt.
Albrecht: Wir machen nichts anderes, als alle Organe des Körpers zu überwachen und immer genau da einzuspringen, wo Probleme auftauchen. Das ist individuell unterschiedlich bei einem groben, gleichen Muster. Aber wenn man in so einer schweren Entwicklung überleben will, dann hat man eine Menge zu tun. Und da haben wir auch wirklich junge und auch nicht vorerkrankte Patienten verloren.
Das will die Bevölkerung so nicht hören, oder?
Albrecht: Die Meinung in der Öffentlichkeit ist, es trifft den alten 85-Jährigen, der sowieso an der nächsten Grippe gestorben wäre. Da gibt es ganz dümmliche Interpretationen. Die sehen nicht, dass da auch die 40-Jährige Mama von kleinen Kindern liegt und ebenfalls einen schweren Verlauf hat.
„Wir stehen mit dem Rücken zur Wand.“ - Mutationen, Impfen und das Ende der Pandemie
Die Schlussfolgerung aus dem, was Sie sagen, ist, dass die Impfpriorisierung falsch war?
Albrecht: Wir haben viel darüber diskutiert. Das Uniklinikum hat am 26. Dezember den ersten Impfstoff bekommen. Und es war klar, wir haben nicht genug Impfstoff, um alle zu impfen. Ich rede jetzt mal nicht über die organisatorischen Probleme, die es noch gab. Aber erstmal war der Impfstoff nicht in unbeschränkter Menge verfügbar. Da musste man sich überlegen, wie priorisiert werden sollte. Wir haben uns geeinigt, und das finde ich nachträglich auch vollkommen in Ordnung, dass wir zuerst in die Altenheime und zu den über 80-Jährigen gehen und impfen. Weil vollkommen klar war, wenn die sich infizieren, dann haben die natürlich eine hohe Mortalität auf der einen Seite und zweitens ist es wahnsinnig schwer sie in den Krankenhäusern zu behandeln, weil das ein großer Aufwand ist.
Für die ersten Wochen war das in Ordnung. Aber die Priorisierung galt noch bis Juni.
Albrecht: Im März waren alle Heime durchgeimpft. Dann habe ich schon öffentlich vertreten, dass man jetzt die Impfpriorisierung aufheben sollte. Es war schwierig zu sagen, jetzt impfen wir die über 70-Jährigen und danach die über 60-Jährigen. Das ließ vollkommen außer Acht, dass der Zustand nicht altersabhängig ist. Ein 60-jähriger Marathonläufer ist durchaus fitter als eine 30-jährige Tumorpatientin. Da kann ich mich nicht starr an das Alter halten. Das war schon mal das Erste. Das Zweite ist, die Überträger der Infektion sind nicht die Leute, die zuhause sitzen, weil sie eh schon kaum laufen können, sondern die, die unterwegs sind. Das sind die zwischen 20 und 50-Jährigen, die arbeiten gehen, die nach draußen gehen, die viele Kontakte haben, die vielleicht auch gerade so ein bisschen unachtsam geworden sind, weil es ihnen auf die Nerven geht. Das sind jetzt die Gefährdeten.
Hätte man die Priorisierung gleich den Ärzten überlassen sollen?
Albrecht: Ja. Den Ärzten überlassen, eine individuelle Indikation zu stellen. Die wissen auch, wenn mal Jemand nicht geimpft werden sollte, weil er eine Kontraindikation hat, so wie wir das bei dem Astra Zeneca-Impfstoff haben. Deswegen hatte ich das öffentlich gefordert. Ich habe das auch Bundesgesundheitsminister Spahn gesagt. Ich war dafür, zu Gunsten der Impfgeschwindigkeit die Priorisierung aufzuheben und möglichst an jedem Ort, wo immer es geht, zu impfen und Jeden, der geimpft werden will, auch die Impfung zu geben. Und nicht zu sagen: „Nein, du bist jetzt noch nicht dran, denn ich warte noch auf den nächsten 70-jährigen.
Wie schätzen Sie das ein, hilft uns das Impfen wirklich aus der Pandemie?
Albrecht: Wir stehen mit dem Rücken an der Wand. Wir sehen, dass die Lockerungen und Verschärfungen der Lockdowns, die Maßnahmen, allenfalls in der Lage sind, Wellen zu brechen. Das wird mal wieder mehr, mal wieder weniger, aber das hört ja nicht auf. Es gibt die irrige Vorstellung, man macht einen Lockdown, der ist dann beendet und das Virus ist weg. Das ist Quatsch.
Aber die Lockdowns haben letztlich geholfen...
Albrecht: Das Virus ist in der Zeit weniger verbreitet worden. Deshalb sinken die Zahlen und wenn der Lockdown beendet ist, steigen sie wieder an. Wir sind immer noch weit weg von einer Durchseuchungsqoute. Weit, weit weg - wirklich! Wir haben im Moment ein viel höheres Potenzial der noch Ansteckungsfähigen. Insofern ist vollkommen klar, ein Lockdown schafft das Virus nicht aus der Welt und Medikamente haben wir keine. Jedenfalls keins, das gegen die Infektion hilft. Was bleibt dann übrig? Die übrigen Kontaktbeschränkungs-Maßnahmen oder Sonstiges. Da haben alle die Nase voll. Die einzige Chance, um das Virus aus der Welt zu schaffen, ist die Impfung. Wir müssen versuchen, durch die Impfung eine so hohe Immunisierung, die strapazierte Herdenimmunität, zu erreichen, dass einer, der infiziert ist, nur noch auf Leute trifft, die geschützt sind. Dann stirbt das Virus aus. Dann kann es nicht mehr weiter gehen. Das ist die einzige Chance. Etwas anderes gibt es nicht.
Zum Glück hat man Impfungen entwickelt!
Albrecht: Man muss den Hut davor ziehen. Die Entwicklung und die
Marktreife war eine tolle Leistung. Und das ist nicht entstanden, weil man auf Sicherheits-Maßnahmen verzichtet hat. Das mag in Russland passiert sein oder in China, aber bei uns nicht. Die Impfstoffe, die zugelassen sind, die haben richtig harte Zulassungsverfahren durchlaufen. Es ist ein Ammenmärchen, dass man was außer Acht gelassen hätte.
Besonders beachtlich ist die Entwicklung der MRNA-Impfstoffe.
Albrecht: Man kennt die Wirkmechanismen dieser Impfstoffe sehr gut. Die Art der Wirkmechanismen, also Messenger RNA-Impfstoffe, gibt es natürlich nicht erst jetzt, man arbeitet seit zehn Jahren draran. Wir haben die in der Tumorbekämpfung schon jahrelang bearbeitet. Dass das jetzt so schnell gelungen ist, ist eine tolle Leistung. Dass es schwierig ist, die Produktion für viele Milliarden Impfdosen von Null dahin zu fahren, war auch klar.
Wurden da manchmal falsche Versprechungen gemacht?
Albrecht: Wer einmal anschaut, wie so eine Impffabrik aussieht, wie die einzelnen Herstellungsstraßen jeden Tag konrolliert werden... Es muss in jeder Flasche garantiert werden, dass genau das in der Dosis drin ist, was drin sein sollte. Es ist ein sehr aufwändiger kontrollierter Prozess. Das haben wir jetzt. Aber wir haben hier in Deutschland viel Zeit in der Impfgeschwindigkeit verloren. Einmal, weil wir uns verzockt haben mit der Impfstoff-Bestellung. Zweitens, weil man die Impfnotwendigkeit und Wirkung ständig zerredet hat, das betrifft gerade den Astra Zeneca Impfstoff. Zusätzlich gab es viel Bürokratie. Und dann behindern wir uns noch mit der Priorisierung. Was aber immer noch klar ist, erst wenn wir 85 Prozent der Bevölkerung durchgeimpft haben, hört die Weitergabe der Infektion auf.
Geht das nicht trotzdem viel zu langsam? Wir haben doch die ständige Bedrohung durch Mutationen.
Albrecht: Es ist vollkommen klar, wenn ein Virus in der Population ist oder im Individuum, gibt es immer Mutationen. Es gibt kein Virus, das nicht mutiert. Je länger das Virus in einem Individuum oder in einer Population ist, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Mutanten enstehen, die die anderen verdrängen. Man konnte das im Oktober um London herum beobachten, die haben das sehr gut erfasst, wie sich innerhalb von sechs Wochen eine der damals neun nachgewiesenen Mutationen sich mit rasender Geschwindigkeit so ausgebreitet hat, dass alle anderen verdrängt wurden. Also es muss eine Mutante sein, die besser gerüstet ist in den Umgebungsbedingungen zu überleben, dass sie die anderen verdrängen kann. Die britische ist einfach viel infektiöser gewesen. Das war die Zeit, als dann in London das System kollabiert ist, weil die Infektionsgeschwindigkeit ganz anders war als vorher. Gleiches passiert jetzt in Indien und in Brasilien.
Also wird das immer wieder passieren?
Albrecht: Es ist klar erkennbar, dass das wieder passiert und das es vielleicht schon anfängt. Wir haben bereits jetzt die Nachweise von indischen Mutationen bei unseren Sequenzierungs-Proben. Es wäre ein Wunder, wenn nicht noch weitere Mutanten entstünden. Vielleicht haben wir zum Beispiel demnächst die Cottbuser Variante. Wenn ich dem Virus sehr lange eine Chance gebe, sich auszubreiten, entstehen auch Mutationen. Die einzige Chance, das zu verhindern, ist zur Ausrottung des Virus beizutragen. Die Frage, ob die Impfstoffe, die jetzt auf dem Markt sind, dann ausreichend Schutz bieten, kann man nicht 100-prozentig beantworten.
Bisher soll es ja noch so sein, dass die existierenden Impfstoffe die bekannten Mutationen in Schach halten können, wenn auch mit geringerer Wirksamkeit.
Albrecht: Wie es aussieht sind alle Impfstoffe in der Lage, die jetzt bekannten Mutationen entsprechend zu bekämpfen. Natürlich mit unterschiedlichem Ausmaß. Es kann sein, dass mehr Infektionen und Symptome für bestimmte Mutationen auftreten. Aber es ist bis jetzt bei keiner Mutation so, dass der Impfstoff wirkungslos wäre. Man kann die Messenger RNA-Impfstoffe auch gut anpassen. Wenn man weiß, welche Mutationen da sind, ist es eine simple Laborfrage, den Impfstoff auf die neue Mutante einzustellen. Das ist der große Vorteil. Allerdings weiß heute immer noch niemand exakt, wie lange die Immunisierung der Impfstoffe wirkt, so dass es gut sein kann, dass wir ähnlich wie bei der Grippeimpfung, im nächsten Jahr wieder immunisieren müssen, wenn wir eine neue Mutante haben. Was ja immer sein kann.
Meinen Sie, dass der große Horror vorbei ist?
Albrecht: Ich bin ein optimistischer Mensch, aber das ist schon Hellseherei. Aus der allgemeinen Erfahrung weiß man, dass durch eine reine Aufstachelung des Immunsystems, wenn sie nicht sehr spezifisch ist, und das passiert durch so eine Impfung, zumindestens die Wirkung des Virus abzuschwächen geht. Das sieht man bereits mit einem relativ hohen Prozentsatz nach der ersten Impfung. Die schweren Verläufe kann man auch bei neuen Mutationen und „alten Impfungen“ ganz gut reduzieren. So dass ich davon ausgehe, dass das so eintreten wird. Allerdings heißt es auch, dass es immer diese Corona-Virusinfektionen geben wird, auch weil sich einige nicht impfen lassen wollen. Wir werden als Krankenhaus mit dem Virus leben müssen, weil wir ähnlich wie für andere Infektionen jetzt immer schauen müssen, wenn Jemand mit spezifischen Symptomen kommt, ob der nicht eine Corona-Infektion hat. Und dann müssen wir immer noch in der Lage sein, ihn in Isolation zu geben. Aber was man unterbinden kann, sind diese Riesen-Wellen, die uns überschwappen.
Gibt es etwas, das Sie aus der Krise gelernt haben?
Albrecht: Die Krise war nicht nur Stress für das medizinische System, sondern Stress für unsere Gesellschaft, für unser Zusammenleben, für die Familienstruktur. Schon allein, wenn die Familien mit Home-Schooling und Home-Office oder verlorenem Job an den Rand der Belastung gekommen sind. Wir sehen eine Menge an Auswirkungen, die uns noch lange beschäftigen werden. Ich glaube auch, dass das Einfluss haben wird auf viele andere Dinge wie die Diskussionskultur oder die Lagerbildung. Was ich negativ wahrgenommen habe, ist diese ständige Verwechslung von eigenen Fakten, Meinung und Wahrheit. Man muss nur lange genug Blödsinn behaupten, irgendwann glauben es dann alle.
Und für Sie persönlich?
Albrecht: Jeden, wenn er denn kritikfähig geblieben ist, hat die Krise angeregt, mal darüber nachzudenken, ob alles noch richtig war, wie man es vorher gemacht hat. Dieser Zwang, innezuhalten und mal nicht in dem üblichen Trott zu leben, ist ein guter Impuls gewesen. Ich merke, dass das bei Vielen dazu geführt hat, dass eine eigene Entwicklung oder eine eigene Zielsetzung auf den Prüfstand gestellt wurde. Ist es denn noch sinnvoll, dass ich ständig irgendwo hinfahren muss oder geht es nicht auch anders? Man hat das Gefühl, man muss nicht alles immer gleich so wichtig nehmen. Wenn man solche schweren Corona-Verläufe gesehen hat, wie ich, wo ganze Familien auseinanderbrechen oder ein Todesfall oder Pflegebedürftigkeit rauskommt und alles aus den Fugen gerät, dann hilft es schon, einmal zu sagen, na gut, meine Steuererklärung ist jetzt nicht ganz so wichtig. Bei mir hat das geholfen, Relationen wieder neu zu ordnen.
Waren Sie selbst an Covid 19 erkrankt?
Albrecht: Ich persönlich bin nicht erkrankt, obwohl ich viel Kontakt mit Patienten und Infizierten hatte. Meine Schwester war schwer erkrankt. Wir dachten, dass wir das nicht mehr hinbekommen. Sie hat es aber überstanden, obwohl es ein dreiviertel Jahr gedauert hat. Mein Sohn war ebenfalls infiziert. Ich war immer sehr nah dran und hatte das Gefühl, ich habe Glück gehabt. Inzwischen bin ich geimpft. Ich habe alle Facetten an verschiedenen Krankheitsverläufen und Schicksalen gesehen und erlebt. Das hat mich sehr bewegt und nachhaltig geprägt.